Kohle in die Ukraine zu importieren, ist wie Schweizer Uhren ins Alpenland zu liefern. Doch seit den Kämpfen im Osten stehen in vielen Gruben die Förderbänder still. Stattdessen löschen Hafenarbeiter in Odessa Schiffe aus Südafrika mit hochwertiger Anthrazitkohle. 250.000 Tonnen sollen geliefert werden, die für 45 bis 50 Tage reichen. Der Schwarzhandel mit Kohle floriert. Die Preise sind in die Höhe geschossen. Die Einwohner der Ostukraine versuchen, den Brennstoff günstiger zu bekommen. Sie kaufen die Steinkohle, auch wenn sie meist von minderwertiger Qualität ist, den fliegenden Händlern direkt an den Güterzügen ab.
Schon wieder unlautere Geschäftsmodelle
Ludmila Klotschko hat mit ihrer Eastern Human Rights Watch Group eine Bestandsaufnahme im Konfliktgebiet gemacht, um das Ausmaß der Kriegsschäden zu erfassen. Dass Bergwerke stillstehen, habe keineswegs nur mit dem Krieg zu tun. "Im Donbass an Heizkohle zu gelangen, war früher kein Problem. Jetzt befinden sich die wertvollen Anthrazit-Bergwerke auf besetztem Gebiet. Auf ukrainischem Territorium dagegen wird in den Bergwerken so gut wie nichts mehr abgebaut oder nur sehr wenig. Was mit den südafrikanischen Kohleimporten zusammenhängen könnte. In Dimitrow, einem Ort, der nicht besetzt worden ist, wo es keine Kampfhandlungen gab, bringen es alle drei staatlichen Bergwerke laut Aussage des Vizebürgermeisters nur noch auf 20 Prozent ihrer Produktionsleistung." Die Menschenrechtlerin Ludmila Klotschko findet, dass der Einkauf afrikanischer Kohle ein Skandal ist. Erinnerungen werden wach, als sich bei den Gas- und Ölimporten aus Russland ukrainische Zwischenhändler eingeschaltet haben, um Prozente zu kassieren. Die neue Regierung in Kiew hat diese unlauteren Geschäftsmodelle gerade erst beseitigt, nun entstehen sie möglicherweise schon wieder neu.
"Wenn Kohle im Ausland gekauft wird, sind daran immer viele Leute beteiligt und die bekommen Schmiergeld. Wenn der Staat für irgendwas Geld ausgibt, verschwindet immer welches in privaten Taschen. Es ist doch sehr viel einfacher, Kohle irgendwo zu kaufen, als sie selbst abzubauen." Pawel Lisjanski, ein junger Gewerkschaftsfunktionär aus der Ostukraine, stellt klar, dass längst nicht alle Bergwerke kaputtgeschossen oder ungewollt geflutet sind oder die Energieversorgung wegen der Kämpfe nicht gewährleistet werden könnte. Viele Gruben fördern durchaus Kohle, die rentablen privaten nämlich, die sich in den Händen vor allem eines Oligarchen befinden. "Die Bergwerke von Rinat Achmetow arbeiten nach wie vor. Die Gehälter sind gekürzt worden, somit hat sich der Gewinn der Oligarchen wegen der dadurch niedrigeren Arbeitskosten vergrößert. Ich glaube, dass die Oligarchen kein Interesse daran haben, dass die ukrainische Regierung wieder die Kontrolle der Separatistengebiete übernimmt, denn sie profitieren von der Rechtlosigkeit, dass in den sogenannten Donezker und Lugansker Volksrepubliken niemand vor Gericht ziehen kann. Für die Unternehmer ist das von Vorteil."
Kohle-Lieferungen nur auf dem Papier gestoppt
Als die Aktivisten des sogenannten Rechten Sektors Ende November Stromleitungen zur Krim zerstörten und damit die Energieversorgung der Halbinsel kappten, stoppte Russland offiziell sämtliche Kohlelieferungen in die Ukraine. Auch die sogenannten Volksrepubliken liefern seitdem nichts mehr in das von Kiew kontrollierte Gebiet. Theoretisch. Pawel Lisjanski sagt, wie es sich seiner Meinung nach tatsächlich verhält. "Anthrazit-Kohle der Marke A wird weiter an die Ukraine verkauft, über Umwege. Sie ist ein entscheidender Rohstoff für Wärme- und Stromkraftwerke. Die Betriebe der Oligarchen fördern das Anthrazit, führen es über die russisch-ukrainische Grenze, die Kiew noch immer nicht kontrolliert, nach Russland aus. Und die russischen Firmen, die diese Anthrazit-Kohle gekauft haben, bringen sie über das Schwarze Meer nach Odessa."
Als wir durch Lissitschansk fahren, zeigt Pawel Lisjanski auf eine Tankstelle, bzw. auf das, was davon noch übrig ist. Auch wenn es den Anschein hat, dass der reichste Mann der Ukraine, Rinat Achmetow, ein Gewinner des Krieges ist, weil seine Firmen fast alle noch produzieren, so hat er doch Verluste erlitten. "Als die ukrainische Armee aus Lissitschansk nach Debalzewo ging, wurden alle Tankstellen von Achmetow zerstört. Ich würde gar nicht sagen, dass das auf irgendjemandes Geheiß hin geschehen ist. Gut möglich, dass das ein Panzerfahrer selbst entschieden hat, weil er Achmetow als Separatisten-Unterstützer einordnete. In Debalzewo wurde eine Tankstelle, die von Achmetow zerstört, die andere, 100 Meter entfernt, nicht."