Das mitgeschnittene Telefonat fand am 25. Februar statt, einen Tag bevor die Menschen auf dem Maidan die Personalvorschläge für die neue Regierung präsentiert bekommen haben. Seine Echtheit wurde vom estnischen Botschafter in Kiew bestätigt.
In dem Gespräch mit der EU-Außenbeauftragten Catherine Ashton berichtet der estnische Außenminister Urmas Paet, dass die Scharfschützen, die zwischen dem 19. und 21. Februar fast 90 Menschen erschossen haben, nicht Berkut-Spezialkräfte gewesen, sondern aus den Reihen der Opposition gekommen sein sollen. Der estnische Außenminister beruft sich auf Aussagen der Maidan-Ärztin Olga Bogomolez. Urmas Paet:
"Was beunruhigend ist, war, dass die gleichen Heckenschützen Menschen auf beiden Seiten getötet haben. Sie - Olga Bogomoletz - zeigte mir einige Fotos. Sie sagte, als Arzt könne sie sagen, dass das die gleiche Handschrift war; der gleiche Typ Munition. Und was wirklich sehr beunruhigend ist, ist, dass jetzt die neue Koalition nicht untersuchen möchte, was exakt geschehen ist. Es gibt mehr und mehr Hinweise, dass hinter den Heckenschützen nicht Janukowitsch stand; dass das jemand von der neuen Koalition war."
"Das ist Unsinn"
Die Ärztin Olga Bogomolez gilt in Kiew als Heldin des Maidans. Sie hatte unzählige Rettungseinsätze geleitet, Lazaretts aufgebaut, geholfen, Hunderte Verletzte zu versorgen. Sie operierte und organisierte.
In der neuen Regierung sollte sie Gesundheitsministerin werden, das lehnte sie ab. Sie wollte den Posten als Vize-Premier für humanitäre Fragen, bekam ihn, zog ihre Bereitschaft, überhaupt in die Regierung einzutreten, aber kurzfristig wieder zurück. In einer ersten Begründung sagte sie, die gesamte Regierungsbildung sei nicht transparent verlaufen.
Zu den Vorwürfen, jemand aus der neuen Regierung stünde hinter den Heckenschützen, die auf die Sicherheitskräfte und auf die Demonstranten geschossen haben, äußerte sie sich bislang nicht. Eine erste Stellungnahme gibt es von Natalia Lysova, einer Pressesprecherin eines Abgeordneten der Vaterlands-Partei von Premier Arsenij Jazenjuk.
Ihr Kommentar gegenüber der Internet-Zeitung "Kiew Post" lautete: "Das ist Unsinn, das ist alles, was ich sagen kann."
Erste Ermittlungen
Der neue Innenminister Arsen Awakow soll gestern am Rande seines Besuchs in Charkow gesagt haben, weder Janukowitsch noch die Oppositionsführer waren involviert, und äußerte stattdessen Spekulationen, dass die russische Seite beteiligt gewesen sein soll.
Der ukrainische Generalstaatsanwalt Oleg Machnitzki äußerte sich genauer. Gegen einen Oberst des Innenministeriums der pro-russischen Krimregierung, Sergej Asawaluk, werde ermittelt wegen der Beteiligung am Massenmord; er sei zur Fahndung ausgeschrieben.
Sollte sich der Verdacht bestätigen, dass die Opposition die Heckenschützen auf die eigenen Leute schießen lassen hat, wäre die Glaubwürdigkeit der neuen Regierung in Kiew infrage gestellt und vollständig diskreditiert. Sie hatte als eine ihrer ersten Amtshandlungen die Berkut-Sondereinheit aufgelöst wegen der gezielten Tötung und lässt nach Ex-Präsident Janukowitsch international fahnden.