Hunko hatte die Wahl in der Hafenstadt Odessa am Schwarzen Meer beobachtet. Dort hätten sich nur 40 Prozent an der Parlamentswahl beteiligt, sagte der Bundestagsabgeordnete der Linken im DLF. Dies sei ein Beleg für die Entfremdung - gerade im Süden und Südosten des Landes - von der Regierung in Kiew. Der Sturz des Präsidenten Viktor Janukowitsch werde in diesem Landesteil sehr kritisch gesehen. Für Misstrauen habe die mangelnde Aufklärung des Brandanschlags auf ein Gewerkschaftshaus in Odessa am 2. Mai gesorgt - dabei starben mehr als 60 Menschen, die meisten verbrannten.
Um den Konflikt innerhalb der Ukraine beizulegen und das Land zusammenzuhalten, müsse die künftige Führung in Kiew insgesamt auf Deeskalation zwischen dem Westen und Russland setzen. Dann gebe es auch eine Chance, dass Donezk und Lugansk in der Ukraine verbleiben.
Durch das starke Abschneiden der "aggressiver auftretenden" Volksfront von Interims-Ministerpräsident Arseni Jazeniuk stünden "die Zeichen eher wieder auf Eskalation", sagte Hunko. Der Westen sollte darauf drängen, dass ein Ausgleich mit dem Osten der Ukraine gesucht werde.
Das Interview in voller Länge:
Jasper Barenberg: Seine Machtbasis wollte Petro Poroschenko ausbauen und sich mehr Rückendeckung für seinen europafreundlichen Kurs holen, und dafür hat der Präsident die vorgezogene Wahl in der Ukraine überhaupt angesetzt und er kann sich jetzt wohl bestätigt fühle. Auch wenn das Endergebnis noch ein wenig auf sich warten lassen wird, schon jetzt ist es ein klarer Sieg für die prowestlichen Parteien. Der Präsident selbst allerdings musste Einbußen hinnehmen.
Mitgehört hat Andrej Hunko von der Linkspartei, Wahlbeobachter für den Europarat. Schönen guten Morgen, Herr Hunko.
Andrej Hunko: Schönen guten Morgen!
Barenberg: Sie waren ja unterwegs im Süden der Ukraine, in Odessa am Schwarzen Meer und in der Umgebung dort.
Hunko: Ja.
Barenberg: Können Sie uns ein bisschen schildern, wie Sie den Wahltag gestern dort erlebt haben?
Hunko: Der Tag war völlig friedlich, das war gut organisiert und ich habe eigentlich keine Spannungen dort wahrgenommen.
Was man allerdings sagen muss: In Odessa ist die Wahlbeteiligung niedrig gewesen, 40 Prozent insgesamt in der Stadt, und das ist deutlich weniger als noch bei der Präsidentschaftswahl im Mai, wo 50 Prozent gewählt haben. Ich interpretiere das ein bisschen als doch eine gewisse Entfremdung, die gerade im Süden und Südosten der Ukraine stattfindet.
Was man allerdings sagen muss: In Odessa ist die Wahlbeteiligung niedrig gewesen, 40 Prozent insgesamt in der Stadt, und das ist deutlich weniger als noch bei der Präsidentschaftswahl im Mai, wo 50 Prozent gewählt haben. Ich interpretiere das ein bisschen als doch eine gewisse Entfremdung, die gerade im Süden und Südosten der Ukraine stattfindet.
Barenberg: Worauf führen Sie diese Entfremdung zurück? Mit Entfremdung meinen Sie Entfremdung mit der Regierung in Kiew?
Hunko: Entfremdung von Kiew, mit der Regierung in Kiew. Das hat vielleicht viele Ursachen, denn die Menschen in Odessa sind tendenziell eher kritisch, was die Veränderungen in Kiew angeht, was den Umsturz im Februar angeht. Dann kommt das Massaker vom 2. Mai in diesem Gewerkschaftshaus dazu. Da hat es bisher keine Aufklärung gegeben. Das macht auch misstrauisch. Ich habe mich da auch mit Angehörigen getroffen, Angehörigen der Opfer. Die haben mir alle gesagt, dass sie nicht wählen gehen, dass sie kein Vertrauen haben gegenwärtig, und das ist natürlich ein Problem.
Auf der einen Seite gibt es einen starken prowestlichen Ruck im Parlament, auf der anderen Seite haben wir im Süden, im Südosten der Ukraine eher eine Entfremdung von Kiew festzustellen, und da muss man halt vorsichtig sein, damit es nicht zu einer weiteren Vertiefung dieser Spaltung kommt.
Barenberg: Was kann Moskau dazu beitragen? Wir erinnern uns ja alle noch, dass eine Weile lang es so aussah, als würden die Separatisten, als würden die Aufständischen versuchen, auf dem Landweg in Richtung Krim voranzukommen und dabei auch Odessa mit im Spiel zu haben.
Hunko: Die Gerüchteküche brodelt da. Es gab immer diese Gerüchte, dass sozusagen eine Landbrücke gemacht wird bis hin nach Transnistrien. Das ist ja nicht mehr weit in Moldawien. Aber konkrete Hinweise oder konkrete Vorbereitungen in diese Richtung, glaube ich, hat es da nicht gegeben. Ich habe das auch die Menschen gefragt am Samstag in Odessa und die haben das für sehr, sehr unwahrscheinlich gehalten.
Barenberg: Die Telefonverbindung, Herr Hunko, ist leider nicht besonders gut.
Hunko: Das tut mir leid.
Insgesamt auf Deeskalation setzen
Barenberg: Da können Sie ja nichts für. - Ich will Sie trotzdem fragen: Nach diesem überwältigenden Votum dann insgesamt doch für die Einheit des Landes, müssen die Abtrünnigen im Osten des Landes jetzt nicht ihre eigene Wahl, die sie angesetzt haben für nächsten Sonntag, eigentlich abblasen?
Hunko: Das ist natürlich eine sehr schwierige Frage. Ich kann die Situation in Donezk und Lugansk nicht genau einschätzen. Mein Eindruck ist schon, dass auch die Separatisten dort über eine gewisse Basis verfügen.
Es ist nicht einfach so, dass die nur von außen kommen und sozusagen gegen den Willen der dortigen Bevölkerung agieren. Es gibt eine Basis.
Meines Erachtens wäre es wichtig, wenn man das Land zusammenhalten will, dass insgesamt auf Deeskalation gesetzt wird, auch zwischen der Ukraine und Russland, zwischen dem Westen und Russland, und dass es eine Verhandlungslösung gibt. Dann sehe ich auch eine Chance dafür, dass Donezk und Lugansk wieder in der Ukraine verbleiben.
Die Entfremdung in Donezk und Lugansk von Kiew ist weit fortgeschritten
Barenberg: Die Ankündigung von Präsident Poroschenko, das Angebot, dass es in den umstrittenen Gebieten Kommunalwahlen geben wird im Dezember, ist das nicht genug?
Hunko: Offenbar ist es den dortigen Separatisten nicht genug. Sie haben ja aus ihrer Sicht - das ist jetzt nicht meine Sicht, aber ich versuche, mal ihre Sicht darzustellen - am 12. Mai dieses Referendum für die Unabhängigkeit gemacht und wollen mehr als nur Kommunalwahlen dort haben.
Ich sehe das durchaus kritisch, aber ich sehe auch, gerade in Donezk, wo ich im April war, und Lugansk auch, dass dort die Entfremdung von Kiew sehr weit fortgeschritten ist.
Ich sehe das durchaus kritisch, aber ich sehe auch, gerade in Donezk, wo ich im April war, und Lugansk auch, dass dort die Entfremdung von Kiew sehr weit fortgeschritten ist.
Es ist wichtig, dass Putin zur Deeskalation beiträgt
Barenberg: Zum Schluss noch die Frage, was Sie sich von Moskau wünschen, was Sie von dort erwarten. Sollte der Kreml jetzt deutlich machen, dass er diese Abstimmung am nächsten Wochenende im Osten des Landes nicht unterstützt? Er schweigt ja bisher, der Kreml.
Hunko: Ich glaube, ja. Moskau schweigt dazu. Wir beobachten auch, soweit ich das mitbekommen habe, haben sie jetzt die Wahlen gestern anerkannt, werden das Parlament auch anerkennen.
Es ist natürlich wichtig, dass auch Putin, dass Moskau zur Deeskalation beiträgt. Das gilt aber auch umgekehrt für den Westen. Ich glaube, beide Seiten müssen hier Schritte zur Deeskalation gehen.
Westen sollte auf Verhandlungslösung drängen
Barenberg: Was wären die Schritte der Deeskalation, die Sie vom Westen erwarten?
Hunko: Zum Beispiel, dass man signalisiert, dass es keine militärische Lösung geben kann innerhalb der Ukraine, was jetzt versucht wurde mit der sogenannten Anti-Terror-Operation, dass auch auf die künftige ukrainische Regierung eingewirkt wird, dass ein Verhandlungsweg gesucht wird mit dem Osten, dass ein Ausgleich gesucht wird auch mit dem Osten.
Es ist natürlich schon so, dass mit dem schwächeren Ergebnis jetzt vom Block Poroschenko und dem starken Ergebnis von der aggressiver auftretenden Volksfront von Jazenjuk die Zeichen eher wieder auf Eskalation stehen nach meiner Ansicht, aber ich finde, der Westen sollte darauf drängen, auf dass hier eine Verhandlungslösung gesucht wird und dass sie vom Westen auch unterstützt wird.
Barenberg: Andrej Hunko von der Linkspartei, derzeit als Wahlbeobachter für den Europarat in der Ukraine. Danke für das Gespräch heute Morgen, Herr Hunko.
Hunko: Bitte schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.