Archiv

Ukraine
Wenig Hilfe für Opfer von Kriegsverbrechen

Die Bundesregierung streitet über die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland. Der Leiter des OSZE-Büros für Menschenrechte sieht dafür wenig Anlass. Noch immer gehören Kriegsverbrechen im ukrainischen Konfliktgebiet zum Alltag. Auch russische Staatsbürger sollen daran beteiligt sein.

Von Sabine Adler |
    Ein heruntergekommener Keller in der Ukraine, der als Folterkammer diente.
    Auch in diesem Keller in Lisitschansk sollen Zivilisten und Angehörige der ukrainischen Armee gefoltert worden sein (Koalition von Hilfsorganisationen "Recht auf Frieden im Donbass")
    15 Monate hat die Fotojournalistin Maria Warfolomejewa aus Lugansk in Geiselhaft verbracht. Aus 15 Monaten sollten 15 Jahre werden, zu dieser Haftstrafe hatte sie ein Gericht in der sogenannten Volksrepublik Lugansk verurteilt, wobei unklar war, nach welcher Gesetzgebung. Bei einem Gefangenenaustausch im März wurde die Zeitungskorrespondentin gegen einen Scharfschützen der Separatisten freigekauft. In Berlin weist sie jetzt Politiker auf die Kriegsverbrechen hin und auch auf die ausbleibende Hilfe für die Opfer.
    "Wir Opfer von Verschleppung haben keinerlei Status, ich war eine von wenigen, die zumindest eine medizinische Behandlung bekommen haben, wenngleich das auch fast nicht der Rede wert war. Ich setze mich jetzt dafür ein, dass Opfer von Kriegsverbrechen mit den Soldaten gleichgesetzt werden, die in der Antiterroroperation gekämpft haben."
    16 ukrainische Hilfsorganisationen und eine russische haben herausgefunden, dass Verschleppungen, Folter und Zwangsarbeit im Kriegsgebiet keine Einzelfälle sind, sondern systematisch betrieben werden, zum ganz überwiegenden Teil in den sogenannten Volksrepubliken, aber auch auf ukrainisch kontrolliertem Territorium. Oleksandra Matwitschuk von der Menschenrechtsorganisation "Bürgerliche Freiheiten" sagt, dass der ukrainische Geheimdienst SBU rund 4000 Opfer erfasst hat, es aber weit mehr Betroffene gibt.
    "Wir haben illegal Gefangengenommene befragt, ob sie sich an die Polizei oder andere ukrainische Behörden gewendet haben. Sie sagten, nein, weil es sinnlos sei, da der ukrainische Staat nicht Leute bestrafen könne, die im besetzten Gebiet agierten. Die ukrainische Helsinki-Gruppe unterhält ein Büro auf dem zurückeroberten Gebiet. Dort sprechen die Menschenrechtler mit Opfern, die z.B. monatelang in einem oder mehreren illegalen Gefängnissen saßen und sie gehen davon aus, dass Zehntausende Opfer von Kidnapping und Folter geworden sind, nicht 4000 sondern Zehntausende."
    Maria Warfolomejewa wurde in ihrer über einjährigen Geiselhaft in Lugansk unter anderem auch von Tschetschenen bewacht, also russischen Staatsbürgern.
    OSZE-Mitarbeiter: Lockerung der Sanktionen wäre unzeitgemäß
    Michael Georg Link leitet das OSZE-Büro für Demokratische Institutionen und Menschenrechte, kurz ODIHR, das, sollten irgendwann Wahlen im Donbass stattfinden, diese beobachten würde.
    "Eines ist klar: So wie heute die Lage ist im Donbass, kann nicht gewählt werden, denn wir sind weit davon entfernt, einen anhaltenden festen Waffenstillstand zu haben. Und Wahlen und Wahlbeobachtung sind eine durch und durch zivile Angelegenheit. Man kann nicht direkt aus dem Schützengraben in das Wahllokal."
    Am Rande einer Veranstaltung der Friedrich-Naumann-Stiftung in Berlin sprach sich der ODIHR-Direktor für eine bewaffnete Polizei-Mission im besetzten Donbass aus, die die OSZE aber auch die Vereinten Nationen übernehmen könnten. Wie unkontrolliert die Lage sei, zeige auch das Verschwinden des UN-Mitarbeiters Juri Suprunin im April. Die Diskussion über eine Lockerung der Sanktionen gegen Russland hält Michael Link für unzeitgemäß.
    "Es ist sehr früh. Man muss immer wieder daran erinnern, dass Sanktionen u.a. auch deshalb erlassen wurden, um die russische militärische Präsenz im Donbass zu beenden und da sehe ich noch keinerlei Fortschritte und insofern ist es sehr früh, wenn man darüber redet."
    Kiew wird gedrängt, ein Wahlgesetz zu verabschieden und muss mit den Ermittlungen der Verbrechen beginnen, die auf eigenem Territorium geschehen sind, sagt der Experte für internationales Strafrecht Kai Ambos.
    "Es kann eben ein Staat nicht die Ermittlung solchen Verbrechen fordern, wenn seine eigenen Sicherheitskräfte solche Verbrechen begehen und wenn er die ungesühnt lässt. Die Ukraine kann auch für diese Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte zur Verantwortung gezogen werden, also wenn sie nicht zurechenbare Menschenrechtsverletzungen verfolgt, dann ist sie verantwortlich unter der Europäischen Menschenrechtskonvention."
    Mehr Arbeit für Menschenrechtler
    Die Ukraine muss selbst Kriegsverbrechen verfolgen und kann zusätzlich den Internationalen Strafgerichtshof anrufen, findet Kai Ambos, der Strafverteidiger am Internationalen Kriegsverbrechertribunal für Jugoslawien war. Es sei für die Justiz der Ukraine durchaus keine Bankrott-Erklärung, sich an Den Haag zu wenden, Georgien sei ein vergleichbarer Fall.
    "Georgien ist ja heute in der gleichen Situation wie die Ukraine, nämlich eine schleichende Intervention und Okkupation des Staatsgebietes und in beiden Fällen befinden sich die Länder, die betroffen sind, in einer sehr schwachen Situation, werden destabilisiert dadurch, und können nicht die Taten die auf dem von ihnen nicht mehr beherrschten Territorium stattfinden, ermitteln und Russland ist ja nicht Vertragspartei. Russland ist ein Gegner des ISTGH und es geht hier um Russland. Das große Problem, was man eben hat, im Fall Russlands oder im Fall anderer großer Staaten, Russlands, USA, China, ist: Wie kann man die verantwortlich machen für Taten, die ihnen irgendwie zuzurechnen sind, aber es besteht auch ein nicht unerheblicher Druck auch auf diese Gerichte."
    Die Arbeit für die Menschenrechtler wird laut Oleksandra Matwitschuk eher mehr als weniger.
    "Bei den Befragungen der Geisel- und Folteropfer berichteten sehr viele Männer, dass sie mitbekommen haben, das mitinhaftierte Frauen vergewaltigt wurden. Demnach muss es eine große Zahl vergewaltigter Frauen geben, doch die schweigen eisern. Wir müssen ihnen Anonymität zusichern und diese Verbrechen dokumentieren. Außerdem werden wir untersuchen, in welchem Ausmaß Kindersoldaten einsetzt werden, wir wissen, dass es für sie eigene Trainingslager gibt."
    Zur mutmaßlichen Beteiligung russischer Staatsbürger an den Kriegsverbrechen hat die russische Botschaft in Berlin trotz mehrfacher Anfragen nicht Stellung genommen.