Seine Regierung habe ein klares Dezentralisierungskonzept, das ein Gesetz über einen speziellen Status von Donezk und Lugansk vorsehe. Er schlug daher vor, auf dieser Basis richtige Lokalwahlen im Dezember zu organisieren. "Durch diese Wahlen können wir diejenigen bestimmen, die die Verantwortung in Donesk und Lugansk übernehmen".
Der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin sagte, dass man momentan einen kritischen Dialog mit Russland führe, aber " wir brauchen Russland, damit wir die Lage in Donezk und Lugansk stabilisieren können. Wir müssen auch das Vertrauen zurückgewinnen, aber das ist nicht in Sicht".
Sanktionen müssen Ostukraine stabilisieren
Im Hinblick auf die Sanktionen der EU und den USA gegen Russland sagte er, dass diese so gestaltet werden müssten, dass man die Regionen Donezk und Lugansk in der Ostukraine stabilisiere und einen dauerhaften Waffenstillstand erreiche. Es sei ganz wichtig, die Grenze zu Russland im Osten der Ukraine zu schließen, denn "alles was reinkommt aus Russland - Söldner, Waffen - das ist problematisch". Auf die Frage, ob sich alle im Osten als Ukrainer fühlten, sagte Klimkin: "Absolut ja. Im Großen und Ganzen sehen sich die Ukrainer vereint".
Streumunition nicht eingesetzt
Die Vorwürfe von Human Rights Watch, dass das ukrainische Militär Streumunition in der Konfliktregion einsetze, verneinte Klimkin klar. "Wir haben diese Vorwürfe überprüft, es ist ein Fake (Fälschung)", sagte er im Hinblick auf Beweisbilder. Er bekräftigte aber, die Vorwürfe mit Human Rights Watch prüfen zu wollen. "Wer solche Waffen eingesetzt hat - Terroristen, Gangs - sollen zur Verantwortung gezogen werden", ergänzte er.
Gasversorgung in der Ukraine gesichert
Im Hinblick auf den Konflikt mit Russland sieht Klimkin keine Probleme bei der Gasversorgung. "Die Ukrainer müssen nicht frieren, wir haben genug Gas, wir haben andere Ressourcen, die wir nutzen, wir haben genug Gas zum Heizen, es wird aber eine Herausforderung für unsere Wirtschaft".
Korruption wichtigstes Thema nach Wahlen
Ein wichtiges Ziel nach den Wahlen werde vor allem die Korruptionsbekämpfung sein, sagte Klimkin. "Nicht nur Gesetze, sondern auch die Implementierung dieser" werden nach den Wahlen angegangen.
Die Ukraine wählt am Sonntag ein neues Parlament. 26 Parlamentssitze werden nicht neu besetzt, da auf der Halbinsel Krim nach der Annexion durch Russland keine Wahl stattfindet sowie ebenfalls nicht in Teilen der Ostukraine, die von den prorussischen Separatisten unter Kontrolle stehen. Diese wollen eine eigene Wahl im November durchführen.
Das Interview in voller Länge:
Klimkin: Ja, absolut! Wenn Sie in Charkiw viele fragen, oder vielleicht in einigen Städten. Es gibt nach wie vor die schwierige Lage in Donezk und in Lugansk, aber auch da wollen ganz wenige sich Russland anschließen.
Dafür gibt es unterschiedliche Stimmen selbstverständlich, aber im Großen und Ganzen sehen Sie, dass die Ukraine vereint ist. Und wenn jetzt die Frage lautet, wohin soll die Ukraine, in die Europäische Union, dann antworten immer mehr als 70 Prozent der Ukrainer wirklich in die Europäische Union, und das hängt nicht davon ab, ob man das in Odessa fragt, in Charkiw oder in Kiew.
Wichtig ist ein nachhaltiger Waffenstillstand
Heinemann: Herr Minister, Russland sitzt am Verhandlungstisch. Ist das eine Folge der Sanktionen gegen Russland? Wirken die?
Klimkin: Ich glaube, die Sanktionen, das ist nur ein Teil der Möglichkeiten, die uns vorliegen. Was wichtig ist, dass wir die Lage in Donezk und Lugansk stabilisieren und nachhaltigen Waffenstillstand erreichen. Ganz, ganz wichtig, dass wir auch die Grenze schließen, weil alles, was in die Ukraine reinkommt, und zwar Söldner, Gelder, Waffen, schwere Waffen, Panzer, kommt aus Russland.
Drittens: Wir brauchen, endlich alle Geiseln freizumachen.
Drittens: Wir brauchen, endlich alle Geiseln freizumachen.
Das ist wirklich nicht nur empörend, dass wir nach wie vor 600 Geiseln haben. Und selbstverständlich müssen wir ganz klar die politische Linie sehen. Solche angebliche Wahlen, die man in Donezk und Lugansk für November geplant hat, und dass man sogenannte Präsidenten und Parlamente in Donezk und Lugansk wählt, das geht wirklich nirgendwo.
Wahlen der Separatisten sind inakzeptabel
Heinemann: Wie wird die ukrainische Regierung, die Regierung in Kiew genau auf diese Wahlen, diese angekündigten Wahlen der Separatisten im Donbass reagieren?
Klimkin: Ganz klar! Wir haben hier gesagt, erstens: Wir akzeptieren diese Wahlen nicht und wir können diese Wahlen nicht anerkennen. Zweitens: Es muss eine klare Botschaft geben, und zwar von allen, von der Europäischen Union, aber auch von Russland, dass solche Wahlen nicht stattfinden. Und wir haben ein klares Dezentralisierungskonzept.
Wir haben auch ein spezielles Gesetz über einen speziellen Status von Donezk und Lugansk und gemäß dieses Gesetzes können wir die Wahlen im Dezember organisieren, und zwar richtige Lokalwahlen, und durch diese Wahlen können wir dann diejenigen bestimmen, die die Verantwortung in Donezk und Lugansk übernehmen können.
Wir haben schon einen Fortschritt erzielt
Heinemann: Herr Minister, Sie sprachen eben davon, dass verhindert werden muss, dass weitere Waffen über die Grenze geraten. Kann man sagen, dass die Lage doch noch nicht stabil ist im Osten?
Klimkin: Ja. Wir haben keinen nachhaltigen Waffenstillstand. Das ist klar. Es gibt nach wie vor täglich viele Fälle, dass man auch versucht, den Waffenstillstand zu brechen. Aber wir haben schon einen Fortschritt erzielt und diesen Weg des Fortschritts müssen wir weitergehen, und das ist der einzige Weg.
Heinemann: Herr Minister Klimkin, Sie haben mitbekommen: Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch wirft dem ukrainischen Militär vor, während der Kämpfe im Osten des Landes Streumunition, Clusterbombs verwendet zu haben. Die Bundesregierung in Berlin hat diese Vorwürfe als "ernsthaft" bezeichnet. Werden solche Waffen eingesetzt?
Klimkin: Nein! Das ist ganz klar. Ich habe mit unseren Militärs gesprochen und wir haben diese Lage und alle diese Vorwürfe ganz klar überprüft. Und wenn Sie diese Fotos genau ansehen, dann sehen Sie, dass es ein Fake ist, eine Art Provokation. Wir haben aber vor, mit Human Rights Watch, mit allen Organisationen das absolut genau zu prüfen.
Heinemann: Was heißt "absolut genau"?
Klimkin: Absolut genau, wer solche Waffen dann eingesetzt hat, welche Terroristen. Vielleicht gibt es Provokationen, vielleicht gibt es einige Gangs, die solche Munition benutzen. Aber wir wollen nicht nur ganz genau festlegen, wer das benutzt hat, sondern auch alle diejenigen zur Verantwortung ziehen.
Heinemann: Sie können auf jeden Fall ganz klar ausschließen, dass das ukrainische Militär solche Waffen einsetzt?
Klimkin: Absolut!
Heinemann: Herr Minister, wir sprachen eben über die Sanktionen. Welche Bedingungen müssten aus ukrainischer Sicht für eine Aufhebung der Sanktionen gegen Russland erfüllt sein?
Klimkin: Das müssen ja die Europäische Union und die Vereinigten Staaten entscheiden, die solche Sanktionen auferlegt haben und über solche Sanktionen entschieden haben.
Aus meiner Sicht soll man ganz klar die Bedingungen erreichen für eine nachhaltige Stabilisierung, und für mich ist der nachhaltige Waffenstillstand, die Schließung der Grenze eine politische Linie der Stabilisierung, also im Rahmen des Friedensplanes der Präsidenten, aber auch einen klaren Fortschritt mit den Geiseln. Ich würde das nicht Bedingungen nennen, sondern einen Rahmen, in dem wir auch einen wichtigen Fortschritt erzielen können.
Heinemann: Die Krim haben Sie jetzt nicht genannt.
Klimkin: Nein. Es gibt ja Sanktionen, die genau Richtung Krim entschieden wurden. Die müssen selbstverständlich bleiben, solange wir die Lösung für die Krim finden können.
Ich habe immer gesagt, es kann ja überhaupt keinen Kompromiss über die Krim geben. Das ist absolut klar. Die Krim war ukrainisch, ist ukrainisch und wird ukrainisch. Und wenn Sie die Stimmung auf der Krim verfolgen, dann gibt es schon ganz klare Anzeichen für nicht nur Unzufriedenheit, sondern dass man ganz klar versteht, dass es so nicht weitergehen könnte.
Heinemann: Glauben Sie, dass Präsident Putin das Projekt "Neu Russland" weiter verfolgt?
Klimkin: Ich glaube, dass man in die Zukunft sehen soll und nicht in die Vergangenheit. Wenn wir mit den Begriffen aus der Vergangenheit, und zwar aus dem 18. Jahrhundert operieren, dann war Kaliningrad, Königsberg und die Vereinigten Staaten eine britische Kolonie. Zweitens: Man muss ganz klar die Geschichte analysieren, aber nicht diese Geschichte für politische Zwecke benutzen. Und ich würde mal sagen, ich kenne die Geschichte der Ukraine, und dieses Projekt "Neu Russland" hat mit der Geschichte nichts zu tun.
Wir haben genug Gas
Heinemann: Politische Zwecke erfüllen auch Energieträger. Thema Gaslieferungen. Eine Einigung ist nach wie vor nicht erzielt. Werden die Menschen in Ihrem Land im Winter frieren müssen?
Klimkin: Nein, absolut nicht. Wir haben genug Gas, selbstverständlich, und wir haben auch andere Ressourcen, auch aus sogenannten Reserven, und das kaufen wir gemäß unserer Kontrakte, die wir mit den europäischen Unternehmen geschlossen haben. Deswegen haben wir genug Gas fürs Heizen. Das aber selbstverständlich eine ordentliche Herausforderung für unsere Wirtschaft und deswegen brauchen wir mehr Gas.
Heinemann: Herr Minister, ein großes Problem in der Ukraine: Die Korruption spielt auch im Wahlkampf eine Rolle. Wieso ist die in der Ukraine so weit verbreitet?
Klimkin: Weil in allen diesen mehr als 20 Jahren hat man nicht geschafft, die Korruption effektiv zu bekämpfen, und für mich ist das eine von den wichtigsten Benchmarks, dass man die Reformen vorantreibt. Nach den Wahlen haben wir eine Reihe von Aufgaben, aber die wichtigste von denen ist selbstverständlich Korruption und wie man die Korruption bekämpft, und zwar nicht nur die Gesetze, sondern die richtige Implementierung, Good Governance und auch selbstverständlich der Rechtsstaat.
Auf dieser Basis können wir auch weitere Wirtschaftsreformen effektiv betreiben und das soll ganz, ganz schnell geschehen, und zwar von Dezember her. Aber für das nächste Jahr haben wir das Fenster für unsere Reformen. Das müssen wir nutzen. In 2005 haben wir das leider nicht geschafft und das ist unsere unglaubliche Chance jetzt.
Wir müssen das Vertrauen zu Russland zurück gewinnen
Heinemann: Herr Minister Klimkin, außenpolitisch wichtigste Aufgabe ist die Nachbarschaft. Wie stellen Sie sich die künftigen Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland vor?
Klimkin: Im Moment gibt es einen kritischen Dialog. Unter diesen schwierigen Bedingungen führen wir diesen Dialog, auch durch verschiedene Kontakte. Wir brauchen Russland, dass wir die Lage in Donezk und Lugansk stabilisieren können. Wir müssen aber auch das Vertrauen zurückgewinnen, und das haben wir nicht in Sicht.
Heinemann: Das Gespräch mit dem ukrainischen Außenminister Pawel Klimkin haben wir vor dieser Sendung aufgezeichnet.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.