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Internationale Legion
Warum ausländische Freiwillige in der Ukraine kämpfen

An der Seite der ukrainischen Streitkräfte kämpfen auch Freiwillige aus dem Ausland - die sogenannte Internationale Legion. Warum entscheiden sich Tausende Männer und Frauen, die Ukraine mit ihrem Leben gegen die russischen Angreifer zu verteidigen? Drei Begegnungen.

Von Florian Kellermann |
Menschen am polnischen Grenzübergang zur Ukraine, im Vordergrund ein Rücken mit Tarnfleck-Rucksack und einer Tasche mit Ukraine-Flaggenaufnäher
Experten gehen von Zehntausenden ausländischen Kämpferinnen und Kämpfer auf ukrainischer Seite aus - eine offizielle Zahl gibt es nicht (picture alliance / dpa / Sebastian Gollnow)
Der Krieg in der Ukraine war gerade eine Woche alt, da fasst die junge Frau aus Ungarn einen Entschluss. Sie wollte für das Land, zu dem sie bis dahin keine Beziehung hatte, kämpfen. Sie meldete sich bei der ukrainischen Botschaft.
„Von Anfang an habe ich gefühlt, dass das nicht nur ein Angriff auf die Ukraine ist, sondern auf ganz Europa, auf die europäischen Werte. Ich habe mir das zu Hause im Fernsehen angesehen. Und ich konnte einfach nicht sitzen bleiben und nichts tun.“
Die zierliche Frau trägt eine Uniform und am Ärmel einen Aufnäher: eine Heilige ist da abgebildet, die eine Panzerfaust über der Schulter trägt. Ihren Namen sagt die Frau nicht. Schließlich hat Russland erklärt, dass es Ausländer, die für die Ukraine kämpfen, nicht einmal wie Kriegsgefangene behandeln werde, falls diese in russische Gewalt kommen. Sie würden als Verbrecher vor Gericht gestellt.
Dieses ikonische Bild hat sich durch den Ukrainekrieg weit verbreitet: die "Heilige" Javelina, eine Madonna in Tarngrün, in den Armen eine Javelin-Panzerfaust aus US-Fertigung. Hier zu sehen auf einer Hauswand in Kiew.
Dieses ikonische Bild hat sich durch den Ukrainekrieg weit verbreitet: die "Heilige" Javelina, eine Madonna mit Javelin-Panzerfaust aus US-Fertigung. (imago / NurPhoto / Maxym Marusenko)
Nur so viel verrät die Ungarin: Sie hat zuvor in einer Firma gearbeitet, die etwas mit Militär zu tun hatte. Heute führt sie für die ukrainische Armee einen Account in einem sozialen Netzwerk. Und sie hilft beim Nachschub für die Soldaten an der Front.

Feedback, "dass unsere Legionäre sehr gute Arbeit machen"

Die Internationalen Legion der Ukraine, zu der die Ungarin gehört, spiele eine wichtige Rolle bei den militärischen Erfolgen der Ukraine, sagt Damien Magrou, der Sprecher der Legion:
„Das ganze Feedback, das wir bekommen von Offizieren an der Front, ist, dass unsere Legionäre sehr gute Arbeit machen. Sie arbeiten auch gut als Mannschaft, denn sie kommen ja von den Armeen der NATO-Länder und sind gewöhnt, auch mit anderen Nationalitäten zusammenzuarbeiten.“
Gerade diejenigen, die schon früher Soldaten waren, könnten also helfen, dass die Ukraine die Waffensysteme der NATO, die jetzt geliefert werden, schnell einsetzen kann?
„Das kann ich leider nicht kommentieren. Aber natürlich, wenn wir Waffensysteme von Ländern bekommen, die nicht sehr bekannt sind in der Ukraine, dann müssen wir halt Instruktoren finden.“
Damien, 33 Jahre alt, ist Norweger und reiselustig. Viele Jahre hat er in Berlin gelebt. Zuletzt hat der Anwalt bei einer Kanzlei in Kiew gearbeitet. Indem er die Ukraine mit verteidigt, verteidige er auch seine Wahlheimat, sagt er.
Ukrainischer Soldat in einem Schützengraben während des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine
Ukrainischer Soldat in einem Schützengraben während des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine (imago / NurPhoto / Ceng Shou Yi)
Den Pressetermin hat er in einen Park in Kiew gelegt. Hier gibt es noch Schützengräben, ausgehoben, als die russische Armee vor den Toren der Stadt stand.
Wie viele Legionäre für die Ukraine kämpfen? Dazu gibt es keine offiziellen Angaben. Etwa 20.000 Ausländer hätten sich dafür zumindest beworben, berichteten Medien.

"In Somalia habe ich bei Geiselbefreiungen geholfen"

Inzwischen nimmt die Ukraine nur noch Personen auf, die Kampferfahrung haben. Wie Ken, ein Südkoreaner. Der 38-Jährige, früher Mitglied in einer Spezialeinheit. Frühere Einsatzorte: Somalia und Irak. In der Ukraine leitete er ein Alphateam, das maßgeblich dazu beitrug, die russische Armee in dem Kiewer Vorort Irpin zu besiegen.
„In Somalia habe ich bei Geiselbefreiungen geholfen, das war ein Anti-Terror-Einsatz. Aber hier zu kämpfen, ist viel schwieriger. Russland ist eine Supermacht, und ihre Armee hat Flugzeuge, Artillerie und viel Munition. Hier regnet es Feuer auf dich.“

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Zum Beweis schickt Ken später Videos, die er gemacht hat. Eine Gruppe Soldaten rennt an mehrstöckigen Häusern vorbei, um einem Angriff zu entgehen. Ken kennt sich aus mit solchen Videos. In Südkorea arbeitet er für eine Firma, die sich auf die visuelle Darstellung von Krieg spezialisiert hat.
Ein anderes Video zeigt einen Soldaten, der am Boden liegt und eine Anti-Panzer-Rakete abschießt. Sofort nach dem Abschuss fliehen er und seine Gruppe von der Stelle, um nicht vom Gegenfeuer erfasst zu werden.
„Es ist schon ziemlich einzigartig, dass Menschen aus so vielen Ländern, aus so vielen Kulturen zusammenkommen und der Ukraine helfen, sich zu verteidigen. Manchmal gibt es Kommunikationsprobleme. Aber nicht so sehr in meinem Team. Da waren vor allem Briten und US-Amerikaner. Wir sprechen die gleiche Sprache und auch den gleichen Militär-Jargon.“
Für Ken ist jetzt erst einmal Schluss. Er hat sich am Knie verletzt, beide Kreuzbänder sind gerissen. Er fliegt erst einmal zurück nach Korea, um sich zu kurieren.

"Einfache russische Soldaten haben keine echte Motivation, hier zu sein"

Obwohl die russische Armee zuletzt Geländegewinne erzielt mit ihrer Offensive im Donezbecken: Die Legionäre zeigen sich überzeugt, dass die Ukraine den Krieg gewinnen werde. Alle drei nennen als Grund: die Motivation. Der Norweger Damien:
„Die Ukrainer haben den Krieg schon im Kopf gewonnen. Das einzige Grund für diesen Krieg ist die Megalomanie von Putin. Einfache russische Soldaten haben keine echte Motivation, hier zu sein. Die Ukrainer verteidigen ihr Land, ihre Heimat, und natürlich werden wir gewinnen.“
Der Preis dafür werde allerdings hoch sein, sagen die Soldaten. Nicht nur die vielen Gefallenen und die Verwundeten, Millionen Menschen würden traumisiert sein, sagt die junge Frau aus Ungarn:
„Da spricht noch niemand darüber. Aber wir müssen uns im Klaren sein: Viele werden psychologische Hilfe brauchen, auch die Soldaten. Was sie an der Front sehen und hören, das ist unvorstellbar, einfach unvorstellbar.“
Sie werde jedenfalls nicht mehr die gleiche sein, wenn der Krieg einmal zu Ende ist, sagt die junge Frau. Der russische Angriffskrieg habe ihr deutlich gemacht, wie zerbrechlich unser gewohntes Leben sei, wie schnell alles, was jemand sich aufgebaut hat, zerstört werden kann.