Archiv

Ukrainer in russischen Gefängnissen
Hoffen auf Polit-Neuling Selenskyj

Der Fernsehkomiker Wolodymyr Selenskyj hat die Präsidentenwahl in der Ukraine gewonnen, das hat nun auch die Wahlkommission offiziell bestätigt. Im Wahlkampf hatte der Kabarettist nur sehr allgemeine Ziele formuliert. Nur in einem Punkt wurde er etwas konkreter.

Von Florian Kellermann |
Der künftige Präsident der Ukraine, Selenskyj, am Wahlabend vor einer Leinwand, auf der in ukrainischen Farben das Wahlergebnis angezeigt wird.
Der künftige Präsident der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj (Imago/Serg Glovny)
Julia Suschtschenko zeigt auf den Bildschirm ihres Smartphones, auf das Foto eines Gemäldes: Ein kleiner Ort am Meer, eine warme, friedliche Atmosphäre, ein kleines Segelboot, das sich gerade in den Wind dreht. Das jüngste Gemälde ihres Vaters:
"Vielleicht hat er sich hier den Ort vorgestellt, an dem er jetzt gerne wäre. Denn in dem Brief, den er mit dem Gemälde geschickt hat, sagt er, dass er schon seit fünf Monaten die Sonne nicht mehr gesehen habe."
Roman Suschtschenko sitzt im Gefängnis in Russland, fast 1.000 Kilometer nordöstlich von Moskau. Er wurde wegen Spionage verurteilt. Dabei ist er ein Journalist der staatlichen ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform. Er war Korrespondent in Paris. In Moskau, wo er festgenommen wurde, hielt er sich nur zu Besuch auf. Die 27-jährige Tochter Julia:
"Die russischen Behörden haben das Verfahren für geheim erklärt. Wir wissen nicht einmal, was ihm genau vorgeworfen wurde. Aber das Ganze ist völlig konstruiert, wie bei vielen anderen Ukrainern in russischen Gefängnissen."
Julia Suschtschenko vor dem Gebäude der Nachrichtenagentur Ukrinform in Kiew, über deren Eingang ein Transparent mit der Aufschrift: "Freiheit für Suschtschenko". 
Julia Suschtschenko hofft, dass der künftige ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj etwas für ihren in Russland inhaftierten Vater Roman unternimmt (Deutschlandradio/F. Kellermann)
Seit fast einem halben Jahr ist Roman Suschtschenko in der Strafkolonie, in Einzelhaft. Er hat keinen Fernseher, keinen Computer, keinen Zugang zu Zeitungen. Immerhin: Jetzt bekommt er Aquarellfarben. Zuvor, in der Untersuchungshaft, hatte er noch aus Lebensmitteln Farben herstellen müssen, zum Beispiel aus Zwiebeln und Ketchup.
32 verurteilte Ukrainer sitzen in russischen Gefängnissen
So sind Bilder der Kathedrale im französischen Rouen entstanden oder ein Blick vom Meer aus auf Sydney.
In russischen Gefängnissen sitzen 32 verurteilte Ukrainer, die von der Ukraine als politische Häftlinge bezeichnet werden. Noch mehr sitzen in Untersuchungshaft. Viele von ihnen sind Krimtataren, die mit der russischen Annexion der Halbinsel Krim nicht einverstanden sind. Hinzu kommen Soldaten, de facto Kriegsgefangene - so 24 ukrainische Seeleute, die Russland im vergangenen November im Schwarzen Meer festgesetzt hat.
Der designierte ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat dies mehrfach angesprochen, auch unmittelbar nach seinem Wahlsieg:
"Ich halte es für unsere wichtigste Aufgabe, alle unsere Gefangenen in Russland, auch unsere Kriegsgefangenen, zu befreien. Ich habe bereits mit einigen Eltern der Matrosen gesprochen, die in russischer Haft sind. Ich werde alles tun, um sie nach Hause zurückzuholen."
Julia Suschtschenko kämpft seit fast drei Jahren für die Freilassung ihres Vaters. Mit Ausstellungen seiner Bilder und mit Texten.
Der noch amtierende Präsident Petro Poroschenko habe zwar viel für ihre Familie getan, aber:
"Wir hoffen, dass der neuen Staatsführung unter Selenskyj es gelingt, mehr zu erreichen. Wie, kann ich nicht sagen. Aber es darf nicht sein, dass mein Vater bis zum Jahr 2028 im Gefängnis sitzt, das wäre schrecklich."
Wolodymyr Selenskyj hat also große Hoffnungen geweckt. Kritiker mahnen: Der künftige Präsident habe sich dadurch schon erheblich unter Druck gesetzt.