Das Gebäude der Ukrainischen Freien Universität in dem mondänen Münchner Villenviertel Nymphenburg wirkt unscheinbar: grauer Putz, zwei Etagen, Rhododendron im Garten. Ein wenig klein für eine Volluniversität, wie sie sich seit 1978 nennen darf.
An diesem Vormittag wirkt das Gebäude verlassen, nur im Obergeschoss hört man leises Murmeln.
Bei Professor Roland Pietsch steht seit 9 Uhr Philosophie des 20. Jahrhunderts auf dem Plan. Zehn Studierende sitzen ihm gegenüber, an der Wand hängt eine Landkarte von der Ukraine.
"Das Thema unserer Vorlesung geht über Pamvil Danilovitsch Jurkewitsch, einer der bedeutendsten Philosophen der Ukraine, aber auch Russlands, denn er kommt aus Kiew, war später dann in Moskau Professor."
Krieg macht auch vor der Uni nicht halt
Der emeritierte Professor für Philosophie, Theologie und Religionswissenschaften der Ludwig-Maximilians-Universität München pendelt regelmäßig zwischen Deutschland und Kiew, ist in der Ukraine zu Gast an der Nationalen Universität Kiewer Mohyla Akademie. Die Ukrainische Uni in München versteht er als Werkstatt des Denkens. Gerade heute werde in der Ukraine wieder verstärkt auf die alten Philosophen zurückgegriffen, die in der Sowjetunion totgeschwiegen wurden.
"Mein Name ist Anna, ich studiere hier das dritte Semester, Fachrichtung Philosophie mit Schwerpunkt Psychologie."
"Also ich heiße Xenia. Ich studiere hier im zweiten Semester, ich studiere Pädagogik, ich habe auch ein abgeschlossenes Bachelor-Studium in der Ukraine, dann mache ich zwei Jahre hier, danach habe ich Pläne an der LMU Sozialpädagogik zu studieren."
"Also ich bin auch aus der West-Ukraine, ich habe auch ein Bachelor-Diplom in Philologie."
Die Studierenden kommen aus den unterschiedlichsten Landesteilen der Ukraine, der Krieg im Donbass macht aber auch vor der Ukrainischen Uni nicht Halt. Erst vor Kurzem mussten einige aus der Ost-Ukraine wieder heimkehren, um daheim zu helfen - was auch immer sie damit meinen. Über die Situation in der Heimat wird viel diskutiert, es werden prominente Wissenschaftler und Juristen zu Vorträgen eingeladen. Als Unterkunft der Studierenden dient ein Haus der Ukrainischen Gemeinde München.
Vielfältige weltweite Beziehungen
Voraussetzung für eine Aufnahme an der Münchner Ukrainischen Uni ist ein abgeschlossenes Bachelor-Studium. 600 Euro kostet die Studierenden das Semester an der Ukrainischen Freien Universität. Das Visum müssen sie jedes Jahr neu verlängern. Voraussetzung dafür sei unter anderem ein Konto mit 8.000 Euro, erzählen die Studierenden. Wie sich das leisten können?
Der Kanzler der Ukrainischen Freien Universität Andriy Dovhanyuk kennt die Probleme, früher vor dem Fall des Eisernen Vorhangs war aber alles noch komplizierter, meint er. Bei besonders begabten Studierenden könne man heute Stipendien anbieten:
"Wir haben eine Stiftung in New York und diese Stiftung gewährt ein paar Stipendium pro Semester, aber das sind nicht so viele, weil diese Stiftung nicht über so große Finanzmittel verfügt."
Die weltweiten Beziehungen der Ukrainischen Freien Universität sind vielfältig, gerade durch ihre Absolventen, die alle entweder aus der Ukraine kommen oder ukrainischer Abstammung sind. So gehört Bohdan Futey, ein Richter am U.S. Court of Federal Claims dazu, Petro Stetsiuk, heute Richter am Verfassungsgericht der Ukraine und auch Abgeordnete des ukrainischen Parlaments studierten in dem unscheinbaren Gebäude. Prominentester Absolvent ist der aus der Westukraine stammende Serhiy Kvit, seit einem Jahr Bildungsminister der Ukraine und dem rechtsnationalen Flügel zugehörig. Das, was der heutige ukrainische Bildungsminister Kvit in München gelernt hat, wolle er jetzt in der Ukraine umsetzen, sagt Kanzler Dovhanyuk:
"Also er versucht jetzt das ukrainische Bildungssystem zu reformieren, also das was er hier gelernt hat, das will er in der Ukraine implementieren oder er versucht es zu implementieren, weil die Lage im Moment schwierig ist in der Ukraine."
Natürlich wolle man hier an der Uni den Studierenden die westliche Gesellschaft nahebringen, ihnen ein freies Denken ermöglichen, sagt Professor Pietsch. Das sieht er als seine Aufgabe.