Russland hat die Anklage gegen Nadjeschda Sawtschenko kurz vor Prozessbeginn verschärft. Der ukrainischen Kampfpilotin wird nicht mehr Beihilfe zum Mord an zwei Mitarbeitern des russischen Fernsehens vorgeworfen, sondern sie soll Mittäterin sein, so Wladimir Markin, Leiter der Ermittlungsbehörde, Mitte Juli: "Nach Erkenntnissen der Ermittler hat Sawtschenko während der Kämpfe im Donbass im Juni 2014 den Aufenthaltsort der russischen Journalisten und anderer Zivilisten in der Nähe von Lugansk in Erfahrung gebracht und die Koordinaten telefonisch an das ukrainische Militär weitergegeben. Und eben auf Grundlage dieser Koordinaten wurde das Artilleriefeuer eröffnet, das die Mitarbeiter des russischen Fernsehens, Igor Korneljuk und Anton Woloschin, tötete. Es wurden unwiderlegbare, ich wiederhole: unwiderlegbare Beweise dafür gesammelt, dass Sawtschenko direkt an dem Verbrechen beteiligt war."
Die Ermittler berufen sich auf Expertengutachten. Außerdem, so der Sprecher, hätten sie persönliche Notizen und Kartenmaterial bei Sawtschenko gefunden. Sawtschenkos Verteidiger, Nikolaj Polozow, sagt hingegen, seine Mandantin könne den Schützen den Aufenthaltsort der beiden Fernsehmitarbeiter gar nicht durchgegeben haben. "Anhand der Mobilfunkdaten haben wir den Aufenthaltsort von Nadeschda Sawtschenko rekonstruiert, ebenso den Aufenthaltsort der getöteten Journalisten. Ein Gutachten hat ergeben, dass sich beide Orte nicht überschneiden. Außerdem geht aus den Mobilfunkdaten hervor, dass Nadjeschda Sawtschenko bereits eine Stunde vor dem Tod der Journalisten gefangen genommen wurde."
Verteidigung: Nur Merkel oder Obama könnten helfen
Das soll auch ein Video beweisen, dass die Verteidigung kürzlich erhalten haben will. Es soll die ukrainische Pilotin eine Stunde vor dem Tod der Journalisten in den Händen von Separatisten zeigen. Sawtschenko sagt, sie sei nach ihrer Festnahme nach Russland entführt worden. Die russischen Ermittler hingegen werfen ihr vor, sie habe die Grenze nach Russland eigenständig illegal überquert.
Sawtschenkos Anwälte gehen davon aus, dass ihre Argumente vor Gericht nicht durchdringen werden. Denn es handele sich um einen durch und durch politischen Prozess, so Verteidiger Polozow. "Angela Merkel oder Francois Hollande oder Barack Obama könnten zu Putin gehen und sagen: Wladimir, warum hältst du diese Frau fest, lass sie frei. Du weißt doch, dass du im Unrecht bist. Dann passiert vielleicht etwas. Einen anderen Weg gibt es nicht."
Sawtschenko drohen bis zu 25 Jahre Haft. Bei früheren Gerichtsterminen gab sie sich unbeugsam, meist trug sie ein T-Shirt mit dem Wappen der Ukraine. Der Prozess gegen sie findet in Südrussland statt, in der rund 50.000 Einwohner zählenden Stadt Donezk. So solle Berichterstattung erschwert werden, vermuten Sawtschenkos Anwälte. Ihr Antrag, den Prozess nach Moskau zu verlegen, wurde abgelehnt.
Auch ein ukrainischer Regisseur steht vor Gericht
Gleichfalls im Süden Russlands, vor einem Militärgericht in Rostow am Don, hat bereits letzte Woche der Prozess gegen einen weiteren prominenten Ukrainer begonnen: gegen den Regisseur Oleg Senzow. Er stammt von der Krim. Die Anklage wirft ihm vor, er habe dort im April 2014, nach der russischen Annexion der Halbinsel, eine Terrorgruppe gegründet. Diese Gruppe habe, so die Anklage, das Büro einer russischen Gemeinde und die Räume der Kremlpartei Einiges Russland auf der Krim in Brand gesetzt und weitere Anschläge geplant. Nach eigenen Angaben wurde Senzow nach seiner Festnahme von Mitarbeitern des russischen Geheimdienstes gefoltert.
Mit ihm steht Alexander Koltschenko vor Gericht. Beide beteuern ihre Unschuld. Auch Senzow gibt sich, wie Nadjeschda Sawtschenko, unbeugsam. Zum Prozessauftakt vergangene Woche erschien auch er in einem T-Shirt mit ukrainischer Symbolik. Dem Richter teilte er mit: "Mein Gesundheitszustand ist gut. Ich betrachte dieses Gericht nicht als Gericht, Sie können hier verhandeln, was sie wollen."
Oleg Senzow drohen zwanzig Jahre Haft.