Am einfachsten ist in Moskau festzustellen, wen die Kreml-Führung in Kiew ungern als Wahlgewinner sähe: den Amtsinhaber Petro Poroschenko: Das Staatsfernsehen, wie hier in der sonntäglich abends ausgestrahlten, populären Sendung "Vesti Nedeli", zeichnet schon seit Jahren das Bild eines unlauteren Politikers, der die Ukraine ökonomisch und politisch an die Wand gefahren und in die Konfrontation mit Russland geführt habe. Sollte Präsident Poroschenko tatsächlich eine zweite Amtszeit antreten, sei auf ein besseres Verhältnis der beiden Länder nicht zu hoffen, meinen nahezu alle politischen Beobachter in Moskau.
Knappe offizielle Erklärungen
Außer dürren Zeilen des russischen Außenministers Sergej Lawrow, in denen er erklärt, das Ergebnis der Wahlgänge in der Ukraine abwarten zu wollen, gibt es in Moskau kaum hochrangige Äußerungen über die beiden übrigen aussichtsreichen Kandidaten, Wolodymyr Selenskyj und Julija Timoschenko. Der Chefredakteur des Senders "Echo Moskwy", Alexej Wenediktow, kennt oft die Analysen, die hinter den Kreml-Mauern ausgearbeitet, aber nicht öffentlich verbreitet werden. Er sagt,
"dass dort keine dummen Leute sitzen, denen sehr wohl klar ist, dass mit dem Dreigespann aus Selenskij-Poroschenko-Timoschenko in beliebiger Anordnung aus Sicht der Interessen der Russischen Föderation nicht gut Kirschen essen sein wird."
Zerrüttete Verhältnisse
Die Gründe für die Zerrüttung des Verhältnisses mit der Ukraine sind unverändert: Die Krim bleibt annektiert, der Krieg in der Ostukraine, der nachweislich mit russischer Unterstützung fortgesetzt wird, gilt im Sprachgebrauch Moskaus als "Bürgerkrieg" und damit als innere Angelegenheit der Ukraine. Die Loslösung der Ukrainisch-Orthodoxen Kirche aus dem Verbund mit der Russisch-Orthodoxen Kirche wird häufig in die Nähe des Verrats gerückt - Verrat an einer jahrhundertealten, gemeinsamen Geschichte zweier Brüdervölker.
Umso bemerkenswerter war es, als am Freitag vergangener Woche einer der ukrainischen Präsidentschaftskandidaten für einige Stunden zu Gast beim russischen Premier Dmitrij Medwedjew war: Jurij Bojko. Er ist Kandidat der Oppositionsplattform "Für das Leben". Ausführlich wurde über Gaspreise in der Ukraine gesprochen. Es sei falsch, dass die Ukraine den Brennstoff nicht mehr direkt aus Russland beziehe, so Bojko. "Das bedeutet Kosten für unsere Produktion, das bedeutet hohe Gaspreise für Verbraucher, was sich im Leben von praktisch allen in unserem Land wiederspiegelt."
Mit im Raum saß auch Gazprom-Chef Alexej Miller. Der versprach dem Gast, dass es möglich sei, den Gaspreis um ein Viertel zu senken, wenn denn die Ukraine wieder bereit sei, Erdgas direkt beim russischen Staatskonzern zu kaufen. Bojko und sein Mitstreiter Wiktor Medwedtschuk bejahten ihre Bereitschaft dazu. Was ihnen aber fehlt, ist die politische Macht. Die könnten sie jedoch bald ausbauen: wohl kaum bei der Präsidentschaftswahl, aber später bei den ukrainischen Parlamentswahlen im Herbst.
Geopolitik mit russischem Gas
Dabei wird das Thema Gas in den nächsten Monaten noch viel wichtiger werden. Gazprom bereitet sich längst darauf vor, Gas an der Ukraine vorbei nach Europa zu pumpen, worauf eine Reihe von Äußerungen in Moskau hindeutet. Dazu dienen die Pipeline Nord-Stream 2 durch die Ostsee und die zweite Röhre von TurkStream durch das Schwarze Meer. Die Ukraine dürfte Transitgebühren und Verhandlungsmacht verlieren.
Diese weitere Schwächung zu verhindern hatte auch die deutsche Bundesregierung mit Vermittlungen versucht. Wirtschaftsminister Peter Altmaier hatte zweimal Gespräche in Moskau geführt, feste Zusagen von russischer Seite aber gibt es nicht. Die russische Führung ist in der stärkeren Position und kann es sich leisten, weiter abzuwarten.