Wie massiv die Auswirkungen des russischen Angriffkriegs auf die Ukraine auch den Sport betreffen, hat der ukrainische Sportminister Wadym Hutzajt im Dlf deutlich gemacht: "Mehr als 3.000 ukrainische Sportler kämpfen in der Armee, mindestens 244 Athleten und Trainer sind während des Kriegs gestorben. 35 Athleten sind in Gefangenschaft. 344 Sportstätten in der gesamten Ukraine wurden teilweise oder komplett zerstört."
Ein Jahr nach Beginn der Ukraine-Invasion bedankte er sich für die Unterstützung der Länder, die im Ausland lebende ukrainische Athleten während des Kriegs versorgten und ihnen die Möglichkeit gegeben haben, unter modernen Bedingungen zu trainieren. "So konnten sie an Wettbewerben teilnehmen." Das sei von Beginn an wichtig gewesen, "weil sie auch auf diesem Weg unser Land verteidigen können."
Hutzajt ist auch Präsident des Nationalen Olympischen Komitees in der Ukraine und war wie IOC-Präsident Thomas Bach Fechter - allerdings zwei Jahrzehnte später. Hutzajt gewann mit einer gemischten Mannschaft aus zwölf Nachfolgerepubliken der Sowjetunion Gold im Säbelfechten - bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona.
Bachs Überlegungen, russische Sportler wieder an internationalen Wettbewerben teilnehmen zu lassen, sei allerdings für ihn nicht nachvollziehbar oder hinnehmbar. "Sie unterstützen den Krieg. Sie nehmen an Veranstaltungen zur Unterstützung des Kriegs teil."
Die Ukrainer habe das ziemlich entrüstet. "Wenn der Krieg endet, können sie zu den Wettkämpfen zurückkehren. Aber solange der Krieg gegen die Ukraine anhält, sollten sie nicht in die sportliche Arena zurückkehren."
Das Interview in voller Länge:
Maximilian Rieger: Wie hart hat die russische Invasion den ukrainischen Sport getroffen?
Wadym Hutzajt: Der Krieg hat erhebliche Auswirkungen auch auf den ukrainischen Sport. Menschen werden getötet, Sportstätten zerstört, zivile Objekte werden zerstört. Unser Staatsgebiet wird besetzt. Mehr als 3.000 unserer Sportler kämpfen in der Armee, um unser Land zu verteidigen. Mindestens 244 Athleten und Trainer sind während des Kriegs gestorben. 35 Athleten sind in Gefangenschaft. 344 Sportstätten in der gesamten Ukraine wurden teilweise oder komplett zerstört.
"Für uns war es wichtig, zu zeigen, dass die Ukraine stark ist"
Rieger: Es gibt ukrainische Athleten, die zu internationalen Sportwettbewerben fahren und es gibt welche, die an der Front kämpfen. Wer entscheidet darüber, wer was macht? Die Teilnahme an Wettbewerben könnte ja vielleicht sogar wichtiger sein, damit die Ukraine auf dem internationalen Radar bleibt.
Hutzajt: Von den ersten Kriegstagen an war es für uns wichtig, dass ukrainische Athleten an internationalen Sportwettbewerben teilnehmen konnten, weil sie auch auf diesem Weg unser Land verteidigen können.
Als der Krieg begann, waren viele unserer Athleten im Ausland – entweder wegen Wettbewerben oder Trainingslagern. Aber viele haben sich auch in den Gebieten aufgehalten, die von Russland besetzt wurden. Und eine unserer wichtigsten Aufgaben bestand darin, sie und ihre Familien aus diesen Gebieten rauszuholen und in Sicherheit zu bringen. 40 Länder haben unseren Athleten, die zu Kriegsbeginn im Ausland waren, geholfen. Sie haben sie kostenlos versorgt und ihnen die Möglichkeit gegeben, unter modernen Bedingungen zu trainieren. So konnten sie an Wettbewerben teilnehmen.
Für uns war es sehr wichtig, dass bei allen wichtigen Sportwettbewerben Athleten aus der Ukraine vertreten waren, dass die ukrainische Fahne zu sehen war, um der Welt zu zeigen, dass die Ukraine stark ist und bereit sich zu verteidigen. Bei dieser Gelegenheit würde ich gerne allen europäischen Ländern und den USA, auch den Sportverbänden, danken für ihre Hilfe und Unterstützung für unsere Athleten, durch die sie an den Wettbewerben teilnehmen und ihre Trainingslager in diesen Ländern ausrichten konnten. Das war für uns sehr wichtig in dieser schwierigen Zeit.
Rieger: Wenn Sie über Sportler sprechen, die bei internationalen Wettbewerben die Ukraine repräsentieren und wie das auch bei den Kriegsanstrengungen hilft, weil das die Moral erhöht, würde IOC-Präsident Thomas Bach vielleicht kritisieren: Diese Instrumentalisierung von Sportlern entspricht nicht der olympischen Idee, die für Frieden und politische Neutralität steht.
Hutzajt: Wenn es keinen Krieg gäbe, wenn Frieden herrschen würde, wenn unser Land nicht teilweise besetzt wäre, dann würde ich sagen: Ja, der Sport eint die Menschen, Sport bedeutet Frieden. Wir haben uns mit russischen Sportlerinnen und Sportlern bei Wettbewerben getroffen, haben uns unterhalten. Aber wenn ein Krieg stattfindet, wenn ein Genozid am ukrainischen Volk stattfindet, wenn Frauen und Kinder und unsere Soldaten sterben, wie kann man da sagen, dass der Sport eint?
Die Teilnahme russischer Sportler an Wettbewerben ist für uns jetzt nicht hinnehmbar. Kein russischer Athlet hat sich gegen den Krieg ausgesprochen. Sie unterstützen den Krieg. Sie nehmen an Veranstaltungen zur Unterstützung des Kriegs teil. Ich kann nicht nachvollziehen, warum Bach diese Diskussion nach einem Jahr begonnen hat. Das ist für uns nicht hinnehmbar und hat uns Ukrainer ziemlich entrüstet.
Wenn der Krieg endet, können sie zu den Wettkämpfen zurückkehren. Aber solange der Krieg gegen die Ukraine anhält, sollten sie nicht in die sportliche Arena zurückkehren.
"Athleten, die gegen den Krieg eintreten, werden nicht nominiert werden"
Rieger: Aber es gibt auch einige Athleten, nicht viele, aber zum Beispiel aus Belarus, die ins Gefängnis gekommen sind, weil sie sich gegen den belarussischen Staatschef Viktor Lukaschenko gewandt haben. Gibt es irgendwelche Umstände, unter denen Sie und die Ukrainer damit einverstanden wären, dass einige Sportler mit russischem oder belarussischem Pass teilnehmen dürfen, zum Beispiel an den Olympischen Spielen in Paris?
Hutzajt: Das ist eine schwere, harte Entscheidung. Wenn sie wirklich gegen den Krieg eintreten, wird ihnen von ihren Ländern die Teilnahme verwehrt werden. Deswegen bin ich sicher, dass diese Länder solche Athleten gar nicht zu den Olympischen Spielen entsenden, etwa unter einer neutralen Flagge.
Rieger: Mehr als 30 Länder, darunter auch Deutschland, die USA und Großbritannien, haben gerade noch mal bekräftigt, dass es für sie derzeit keinen Grund gebe, von dem Ausschluss russischer und belarussischer Sportler abzurücken. Wie wichtig ist diese Unterstützung von westlichen Regierungen für Sie?
Hutzajt: Ich würde mich sehr gerne bei diesen 30 Ländern bedanken für ihre Unterstützung und ihr Verständnis für die ukrainische Position, dass keine russischen oder belarussischen Athleten an internationalen Wettbewerben teilnehmen sollen, auch nicht an den Olympischen Spielen. Diese Hilfe und Unterstützung ist sehr wichtig für uns. Wir wünschen, dass das IOC das sieht und alles tun wird, dass sich seine Position nicht verändert.
"Einige Verbände verstehen nicht, was in der Ukraine passiert"
Rieger: Aber Sie haben „nur“ die politische Unterstützung aus westlichen Staaten. Viele Sportverbände und einige Nationale Olympische Komitees scheinen aber mit der Art und Weise einverstanden zu sein, wie das IOC das Thema jetzt angeht. Und am Ende sind es die Sportverbände, die die Entscheidungen treffen müssen. Wie gehen Sie mit diesen unterschiedlichen Haltungen um?
Hutzajt: Zunächst einmal gibt es viele Sportverbände, die gegen eine Rückkehr russischer und belarussischer Athleten auf die Bühne des Sports sind. Es gibt aber auch einige Verbände, die mit einer Rückkehr einverstanden wären. Letztere verstehen nicht, was in der Ukraine passiert. Dass viele Menschen hier getötet werden, sterben, dass ein Genozid an ihnen verübt wird. Wenn sie das mit ihren eigenen Augen sehen würden, würden sie ihre Position ändern.
Und es ist mein Wunsch und ich bitte alle internationalen Sportverbände, uns zu unterstützen und es nicht zuzulassen, dass russische und belarussische Athleten wieder an Wettkämpfen teilnehmen dürfen, egal unter welcher Flagge. Ich will mich noch einmal bei den Sportverbänden bedanken, die uns unterstützen. Und ich bitte sie darum ihre Anstrengungen aufrechtzuerhalten, so dass russische und belarussische Sportler bis zum Endes des Kriegs von internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen bleiben.
Rieger: Was würde passieren, falls Sie die Unterstützung der Sportverbände und vom IOC nicht bekommen und die Mehrheit von russischen und belarussischen Athleten wieder zu internationalen Wettkämpfen zugelassen wird?
Hutzajt: Wir glauben, dass das nicht passieren wird. Aber falls es doch passiert, würde ich mich als Präsident des Nationalen Olympischen Komitees für einen Boykott aussprechen. Der Wert unseres Lebens und der Wert derer, die unser Land verteidigen und für unsere Unabhängigkeit ihr Leben verlieren, ist größer als eine Teilnahme an den Olympischen Spielen.
Ich verstehe, dass eine Teilnahme an den Olympischen Spielen der größte Wunsch eines jeden Athleten ist, danach strebt er sein ganzes Leben. Deswegen werden wir eine außerordentliche Mitgliederversammlung des Nationalen Olympischen Komitees einberufen, mit allen Präsidenten der Verbände und mit wichtigen Athleten, und dort werden wir eine gemeinsame Entscheidung treffen: Ob wir die Olympischen Spielen boykottieren oder teilnehmen. Das wird eine gemeinsame Entscheidung sein.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.