Susanne Luerweg: Boris Johnson lobte ihn nach einer Probefahrt, Marion Gräfin Dönhoff schwor auf ihn, Jerry Seinfeld nennt gleich eine ganze Kollektion sein eigen und Andreas Baader klaute ihn sogar. Der Porsche 911 ist das Traumauto vieler, Architekten und Designer schätzen den Sportwagen aus Stuttgart, erdacht und erbaut zu einer Zeit, als Porsche noch nicht mit dem VW-Konzern und dessen Machenschaften direkt in einen Topf geworfen wurde. 2013 feierte der Porsche 911 sein 50-jähriges Jubiläum - ganz VW unabhängig. Damals lieferte Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt die Festschrift zur Feier. Heute, fast vier Jahre später, hat er seine Lobeshymnen auf sein Lieblingsauto neu herausgebracht. Und jetzt begrüße ich ihn am Telefon. Schönen guten Tag.
Ulf Poschardt: Ja guten Tag. Hallo.
"Das ist eine Qualität, die ist singulär"
Luerweg: Herr Poschardt, "less is more - weniger ist mehr", so das Motto von Mies van der Rohe und auch das Geheimrezept für den Porsche 911, sagen Sie in Ihrem Buch. Aber kann man eigentlich wirklich erklären, warum das eine Auto zum Kult wird, zur Stilikone, und das andere, ebenfalls schöne dann doch in der zweiten Reihe landet?
Poschardt: Ich glaube ja. Also Sie haben geschrieben, dass es eine Art Festschrift für ein Auto ist. Ich würde es gerne ein bisschen anders formulieren, ich würde sagen, das ist der Versuch. Es gibt über Autos immer viele Bücher, wenn es ein interessantes Auto ist. Aber ich habe versucht, eine Kultur- und Sozialgeschichte dieses Autos zu erzählen. Und ich glaube, dort erkennt man eigentlich, dass dieser Porsche 911, so wie er konstruiert wurde, wie er designt wurde, so wie er sich anfühlt, wie er sich anhört, so wie er riecht, all das, das passte extrem gut in die Zeit und war gleichzeitig im besten Sinne schon mit seiner Erfindung 1963 sehr klassisch. Das ist eine Qualität, das ist singulär.
Als jemand, der auch viele Bücher über Kunst und Kultur geschrieben hat, das ist halt ein Meisterwerk. Und bei der Rezeption von Meisterwerken gibt es so zwei Genres: Es gibt das anfänglich unverstandene Meisterwerk. Und es gibt das Meisterwerk, das gewissermaßen in der Sekunde, wo es das Licht der Öffentlichkeit erblickt und vorgestellt wird, das sofort verstanden wird. Und wenn man sich die Erfolgsgeschichte von diesem anfänglich ja kaum mehr als ein getunter VW Käfer sein wollendes Sportauto anguckt, war erstaunlich, wie schnell eigentlich das revolutionäre Potential dieses Autos erkannt wurde. Und gleichzeitig es von kleinem Arbeiterkind bis hin zum superreichen Jetset-Millionär es ein Auto wurde, das Träume, Freiheit, Individualität verkörpert hat.
Luerweg: Genau, das schreiben Sie in Ihrem Buch: James Dean, Steve McQueen, Jil Sander. Also die Liste der Promis und Persönlichkeiten, die auf das Auto begeistert reagierten, die ist lang, aber es reagierten auch einige, da will man vielleicht nicht in einer Reihe stehen - also Jörg Haider hat auch einen Porsche gefahren.
Poschardt: Ja, also jeder kann sich ja seine eigenen Reihen konstruieren. Ich glaube, dass es eben sehr individualistische Charaktere anzieht, da gibt es eben solche und solche. Ich versuche da keine moralischen Wertungen vorzunehmen.
"Individualität muss jeden Tag neu erkämpft werden"
Luerweg: Aber Sie weisen auch darauf hin, dass es in den achtziger Jahren mal eine Zeit gab, da war es fast inflationär. Zumindest, wenn man in München wohnte und in die Nobeldisco P1 ging: Da standen dann so viele auf dem Parkplatz, dass die Türsteher schon mal nicht wussten, wem gehört jetzt welcher Porsche.
Poschardt: Absolut.
Luerweg: Das ist dann nicht mehr so individuell gewesen damals, offensichtlich.
Poschardt: Ja. Wie so bei allen Formen des Individualismus neigt auch der Individualist, auch tief in ihm drin gibt es eine Sehnsucht zur Kohorte und irgendwo dazuzugehören. Individualität muss jeden Tag neu erkämpft werden. Sobald sowas zum Trend wird, dann überlegen sich echte Individualisten, ob es nicht auch Alternativen gibt, das ist vollkommen klar.
Luerweg: Also auch, wenn das jetzt furchtbar spaßbremsig klingt, aber in Zeiten wie diesen, darf man da so ein Auto noch fahren und offen gestanden, fahren, wie geht das? In der Regel steht man im Stau - oder wo ist da der Spaß?
Poschardt: Es kommt auf die Arbeitszeiten an. Wenn man früher als alle anderen ins Büro fahren muss und länger als alle anderen arbeitet, um sich so ein Auto zu verdienen, dann steht man eigentlich gar nicht so oft im Stau.
Luerweg: Das sagen Sie jetzt. Das heißt also, nur Großverdiener, die wirklich einen zwölf Stunden Tag haben, für die lohnt es sich dann. Der Rest fährt besser Fahrrad.
Poschardt: Nein. Also Sie haben ja keck gefragt, da habe ich keck geantwortet. Nein, also wenn ich sehr früh ins Büro muss, abends spät nach Hause, was bei mir bedauerlicherweise die Regel ist, dann habe ich diese Stauproblematik nicht. Und oft genug, wenn man Sonntagsmorgen mal richtig schnell fahren will, sind die Autobahnen eigentlich leer. Und dann kann man so ein Auto auch problemlos an den Grenzen Höchstgeschwindigkeit bewegen, das ist überhaupt kein Problem.
Der Porsche in der Literatur und im Film
Luerweg: Bei uns darf man das noch. In Amerika, wo der Wagen auch sehr geliebt wird, speziell in Kalifornien - auch das beschreiben Sie in Ihrem Buch -, da kann man eigentlich sowieso nie schnell fahren. Wo ist dann da das große Vergnügen?
Poschardt: Ich glaube das hat damit zu tun, dass man im Zweifelsfall die Straßen kennt, wo man trotzdem schnell fahren kann. Man muss sich ja nicht zwingend als Verkehrsteilnehmer sklavisch an alle Verkehrsregeln halten. Also ich halte mich natürlich immer dran, logischerweise, aber ich kenne viele Leute, die es nicht tun. Man ist da eigentlich so eine flinke, kleine, hochmotorisierte Einheit - und das macht eigentlich immer Spaß.
Luerweg: In Büchern sind es gerne mal die Bösewichte, die Porsche fahren. Beispielsweise bei Heinrich Böll - also auch das erwähnen Sie in Ihrem Buch – "Die verlorene Ehre der Katharina Blum", da ist es der Boulevard-Journalist, der den Porsche fährt. Bei Herrn Kirchhoff ist es der Finanzjongleur. Also so richtig gut kommt er in der Literatur nicht weg, der Wagen.
Poschardt: Ja, das sind auch gewissermaßen, das sind ja sozusagen die dümmsten Spiegelungen dieses Autos. Also sozusagen dieses Heinrich-Böll-Buch kritisiert ja den Boulevardjournalismus und ist ja als Literatur nur ein kleines Stück weg von Boulevardliteratur und es ist ja ein irre triviales und eigentlich auch so primitives Buch. Aber: Es ist natürlich sehr, sehr lustig, wie dieses Auto bei dem Autor, der dann auch diese Terrorzeit sozusagen thematisiert, und damit natürlich auch die RAF. Und das ist ja alles sozusagen in dem Buch auch mitverwurstet. Dass es gewissermaßen dasselbe Auto ist, das in einem Buch von Heinrich Böll gefahren wird von so einem richtig unsympathischen, miesen Schmierencharakter. Und das in der Realität Andreas Baader deshalb verhaftet werden konnte, weil er dem Fotografen diesen wunderbaren, aber extrem seltenen Porsche 911 S Targa geklaut hat. Also ich habe versucht, in meinem Buch deutlich zu machen - das ist ja das irre -, dass dieses Symbol sozusagen an die zwei verschiedensten Pole einer damaligen gesellschaftlichen Konfrontation appelliert hat.
Und das Buch von Kirchhoff, nun gut, ich finde es einfach so richtig ganz, ganz furchtbar und ich musste es einfach lesen weil wir alle gesagt haben, das ist ein sehr wichtiges Thema, der Porsche drin. Aber man hat halt nichts vom Porsche verstanden und man benutzt es einfach nur sozusagen als so ein Symbol und zeigt einfach, wie ahnungslos man eigentlich ist, was diese kulturelle Chiffre bedeutet. Aber als Feindbild hat Porsche natürlich auch immer gut funktioniert. Ich finde nur, wenn man sich die Filme anguckt - da gibt es ja so einen frühen belgischen Nouvelle-Vague-Film "Le Départ", eine Ayrton-Senna-Dokumentation, es gibt so viel unglaublich interessante Referenzen für dieses Auto. Und diese berühmten Autoren haben es sich eigentlich damit am einfachsten gemacht.
"Piëch ist ein brandgefährlicher Mann"
Luerweg: Ja, man kann es eben nicht immer so passend haben sag ich mal. Herr Poschardt, wer in diesen Tagen über Porsche redet, der kann das nicht tun, ohne über Ferdinand Piëch zu reden und man kann einfach eben nicht über den neuen 911er sprechen. Wie sehr der Konzern gerade eben auch durch die Aussagen des ehemaligen Lenkers gebeutelt wird. Und da haben Sie, glaube ich, gerade gestern geschrieben: "Wie bei vielen Genies liegen Größe und Niederung eng beieinander". Haben Sie Angst vor der Niederung durch Herrn Piëch?
Poschardt: Nein, ich habe versucht, nochmal in dieser kleinen, kommentierten Skizze deutlich zu machen, dass Piëch natürlich ein brandgefährlicher Mann ist. Also der hat ja auch mit seinem Engagement in den späten sechziger Jahren, als er gesagt hat: Okay, Porsche braucht den Durchbruch, wir riskieren das gesamte Unternehmen. Und zwar alles, wirklich jede Schraube, jeden Arbeitsplatz, jede D-Mark, wirklich alles, um in Le Mans zu gewinnen. Und hat gewissermaßen, weil er gesagt hat, wenn wir in Le Mans gewinnen, dann ist es der wichtigste Marketingerfolg, den unsere Marke braucht, um als Sportwagen global sich durchzusetzen, also Sportwagenmarke. Und er hat es durchgezogen und er hat gewonnen. Und ich glaube so mit der Art von Konsequenz und Rücksichtslosigkeit hat der eigentlich immer agiert.
Und deswegen, glaube ich , halten ihn im Augenblick auch alle in Wolfsburg, aber auch in Stuttgart-Zuffenhausen für ein großes Risiko. Aber wenn man sich sein Werk anguckt, und das, was der Mann in seinem Leben geschafft hat, dann kann man nicht anders, als von ihm sehr beeindruckt zu sein. Was aber nicht heißt - und das habe ich versucht, mit der Formulierung deutlich zu machen -, dass nur, weil einer ein brillanter Manager, brillanter Ingenieur und ein brillanter Visionär auch war, nicht eben auch höchst schwierige Persönlichkeitsstruktur haben kann, um es mal ganz vorsichtig zu formulieren. Das ist jetzt auf jeden Fall eine Krise, ich glaube, es ist noch keine existenzielle Krise, aber wenn Ferdinand Piëch den Kriegszug weiterführt, der kann schon viel kaputt machen.
Luerweg: Herr Poschardt, ohne Ihnen zu nahe treten zu wollen. Aber wenn Sie nicht mehr Welt-Chefredakteur möchten, also Porsche-Pressesprecher ginge sicher auch, oder?
Poschardt: Nö, geht nicht. Wenn Sie das Buch genau lesen, dann stehen da auch ganz viele Sachen drin, die in keiner Pressemappe stehen.
Luerweg: Nazizeit verschweigen Sie nicht, stimmt.
Porschardt: ich glaube, da reduziert man Euphorie und Begeisterung für etwas mit einem PR-Faktor. Das finde ich eigentlich eine kleine Beleidigung. Aber ich nehme sie als einen freundlichen Hinweis, dass man sozusagen, wenn man so eine Leidenschaft hegt, dass man sozusagen vielleicht kritischere Untertöne einpflegt in so einem Interview.
Luerweg: Ulf Poschardt, Chefredakteur der Welt, Porscheliebhaber und Verfasser des Buches "Porsche 911 - A Cultural Icon". Und das Buch ist im Gestalten Verlag erschienen. Herr Poschardt, vielen Dank für das Gespräch.
Poschardt: Ich danke Ihnen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.