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Geburt der Mode
Ulinka Rublack präsentiert eine Kulturgeschichte der Renaissance

Albrecht Dürer inszenierte sich als Jesus Christus, die ersten Blondinen waren junge Männer, Teenager trieben ihre Eltern mit Kleiderwünschen in den Ruin: In Ulinka Rublacks Buch „Die Geburt der Mode“ wird die Renaissance zu einem Spiegel, der uns in die Vergangenheit zurückführt.

Von Ralph Gerstenberg | 18.07.2022
Die Historikerin Ulinka Rublack und ihr Buch "Die Geburt der Mode. Eine Kulturgeschichte der Renaissance"
Ulinka Rublack beschreibt in "Die Geburt der Mode", welche Bedeutung Kleidung und äußere Erscheinung schon in der Renaissance hatten (Foto Ulinka Rublack: privat, Buchcover: Klett-Cotta Verlag)
Der Maler Albrecht Dürer legte großen Wert auf sein äußeres Erscheinungsbild. Im Alter von 26 Jahren porträtierte er sich in extravagantem Outfit: weit ausgeschnittenes Leinenhemd, schwarz-weiße Seidenmütze, hauchdünne Lederhandschuhe. Nur zwei Jahre später präsentierte er sich als gestandener Bürger im Marderpelz. Zudem verliehen ihm seine lang getragene Lockenpracht und sein gepflegter Vollbart eine auffällige Christushaftigkeit. In seinem Auftreten verkörperte Dürer „Genialität und Eleganz“, stellt Ulinka Rublack in ihrem Buch „Die Geburt der Mode“ fest. Er sei der erste gewesen, der seine Veränderungen in einer Folge von Selbstporträts dokumentierte.
„In Dürers Welt konnte Mode unterschiedliche Bilder der eigenen Person in immer schnellerer Folge liefern. Seine Arbeit ging aus der langen Zeit seit 1300 hervor, in der immer mehr Menschen sich für den Besitz von immer mehr Dingen interessierten ... Wie Dürer waren aufstrebende Männer in neuen Berufen – von Künstlern über Uhrmacher und Söldnern bis hin zu Parfümeuren und Erfindern – ganz offenbar fasziniert von den Möglichkeiten, mit sozialen Rollen wie auch mit ästhetischen Erfahrungen zu experimentieren.“
Damit sei Albrecht Dürer zu einer Art Prototyp des Renaissancemenschen geworden - jemand, der seiner Individualität Ausdruck verlieh und durch Kleidung, Mode und Stil ein Image kreierte. Das Äußere offenbarte den sozialen Status und den Grad des Wohlstandes, aber auch Neigungen, Fähigkeiten und Mentalitäten.

Mode als Symbolsprache

Ulinka Rublack sieht das Erscheinungsbild als Teil einer „Symbolsprache“, die schon damals in der Lage gewesen sei, komplexe Informationen zu übermitteln.
„‚Was ist hier los?‘, fragte ich mich, als ich eine kaum bekannte Nürnberger Handschrift aus den 1560er Jahren entdeckte, in der drei verschiedene Straßenkehrer in extravaganter Kleidung abgebildet sind.“
Und sie führt weitere Beispiele an.
„Dann stieß ich auf die amüsante Tatsache, dass der Begriff der ‚Blondine‘ zum ersten Mal im Frankreich des 17. Jahrhunderts in Bezug auf perückentragende junge Männer, die ‚blondins‘, auftauchte. Spanische Männer des 16. Jahrhunderts waren dafür bekannt, dass sie mit ihren Brillen einen anspruchsvollen Look kreierten. Je reicher sie waren, desto größer konnten ihre Gläser sein.“
Aus diesen Beobachtungen leitet Ulinka Rublack ihre kulturhistorische Perspektive auf die Renaissance ab. Sie versteht ihr Buch als Einladung, über Äußerlichkeiten als kulturell prägende Praktiken nachzudenken, mit denen die Menschen damals ihrer Welt Bedeutung verliehen. Die Renaissance, schreibt sie, werde zu einem Spiegel, der uns in die Vergangenheit zurückführe. Und Manches in ihrem Buch wirkt tatsächlich erstaunlich zeitgemäß. So stöhnten bereits damals Eltern über die ruinös ausufernden Kleiderwünsche ihrer Sprösslinge im Teenager-Alter.

Konsumlust – ein Phänomen der Renaissance

Mode, schreibt Ulinka Rublack, wurde schon in der Renaissance zu einem bedeutenden Wirtschaftsfaktor.
„Der englische Bühnenautor Ben Jonson schuf für eines seiner Stücke sogar die Figur eines Studenten, der an der Krankheit ,Kleiderruhr‘ litt. Er wanderte mit seinem Schneider durch London, immer auf der Suche nach neuen schönen Moden. Kleider besaßen nicht mehr unbedingt dauerhaften Wert, doch eine wachsende Bevölkerung, die steigende Konsumlust, der Wunsch der Konsumenten, anständig auszusehen [...] sowie kluge, profitsteigernde Strategien von Schneidern und Kaufleuten erklären, warum Textilien im Handel eine solch enorme Rolle spielten.“
In Exkursen über nationale Identitäten, die sich in der Mode ausdrückten, das äußere Erscheinungsbild der Religion, bis hin zur Kleidung der Reformation gibt Ulinka Rublack einen umfassenden Einblick in die rasanten kulturellen Veränderungen jener Epoche. Dass der Mensch den Blick auf sich selbst richtete und sich als Individuum betrachtete, zeigt sich unter anderem am Beispiel des Augsburger Buchhalters Matthäus Schwarz, der von 1497 bis 1574 lebte. Schwarz, der wegen seiner Liebe zu Kostümen als „Kleidernarr“ galt, ließ sich vierzig Jahre lang zu verschiedenen Anlässen, zweimal auch nackt, in einem kommentierten „Trachtenbuch“ abbilden. Ulinka Rublack widmet diesem einzigartigen Zeugnis eines Renaissance-Menschen ein ganzes Kapitel. Sieht sie darin doch eine Biografie in ihrer ganzen Vielschichtigkeit dargestellt. Deshalb diente das Büchlein von Matthäus Schwarz den Zeitgenossen auch nicht als Vorbild, resümiert die Autorin.
„Wer wollte sich selbst schon nach einem Schlaganfall oder als zynischen alten Mann sehen? Er erzählte keine Heldengeschichte, sondern lieferte den Bericht über einen Mann der Frühmoderne im Chaos des Lebens, wie wir ihn wohl kaum genauer bekommen werden, mit seinen Phasen der Würde, der Krise, der Zweifel und Kompromisse. Schwarz‘ Bild- und Textpraktiken offenbaren so auch die Unmöglichkeit einer festen und unveränderlichen Identität ohne Fragezeichen, Überarbeitungen, Lücken oder schmerzliche Erinnerungen.“
Wie an diesem Beispiel gelingt es Ulinka Rublack stets konkret und anhand von beeindruckendem Bildmaterial zu zeigen, wie der Mensch im Zeitalter der Renaissance immer mehr ins Zentrum rückt. Eine Fülle von Details und das hartnäckige Hinterfragen des allzu Offensichtlichen garantieren eine fundierte Analyse und erhellende Einblicke. Und wenn Ulinka Rublack über geschlechtsspezifische Symbolik und moralische Geographien schreibt, wird ihre Kulturgeschichte der Renaissance auch zu einer Sittengeschichte.  Darüber hinaus machen die exzellente Ausstattung und der lebendige Schreibstil der Autorin „Die Geburt der Mode“ nicht nur zu einem höchst lehrreichen, sondern auch zu einem erfreulich unterhaltsamen Buch.
Ulinka Rublack „Die Geburt der Mode: Eine Kulturgeschichte der Renaissance“, Übersetzung: Karin Schuler, Klett-Cotta Verlag, 536 Seiten, 48 Euro.