Ob Cäsar oder Napoleon, Achilles, Robin Hood oder Superman – um die außergewöhnlichen Taten realer und fiktiver Helden ranken sich zahlreiche Geschichten. Doch sie haben es heutzutage schwerer denn je, sagt der Soziologe Ulrich Bröckling. Die "Postheroische Helden", titelgebende Gestalten seines neuen Buches, drängen sich mit auf die Bildfläche.
Miriam Zeh: Herr Bröckling, woran lesen Sie ab, dass die Hochzeit der mutigen Krieger und heroischen Retter vorbei ist und wir stattdessen im "postheroisches" Zeitalter angekommen sind?
Ulrich Bröckling: Zunächst einmal habe ich das abgelesen an der Konjunktur dieses Wörtchens "postheroisch" – meist in der Adjektivform –, das in ganz unterschiedlichen Bereichen auftaucht: im Management, in Fragen der Kriegsführung oder auch in Fragen neuer Persönlichkeitsmodelle. An ganz vielen Stellen tauchte in den vergangenen Jahren die Rede von der "postheroischen Gesellschaft", von der "postheroischen Persönlichkeit" und so weiter auf. Ich habe mich gefragt: Trifft das zu? Weil gleichzeitig ja ein Superhelden-Blockbuster nach dem anderen die Kassenrekorde sprengt, weil im Politischen die Wiederkehr der starken Männer und damit auch eine Art von Heldenfiguren zu beobachten ist. Wir haben also gleichzeitig diese Diagnose vom Postheroischen und auf der anderen Seite aber eben die vielen alten und neuen Heldenfiguren, mit denen wir trotzdem noch weiter zu tun haben.
"Zu viel Pathos, zu viel Männlichkeitsausdünstungen"
Zeh: Es begleitete Sie durch das gesamte Buch eine interessante affektive Reaktion auf gefeierte Helden. "Mir sind sie zutiefst suspekt", schreiben Sie, "zu viel Pathos, zu viel Männlichkeitsausdünstungen, zu viel moralischer Zeigefinger". Trotzdem kommen wir von den Helden in unserer Gegenwart nicht ganz los. Woran liegt das?
Bröckling: Wir werden sie nicht los, weil Helden so etwas wie Problemanzeiger sind. Sie zeigen die Zumutungen, die gegenwärtige Gesellschaften ihren Mitbürgern abverlangen, zum Beispiel Opferbereitschaft. Die Bereitschaft, sich selbst zu opfern, ist ein ganz wesentliches Merkmal, das Heldenfiguren in den Heldengeschichten auszeichnet. Helden sollen Vorbilder sein, wollen Vorbilder sein. Aber Helden lösen keine Probleme, sie sind Problemanzeiger. Die einzigen Probleme, die Helden wirklich lösen, sind vielleicht die, wie man gute, wie man spannende Geschichten erzählt. Aber das ist ja nicht das Entscheidende.
Helden werden in Frage gestellt
Zeh: Haben Sie denn auch dieselbe Antipathie, die Sie gegen die klassischen Helden bei sich gefunden haben, auch noch anderweitig diagnostizieren können?
Bröckling: Ja. Zu dem postheroischen Heldentum gehört eben auch, dass die Heldenfiguren nicht mehr unbestritten sind, dass ihnen Fragen gestellt werden, dass sie mit Skepsis, mit Antipathie betrachtet werden. Dass nicht mehr des einen Held des anderen Schurken ist, sondern dass auch das Prinzip des Heroischen generell in Frage gestellt wird. Und das hat ja gute Gründe. Moderne Gesellschaften, zeitgenössische Gesellschaften sind sehr komplexe Veranstaltungen, in denen sehr viele Menschen und auch nicht-menschliche Akteure beteiligt sind an den Entscheidungsprozessen, an den Problemlösungsprozessen. Und der Traum davon, dass da einer kommt und den Gordischen Knoten mit einem Schlag durchstoßen kann, das ist ein Traum, der einfach in modernen Gesellschaften nicht erfüllt werden kann.
Postheroische Helden sind moralisch einwandfrei
Zeh: Wenn wir jetzt auf diese postheroischen Helden schauen, die unterscheiden sich von den klassischen Helden vor allem durch die Gründe, aus denen sie hervorgehoben werden. Sie nennen, Herr Bröckling, zum Beispiel Helden aus dem Leistungssport oder aus dem ganz normalen Alltag: freiwillige Helfer, engagierte Pflegekräfte. Welche Elemente oder welche Inszenierung hat denn so eine prototypische Postheroenerzählung?
Bröckling: Zunächst mal ist es ganz wichtig, dass das Bewährungsfeld, da wo der Held – oder häufiger inzwischen auch mal eine Heldin – sich bewährt, moralisch einwandfrei ist. Kriegshelden sind zumindest hier in Deutschland doch eher mit großem Fragezeichen versehen. Aber wenn jemand sich im Sozialen besonders hervortut oder erst recht irgendwelche Retterfiguren, die können wir problemlos heroisieren – genauso wie die Helden des Sport. Der Sport bindet etwas für Heldenfiguren ganz Grundsätzliches: dieses Moment des Kämpferischen, des Sich-auszeichnen-Wollens, der außerordentlichen Leistung. Das alles bietet der Sport. Er bietet spannende Inszenierungen von Kämpfen, von Wettkämpfen. Und gleichzeitig ist es etwas, das politisch nicht so brisant oder moralisch so verwerflich ist wie militärisches Heldentum.
Heldengeschichten als "narzisstische Fantasien"
Zeh: Ein Problem scheint mir aber doch zu sein, dass die postheroischen Helden nichtsdestotrotz immer noch Helden sind und verehrt werden, überzeichnet, überhöht. Besteht nicht aus ebendieser Logik der Heroisierung auch die Gefahr, dass jeder postheroische Held, jede postheroische Heldin früher oder später zu demselben pathetischen, moralinsauren und verflachten Typus des klassischen Helden wird, gegen den er oder sie einmal angetreten ist?
Bröckling: Vielleicht nicht ganz genauso. Aber ich sehe es als Problem an, dass diese Form des Heroischen aufrechterhalten bleibt. Die hat Konsequenzen. Heldengeschichten sind immer Geschichten, in denen ganz viele weggelassen werden. Es müssen all die anderen Akteure, die auch an dem, worum es geht, mitgearbeitet haben, ausgeblendet werden. Es ist immer nur um die eine Person, die alles löst, die die Dinge zum Guten wenden. Und so ist es eben in der Wirklichkeit heute nicht. Insofern sind Heldengeschichten immer auch narzisstische Fantasien, in denen wir unsere Wunschträume realisieren. Es wäre schön, wenn es so wäre und wenn es sie gäbe vielleicht – auf der anderen Seite: So schön wäre es dann vielleicht doch nicht. Aber auf jeden Fall ist es nicht so. Insofern ist es eine Illusion, man könnte auch sagen: eine Ideologie. Und das empfinde ich als Problem auch an Heldenfiguren, die uns auf den ersten Blick auch sympathisch erscheinen mögen, denken Sie etwa an Greta Thunberg.
Helden helfen bei aktuellen politischen Konflikten wenig
Zeh: Welche Hoffnung setzen sie denn noch in diese postheroischen Heldenfiguren? Bräuchte es in diesen Tagen beispielsweise an der südlichen Grenze der Europäischen Union eine postheroische Heldin, um die dortige Gewalt zu beenden? Oder hilft uns da das Konzept des Heldentums, auch des Postheldentums auch nicht weiter?
Bröckling: Ich glaube, dass es dort – gerade in den NGOs oder auf Seiten der Flüchtlinge, aber auch bei den Vertretern staatlicher Agenturen – durchaus Menschen gibt, die helfen wollen und das auch tun, die das versuchen unter großen Schwierigkeiten. Aber das, was dort geschieht, kann nicht durch die Tat eines einzelnen oder einer einzelnen gewendet werden. Da braucht es das koordinierte Zusammenwirken ganz vieler. Da braucht es politischen Willen, das zu ändern. Und es braucht vor allem auch eine Mobilisierung hier in der Bundesrepublik, aber auch in den anderen europäischen Ländern braucht es Proteste. Proteste, die wieder fordern, dass Flüchtlinge, die jetzt dort an der Grenze unter katastrophalen Bedingungen ausharren, hier und in die anderen europäischen Länder Einlass finden.
Ich denke, es gibt Menschen, zu denen man aufschauen kann, vor deren Handeln man großen Respekt hat. Aber es macht einen Unterschied, ob man die Helden nennt. Wenn man sie in diesen Heldendiskurs einschreibt, dann kommt dieser ganze Diskurs des Kämpferischen hinein, dieses Moment der Männlichkeit, das an diesem Heldenkonzept einfach dranhängt. Es kommen Momente des Transgressiven, des Eigenmächtigen hinzu. Das ist alles problematisch. Deshalb: Man kann Menschen bewundern, man kann großen Respekt vor ihnen haben. Aber man sollte sich davor hüten, sie als Helden zu feiern.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassung wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Ulrich Bröckling: Postheroische Helden - Ein Zeitbild
Suhrkamp Verlag, Berlin, 277 Seiten, 25 Euro
Suhrkamp Verlag, Berlin, 277 Seiten, 25 Euro