Die Berliner Komponistin Charlotte Seither und der Würzburger Musikwissenschaftler Ulrich Konrad argumentieren aus den Perspektiven ihrer Berufe heraus. Moderator Frank Kämpfer fragt sie auch nach der Instrumentalisierung des Wiener Klassikers durch die Musikindustrie und in Momenten nationaler Identitätsbildung – desweiteren in Zusammenhängen von Kultur und Geschlecht und in Anbetracht von Digitalisierung und Internet.
Prof. Dr. Ulrich Konrad:
"Wenn wir uns an den offiziellen Verlautbarungen zum Beethoven-Jubiläum 2020 orientieren, dann ist der Komponist für uns heute Bonner Weltbürger, Tonkünstler, Humanist und Visionär. Mit diesen positiven Markierungen wird Beethoven in der Gegenwart verortet, und mit ihnen spiegelt er Haltungen der Gegenwart: für ein kosmopolitisches Lebensgefühl, für eine Gesellschaft, in der Musik einen wesentlichen Teil der Zivilisation ausmacht, für die unbedingte Anerkennung der Menschenrechte und für die Hoffnungen auf eine bessere Welt. Beethoven steht als Chiffre für eine Utopie, auf die hin wir uns, so die Meinung, ausrichten sollen."
"Wenn wir uns an den offiziellen Verlautbarungen zum Beethoven-Jubiläum 2020 orientieren, dann ist der Komponist für uns heute Bonner Weltbürger, Tonkünstler, Humanist und Visionär. Mit diesen positiven Markierungen wird Beethoven in der Gegenwart verortet, und mit ihnen spiegelt er Haltungen der Gegenwart: für ein kosmopolitisches Lebensgefühl, für eine Gesellschaft, in der Musik einen wesentlichen Teil der Zivilisation ausmacht, für die unbedingte Anerkennung der Menschenrechte und für die Hoffnungen auf eine bessere Welt. Beethoven steht als Chiffre für eine Utopie, auf die hin wir uns, so die Meinung, ausrichten sollen."
Dr. Charlotte Seither:
"Beethoven? Auf seine Musik kann und will ich als Musikerin nicht verzichten. Das traditionelle Beethoven-Bild jedoch - der Mythos von Freiheit und Gleichheit - erscheint mir höchst fragwürdig. Im Geniekult idealisiert er männliche Schöpferkraft und das Denken in Kategorien der Dominanz - Tendenzen, die bis heute in unsere politischen, kulturellen und ökologischen Systeme hinein nachwirken. Das Genie-geleitete Beethoven-Bild führt also gerade nicht zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Aufklärung. Es hat den Schritt ins 21. Jahrhundert noch nicht vollzogen. Es sabotiert also gerade jene Werte, die wir für eine moderne, zukunftsfähige Demokratie wirklich brauchen: plurale Vielfalt, Relativität, Veränderungsfähigkeit, Resilienz."
"Beethoven? Auf seine Musik kann und will ich als Musikerin nicht verzichten. Das traditionelle Beethoven-Bild jedoch - der Mythos von Freiheit und Gleichheit - erscheint mir höchst fragwürdig. Im Geniekult idealisiert er männliche Schöpferkraft und das Denken in Kategorien der Dominanz - Tendenzen, die bis heute in unsere politischen, kulturellen und ökologischen Systeme hinein nachwirken. Das Genie-geleitete Beethoven-Bild führt also gerade nicht zu Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und Aufklärung. Es hat den Schritt ins 21. Jahrhundert noch nicht vollzogen. Es sabotiert also gerade jene Werte, die wir für eine moderne, zukunftsfähige Demokratie wirklich brauchen: plurale Vielfalt, Relativität, Veränderungsfähigkeit, Resilienz."