Archiv


Ulrich Maly: Versprechen des Bundes wird vor den Rathaustüren abgeladen

Ulrich Maly (SPD) glaubt, dass der Bedarf an Kita-Plätzen vom Familienministerium falsch berechnet wurde. Außerdem sei es nicht in Ordnung, dass die Kommunen allein für die Umsetzung des Betreuungsanspruches zum 1. August verantwortlich seien, beklagte der Nürnberger Oberbürgermeister.

Ulrich Maly im Gespräch mit Mario Dobovisek |
    Mario Dobovisek: Es war ein großes Versprechen zu Zeiten der Großen Koalition, gegeben nach dem sogenannten Krippengipfel vor sechs Jahren. Verdreifachen sollte sich die Zahl der Krippenplätze auf insgesamt 750.000. Viel wurde danach hin- und hergerechnet, der Bedarf ermittelt, der Bedarf definiert, Stichtag der 1. August 2013.

    Drei Wochen also noch, dann gilt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für alle Kinder unter drei Jahren, deren Eltern eine Betreuung wünschen. Soll erfüllt und trotzdem reicht es nicht, lautet gewissermaßen die Bilanz, nachdem die Bundesländer die verfügbaren Betreuungsplätze gemeldet haben.

    Einen der kritisierten SPD-Oberbürgermeister begrüße ich jetzt am Telefon, nämlich jenen aus Nürnberg, der zugleich Präsident des Deutschen Städtetages ist. Guten Morgen, Ulrich Maly.

    Ulrich Maly: Guten Morgen.

    Dobovisek: Was haben Sie in Nürnberg falsch gemacht, Herr Maly?

    Maly: Na alles, wenn man die Frau Haderthauer fragt.
    Karl Graf hat mal gesagt, manche Sachen sind so falsch, dass nicht mal ihr Gegenteil richtig ist. Das trifft, glaube ich, in dem Fall auch zu. Die Frau Haderthauer hat 2005 Kinderkrippen noch für sozialistisches Teufelszeug von Menschen gehalten, die armen Ehepaaren ihre Kinder wegnehmen wollen. Das hat sie wohl vergessen. Es gab in Bayern keinerlei Förderung, nicht einen Cent zum Einrichten von Kindergärten und Kinderkrippen, sodass wir tatsächlich von einer sehr, sehr schlechten Lage aus gestartet sind, auch wir in München und Nürnberg. Ich bin seit zehn Jahren im Amt, ich habe eine krippenfreie Zone vorgefunden in Nürnberg, und wir haben seither knapp 3000 Plätze geschaffen. Schneller geht es fast nicht!

    Dobovisek: Wird jedes Kind unter drei Jahren, dessen Eltern es möchten, ab August einen Betreuungsplatz haben in Nürnberg?

    Maly: Das kann ich nicht versprechen, aber wir haben bislang zumindest kein unversorgtes Kind auf der Straße sitzen lassen müssen und wir werden uns bemühen, dass dieser Zustand anhält. Wir wissen aber auch, dass wir natürlich weiter bauen müssen, weil die 39 Prozent, die die Frau von der Leyen damals in den Raum gestellt hat, natürlich in Großstädten nicht reichen.

    Dobovisek: Über die Quote können wir nachher noch einmal ein bisschen sprechen. Vielleicht lassen Sie uns mal auf die Zahlen selber zurückkommen, die da gestern gemeldet wurden. Wir hören von unserer Korrespondentin, da gab es diplomatisch formuliert zumindest einmal Verwirrung um die Zahlen aus Bayern. Hat das Ministerium versucht zu schönen?

    Maly: Das Problem ist: Keiner kann es Ihnen vermutlich genau sagen. Das Statistische Bundesamt hat ja zum 1. März gezählt, also nicht irgendwelche Bewilligungen, sondern echte Köpfchen gezählt, und kommt bundesweit auf eine deutlich niedrigere Zahl und kommt auch für Bayern auf eine deutlich niedrigere Zahl. Andererseits sind seit 1. März auch wieder eine Menge neuer Einrichtungen in Betrieb gegangen. Ich vermute, die Wahrheit liegt irgendwo zwischen dem Statistischen Bundesamt, die sagen, im Bund 600.000, und der Familienministerin, die behauptet, es seien 800.000.

    Dobovisek: Was heißt das konkret?

    Maly: 700.000. Das liegt in der Mitte.

    Dobovisek: Das schreibt auch ungefähr Ihr Geschäftsführer Stephan Articus. Warum sind Sie da nicht so deutlich?

    Maly: Wir wissen es ja auch nicht. Wir machen natürlich Umfragen unter unseren Mitgliedern, aber das sind keine Zwangsumfragen. Nicht jeder meldet alles. Es gibt auch unterschiedlichste Modelle. Manche zählen Krippengruppen, die altersübergreifend sind, nicht dazu, andere zählen sie dazu. Im Moment würde ich behaupten, gibt es in Deutschland keinen, der Ihnen das sagen kann. Ich finde aber auch, dass dieser Streit um die richtige Zahl ein müßiger ist, denn der verdrießt die Menschen, die ganz konkret einen Platz suchen. Mein Vorschlag zur Rechenmethode ist: Wir bauen so lang weiter, bis das letzte Kind in Deutschland, das einen Platz braucht, den auch gefunden hat.

    Dobovisek: Wie groß wird dann am 1. August die Überraschung sein für diejenigen, die keinen Platz bekommen werden? Wie viele werden das sein?

    Maly: Ich weiß es genauso wenig, tut mir leid. Ich hoffe, dass es nicht zu viele sind. Ich hoffe auch nicht, dass es viele Klagen geben wird. Ich weiß, dass die Bürgermeisterkollegen auch in den großen Städten wirklich gebaut haben, was ging. An vielen Stellen fehlt uns ja noch nicht einmal das Geld, sondern uns fehlen die Standorte mit großzügigen Gärten, die durchlichtet und durchlüftet sind für Kinderkrippen. Ich hoffe, dass keine Katastrophe eintreten wird, aber garantieren kann keiner zum heutigen Tag irgendwas.

    Dobovisek: Kommen wir zurück zur Quote, zur errechneten, zur definierten, zur gegebenen Quote. Wurde der Bedarf von vornherein falsch berechnet?

    Maly: Wir glauben ja. Wir haben immer an zwei Punkten Kritik geübt. Der erste Punkt war die Quote von 39 Prozent, die war durch nichts belegt. Und der zweite Punkt war der Rechtsanspruch zum 1. 8. Wir wussten, dass wir bauen, wir wissen auch, dass wir weiter bauen, natürlich weit über den 1. 8. hinaus, aber dieser Rechtsanspruch führt jetzt dazu, dass ein Versprechen, das der Bund abgegeben hat, abgeladen wird vor den Rathaustüren, und das ist eine Arbeitsteilung, die ist im politischen Betrieb eher unangenehm.

    Dobovisek: Was bedeutet das für Sie konkret hinter den Rathaustüren?

    Maly: Vielleicht Ärger, ich hoffe es aber nicht, auf jeden Fall eine große Management-Aufgabe, weil wir uns bemühen werden, für jedes einzelne Kind eine individuelle Lösung zu finden. Aber es ist eine Arbeitsteilung zwischen den politischen Ebenen, die eigentlich nicht akzeptabel ist.

    Dobovisek: Fühlen Sie sich da allein gelassen vom Bund?

    Maly: Na ja, allein gelassen nicht, was die Finanzen angeht. Da hat der Bund ja mitgezahlt. Ich gehe auch davon aus, dass er weiter mitzahlen wird, so lang, bis wir wirklich Vollversorgung haben. Aber allein gelassen, was den Stil des miteinander Umgehens anbelangt, auf jeden Fall.

    Dobovisek: Einer der großen Kita-Träger, die Arbeiterwohlfahrt, und auch der Kinderschutzbund, sie warnen vor sinkender Qualität durch den schnellen Ausbau von Kindergartenplätzen und fordern bundeseinheitliche Mindeststandards. Warum gibt es die eigentlich nicht?

    Maly: Weil diese Zuständigkeit zunächst Ländersache ist und die Länder den Standard festlegen. Das ist im Kern berechtigt, aber ich glaube nicht, nein ich bin mir eigentlich sicher, dass wir bundesweit nicht jetzt auf irgendwelche Billig-Kitas uns einstellen müssen, denn jeder von uns ist sich bewusst, dass gerade die frühkindliche Bildung und Betreuung hohe Qualität braucht. Also es werden keine Massenunterkünfte für Kleinkinder eingerichtet, sondern dort, wo die öffentliche Hand Kinderkrippen baut, baut sie die seriös und qualitätsvoll.

    Dobovisek: Mehr Kinder, weniger Erzieher – klingt nicht nach wirklich mehr Qualität.

    Maly: Wir haben in vielen Bundesländern parallel zum Ausbau die Anstellungsschlüssel abgesenkt. Das heißt, wir haben jetzt mehr Erzieherinnen und Erzieher pro Kind oder pro Gruppe eingerichtet. Das ist eine große Kraftanstrengung. Da sind wir vielleicht noch nicht am Idealziel, das die Bertelsmann-Stiftung letzte Woche ja mit 1:3 in der frühkindlichen Erziehung definiert hat, aber wir sind auf dem Weg dorthin. Also ich kann Ihnen diese Sorge rauben, die Kinderkrippen-Erziehung in Deutschland wird kein Billigmodell.

    Dobovisek: Der Sozialdemokrat Ulrich Maly, Oberbürgermeister von Nürnberg und Präsident des Deutschen Städtetages. Ich danke Ihnen für das Interview!

    Maly: Bitte schön!


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.