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Ulrich Schneider für "radikale Reform" der Rente

Auf Deutschland rollt eine Lawine altersarmer Menschen zu, sagt Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes. Er fordert, dass die Renten nicht nur über die Lohnabgaben der Angestellten, sondern durch alle Bürger finanziert werden.

Ulrich Schneider im Gespräch mit Jürgen Liminski |
    Sandra Schulz: Hat es so lange gedauert, weil man sich so gerne mag, oder weil die Verhandlungen so schwierig waren? Klar ist: Bis tief in die Nacht hat der Koalitionsausschuss bis Montagfrüh zusammengesessen. Das umstrittene Betreuungsgeld soll jetzt also kommen, die Praxisgebühr fallen, und gegen die Altersarmut hat die schwarz-gelbe Koalition etwas Neues erfunden: die Lebensleistungsrente.

    Als Kuhhandel kritisiert das die Opposition. Lob kam jetzt von Finanzminister Schäuble. Er selbst hatte an den Beratungen nicht teilgenommen, sondern am G20-Finanzministertreffen in Mexiko. Er hält Kritikern jetzt entgegen:

    O-Ton Wolfgang Schäuble: "Das Betreuungsgeld ist natürlich seit Jahren in die Finanzplanung eingestellt, weil es ja schon zu Beginn der Legislaturperiode verabredet worden ist."

    Schulz: Und über die neuen Regeln für eine Mindestrente haben wir hier im Deutschlandfunk mit Ulrich Schneider gesprochen, dem Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes. Zuerst hat ihn mein Kollege Jürgen Liminski gefragt, ob die aufgestockte Rente denn zum Leben reiche.

    Ulrich Schneider: Nein, auf keinen Fall. Das, was jetzt hier beschlossen wurde, heißt, dass man wirklich ganz knapp, vielleicht zehn Euro über Hartz IV liegt, und wir wissen alle, mit Hartz IV ist kein Auskommen. Diese ganzen Summen sind wirklich künstlich kleingerechnet worden. Das ist nicht der große Wurf und das verhindert mit Sicherheit keine Altersarmut.

    Jürgen Liminski: Immerhin hat sich die Regierung des Themas Altersarmut angenommen. Zu wenig, sagen Sie. Was schlagen Sie denn vor?

    Schneider: Na ich denke, was wir brauchen ist erstens eine wirkliche vernünftige Erhöhung der Altersgrundsicherung von jetzt rund 374 Euro auf 420. Das sind mehr als die zehn Euro, die jetzt da vereinbart wurden. Wir brauchen aber darüber hinaus auch wirklich einen Blick wieder aufs Rentenniveau. Wir können es nicht zulassen, dass das Rentenniveau einfach auf 42 Prozent weiter sinkt, und uns dann staunend anschauen, wie die Altersarmut wächst. Wir brauchen die Festschreibung auf 50 Prozent, anders werden wir dieser Lawine altersarmer Menschen, die da auf uns zurollt aus dem Niedriglohnsektor, kaum aufhalten können.

    Liminski: Aber kann das die Rentenkasse tragen? Wenn wir das auf 50 Prozent festschreiben, heißt das doch langfristig, dass die Jüngeren mehr zahlen müssen, die Beiträge steigen.

    Schneider: Das wird die Rentenkasse alleine nicht tragen können. Aber das ist überhaupt der Konstruktionsfehler. Wir tun ja nach wie vor so in der Finanzierung von Renten, als würden wir noch unter Produktionsbedingungen leben wie zu Bismarcks Zeiten.

    Wir haben heute die Situation, dass aufgrund der Produktivitätsfortschritte, aufgrund des Dienstleistungswandels auf dem Arbeitsmarkt Gewinne ganz anders erzielt werden. Heute haben wir ein Notariat, möglicherweise mit Millionen Umsätzen, und die zahlen wegen weniger Arbeitskräfte, die da sind, weniger in die Rentenkasse ein als ein Waschsalon möglicherweise. Das kann es ja nicht sein.

    Sprich: wir müssen bei der Finanzierung von Renten künftig tatsächlich darauf achten, wo finden die Gewinne statt, wo sind die großen Produktivitätsfortschritte, und da müssen wir dann im Zweifelsfalle auch bei der Finanzierung hinschauen. Wir waren in Deutschland schon mal unterm Stichwort Maschinensteuer und Ähnliches an diesem Punkt in der Diskussion wesentlich weiter.

    Liminski: Also weg von der lohnbezogenen Rente?

    Schneider: Weg von der Lohnbezogenheit. Die Lohnbezogenheit kann heute in einem Hightech-Land, wie wir es sind, in einem Dienstleistungsland, wie wir das sind, nicht mehr das Kriterium sein.

    Liminski: Das geht in Richtung des Schweizer Modells, wo ja auch sämtliche Gewinne, sämtliches Einkommen veranschlagt wird für die Rente. Wollen Sie das?

    Schneider: Das ist es! Wir haben zwei Möglichkeiten: Entweder man geht in eine stärkere Steuerfinanzierung rein, dann hat man in der Tat alle beteiligt, je nachdem wie das Steuerrecht aussieht, oder aber man müsste eine Bürgerversicherung aufziehen auch in der Rente, wo alle Einnahmen eine Rolle spielen, die man hat, sprich auch Mieteinnahmen, Kapitalerträge etc. Auch dann würde da wieder ein Schuh draus werden. Aber auf jeden Fall bleibt der Leitsatz: wir müssen die Finanzierung auf wesentlich breitere Füße stellen.

    Liminski: Im Moment haben wir eine Verteilung von unten nach oben, durch diese lohnbezogene Rente. Wenn wir das System ändern, glauben Sie, dass sich dann mehr Gerechtigkeit einstellt - dadurch, dass wir eine Verteilung auch vielleicht von oben nach unten schaffen?

    Schneider: Das ist die große Hoffnung. Nehmen wir zum Beispiel die Frage jetzt einer Zuschussrente, einer Mindestrente, wie immer man das nennen will, womit man die Renten letztlich armutsfest machen muss, um der steigenden Altersarmut zu entgehen. Die Finanzierung kann nur so laufen, dass wirklich alle daran beteiligt werden, auch die, die erst mal mit dem Rentensystem nichts zu tun haben, sprich Beamte beispielsweise, oder Selbständige, dann, wenn die tatsächlich gute Gewinne machen. Alle müssen herangezogen werden. Das kann man entweder organisieren über verstärkte Steuerzuschüsse, oder man kann es organisieren über eine Einbeziehung auch dieser Personenkreise in die Rentenversicherung.

    Liminski: Herr Schneider, Sie fordern hier eine Revolution des Rentensystems.

    Schneider: Zumindest eine sehr radikale Reform, weil alle, glaube ich, doch mittlerweile wissen, dass es so nicht weitergehen kann. Der Weg, den die Politik jetzt sucht, ist im Wesentlichen die Rentenkürzung – unter dem Motto: Wir retten das Rentensystem, aber der Rentner bekommt am Ende nichts mehr raus. Das kann es nicht sein und auch private Vorsorge allein kann es nicht sein, wenn wir immerhin mittlerweile 23 Prozent der Erwerbstätigen im Niedriglohnsektor haben. Wir wissen, die können gar nicht mehr privat vorsorgen. Dann braucht es radikale Ideen!

    Liminski: Geht denn der Schritt der Koalition in Richtung Sockel- oder Basisrente, wovon die Experten angesichts des demographischen Defizits ja ständig reden?

    Schneider: Ja zumindest versucht man hier, lediglich eine kleine Grundsicherung einzuziehen und das zu verbessern, was an Grundsicherung da ist, und kümmert sich eigentlich kaum noch um das, was im eigentlichen Rentensystem darüber hinaus passiert. Das ist eine gefährliche Entwicklung, denn in der Tat: die Menschen wollen ihre Lebensleistung anerkannt haben, sie wollen ihren Lebensstandard zumindest im Blick behalten, und wissen, darum kümmert sich jemand. Und man kann der Politik nur raten, das sehr ernst zu nehmen.

    Schulz: Ulrich Schneider, der Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbandes, hier bei uns im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. Die Fragen stellte Jürgen Liminski.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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