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Ulrike Draesner
"Ein Schatzstück aus dem Schatz der Nibelungen"

Die Schriftstellerin Ulrike Draesner hat das mittelalterliche Heldenepos "Nibelungenlied" neu interpretiert. Sie habe sich mit verschiedenen literarischen Mitteln durch den Stoff bewegt, sagte sie im DLF, mit narrativen oder epischen Gedichten und mit Prosa. Mit der Prosa habe sie das Epos 20 mal wieder erzählt - wie ein "Roman in Pillenform".

Ulrike Draesner im Gespräch mit Jan Drees |
    Die Autorin Ulrike Draesner stellt am 09.10.2014 in Frankfurt/Main (Hessen) ihr Buch "Sieben Sprünge vom Rand der Welt" bei der ARD auf der Buchmesse Frankfurt vor.
    Die Autorin Ulrike Draesner bei einer Buchpräsentation im Jahr 2014. (picture-alliance / dpa / Susannah V. Vergau)
    Jan Drees: Zuvor als Einstieg in jene Welt, die nun immer wieder im Büchermarkt betrachtet werden wird, geht es nach Oxford zu Ulrike Draesner, die nicht nur promovierte Mediavistin ist, sondern auch dort seit vergangenem Jahr lehrt, forscht und an einem neuen Roman arbeitet. Zuletzt bekam Ulrike Draesner im Juli den Nicolas-Born-Preis verliehen. Und heute erscheint zudem ihr Band "Nibelungen. Heimsuchung", ihre lyrische und essayistische Auseinandersetzung mit dem Nibelungenlied. Weshalb ich bereit zu Beginn des in der vergangenen Woche geführten Gesprächs mit Ulrike Draesner wissen wollte, welche Bedeutung mittelalterliche Texte weiterhin für uns moderne Zeitgenossen und speziell für Sie haben?
    Ulrike Draesner: Mich hat am Mittelalter immer angezogen, etwas, was die heutige Situation spiegelt, nämlich, dass eigentlich das Ich, wie wir es kennen oder kannten, in den letzten 200 bis 300 Jahren, dass es das im Mittelalter noch nicht gibt. Das formt sich erst gerade. Ich glaube, wir leben in einer spiegelnden Zeit, in der sich das Verhältnis zu etwas wie dem Kollektiv oder der Gesellschaft wieder ändert, einfach allein durch die digitalen Medien und unsere neuen Verflechtungen.
    "Bereits die Formfindung ist ein Stück der Auseinandersetzung mit dem alten Text"
    Drees: Entstanden ist dann "Nibelungenheimsuchung", und dieses Werkt besteht aus verschiedenen Abschnitten und wird eröffnet durch Gedichte, durch epische Prosagedichte, auch die verschiedene Stellen des Nibelungenliedes bearbeiten. Haben Sie davor gescheut, direkt eine komplette Nachdichtung anzufertigen?
    Draesner: Nein, sondern mich hat einfach verlockt an diesem Angebot des Reclam-Verlages, dass mir die Form einfach freigegeben war. Ich hätte auch einen Essay schreiben können. Für mich ist bereits die Formfindung ein Stück der Auseinandersetzung mit dem alten Text. Es sollte ja keine Übersetzung werden. Ich habe eine Form gewählt, in der die vier wesentlichen Gestalten, Krimhild, Siegfried, Brunhild und Hagen die ganze Geschichte jeweils aus ihrer Perspektive erzählen. Das "Nibelungenlied" ist sowieso relativ fragmentarisch. Das deckt ja einen riesen Zeitraum ab und erzählt in einzelnen Szenen, die auf dramatische Art und Weise wechseln, und diese Herangehensweise habe ich noch mal betont und verschärft, aber auch etwas mit aufgenommen von dem, was wir in unserer heutigen Welt als Leser und auch als wahrnehmende Menschen gewöhnt sind, nämlich zu fragen nach dem Innenleben der Figuren, das im "Nibelungenlied", wie in eigentlich dem Großteil der mittelalterlichen Epik, nicht beschrieben wird, eben weil dieses Ich nicht so greifbar ist, nicht da ist. Es gibt nur Aktion. Ich versuche mithilfe der Gedichte in dieses Innenleben, wie es sich bildet, wie das Ich und die Emotionen sich ausbilden, hineinzusehen anhand dieses dramatischen Stoffes, und am Ende gibt es noch Prosa, die nacherzählt, was im "Nibelungenlied", weil ich mir das immer nicht merken kann.
    "Wie ein Instrument, um in den Kern dieses Textes vorzustoßen"
    Drees: Damit kommen wir eigentlich schon zu der Beantwortung jener Frage, die ich unbedingt auch stellen wollte, denn der Anhang wird eröffnet mit einem Satz, der da lautet: "Immer wieder vergesse ich, was im Nibelungenlied geschieht." Warum vergessen Sie das, und dieses Fragmentarische scheint ja eine der Gründe zu sein?
    Draesner: Ja, sehen Sie, das ist eigentlich die Frage, die ich mir immer noch stelle, und ich nehme sie wie ein Instrument, um in den Kern dieses Textes vorzustoßen, denn ich glaube, da reibt sich etwas aneinander, nämlich die Art und Weise, wie die mittelalterliche Literatur wie Welt wahrgenommen wird und sie erzählt wird und wie wir Zusammenhänge bauen und erzählen. Ich bewege mich mit verschiedenen literarischen Mitteln durch diesen Stoff einmal mit Gedichten, dann mit narrativen oder mit epischen Gedichten und dann mit dieser Prosa, die das "Nibelungenlied" als Roman begreift und als Roman in Pillenform über 20 mal wiedererzählt, um seine verschiedenen Aspekte zu beleuchten, denn für mich ist dieses Epos immer so ein Stückchen wie selbst ein Schatzstück aus dem Schatz der Nibelungen, ein großer Diamant, und wenn man ihn dreht und wendet, funkelt er immer auf andere Art und Weise. Dazu kann man ja noch die Illustrationen von Karl Otto Czeschka sehen vom Beginn des 20. Jahrhunderts und hat dann ganz verschiedene Wege, wie so musikalische Linien, um in diesen Stoff einzutreten und sich eigentlich von diesem Stoff umstellt sein zu lassen. Ich sage das mal etwas holprig, aber das ist eigentlich genau mein Gefühl: Irgendwann steht der Stoff um einen herum und schaut einen zurück an.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.