Der vom Taxifahrer und Hausbesetzer zum Außenminister beförderte Joschka Fischer erfuhr im Nachklang der letztjährigen Friedenspreisverleihung des Deutschen Buchhandels eine weitere Weihe: Er wurde von eifrigen Journalisten zum "Habermasschüler" geadelt. Dass der angebliche Lehrer nicht dementierte, kann man sich noch erklären, dass Fischer selbst aber nicht widersprach, lässt sich wohl nur als ein von realpolitischer Hybris getrübter Blick zurück deuten. Und Fischer ist kein Einzelfall: Nicht wenige Aktivisten der Protestbewegung haben sich im Zuge ihrer Anpassung auf die Legendenbildung verlegt. Der einst radikale Anspruch, die Verhältnisse zum Tanzen zu bringen, ist dem Mitmachen gewichen. Ganz wie bei den damals noch geschmähten Vätern heißt es heute zwinkernd, früher sei man auch mal Kommunist gewesen. Besonders Wendige bekennen sich als Ketzer und nähren sich heute von den Streicheleinheiten einstiger politischer Feinde.
Ulrike Heider zählt sympathischerweise nicht zu diesen real existierenden Renegaten. Aus subjektiver Perspektive versucht sie, nicht ohne Selbstironie, die alten Zeiten der Revolte in Frankfurt wiederzubeleben. Sie erzählt von ihrer eigenen Lebensgeschichte vor dem immer präsenten Hintergrund der Zeitgeschichte. "Keine Ruhe nach dem Sturm" verbindet die Erinnerungen an die Studentenbewegung mit den Erfahrungen der Autorin in den USA, denn Ulrike Heider ist 1988 nach New York gezogen. Die chronologisch geordneten Geschichten, manchmal als Anekdoten daherkommend, sind ineinander motivisch verschränkt.
Ein Motiv, dass sich durch alle Räume und Zeiten zieht, ist das Motiv des Außenseitertums. Schon im Elternhaus macht die Autorin Erfahrungen mit dem Widerspruch gegen den Zeitgeist. Die Eltern haben zahlreiche Freunde aus dem Milieu der Nazi-Gegner, die Mutter hat eine "Sehnsucht nach dem mediterranen Lebensstil" aus Italien mitgebracht, des Vaters Lieblingswort ist "verwegen". Man lehnt sich gegen die mehrheitsübliche Verleugnung der Nazigreuel auf, das Thema war - im Gegensatz zu den meisten anderen Familien in dieser Zeit - hier offenbar kein Tabu. Es ist ein wichtiges Verdienst dieser Erinnerungen, dass sie vor Augen führen, wie sehr die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für die Protestgeneration im Mittelpunkt stand, wie sehr das Erschrecken über das bis dahin weitgehend Verdrängte und Verleugnete die politische und intellektuelle Entwicklung ebenso wie die persönliche beeinflusst hat.
Im elitären humanistischen Lessing-Gymnasium in Frankfurt erfuhr die mittelmäßige Schülerin erste Ausgrenzung, Klassen-Dünkel und den repressiven Muff der Nachkriegszeit. Erst Ende der sechziger Jahre, mit dem Beginn des Germanistik-Studiums in den gesellschaftlichen Aufbruch geraten, erlebte Ulrike Heider im studentischen Protestmilieu das Gefühl, als Außenseiterin willkommen zu sein.
Trotz des sprachlichen Elitarismus der meisten Redner faszinierte mich das antibürgerliche Flair dieser Versammlungen, die sich aus einer Anhäufung von Außenseitern und Nonkonformisten zusammenzusetzen schien. Alle hatten etwas von dem, was mich selbst überall ausschloss. Jeden einzelnen von ihnen konnte ich mir als notorischen Lehrerschreck, einsamen, sensiblen Schulintellektuellen oder schwarzes Schaf seiner Familie vorstellen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich am richtigen Platz.
Ulrike Heider beschreibt bekannte Personen wie Fischer und Cohn-Bendit oder Hans Joachim Klein, weniger bekannte Freunde, Orte wie das legendäre Kolbheim am Beethovenplatz, in dem sie gewohnt hat, Aktionen und Stimmungen - alles ohne den Anspruch der Vollständigkeit oder objektiver Geschichtsschreibung. Sie, die im von den Intellektuellen der Kritischen Theorie geprägten Frankfurter Milieu entscheidende Lebenszeit verbracht hat, versucht nicht, sich nachträglich ins Auge des Taifuns zu rücken. Adorno und Horkheimer, Alfred Schmidt und Hans-Jürgen Krahl, Negt, Habermas und andere erscheinen in der Heiderschen Welt eher am Rande, doch nicht ohne ihre überragende Bedeutung anklingen zu lassen und vor allem nicht in denunziatorischen Karikaturen, wie das bei Wendehälsen aus der zweiten Reihe so in Mode gekommen ist.
Schon seit ihrer Kindheit, schreibt die Autorin, habe sie sich zu Ausgegrenzten, zu Juden, Homosexuellen, Bohemiens und Unterprivilegierten, hingezogen gefühlt. Dieser Vorliebe für ein Leben in Nachbarschaft zu den Mühseligen und Beladenen, ebenso wie für die Freundschaften zu Menschen, die dem Anarchosyndikalismus verbunden sind, bleibt sie auch in den USA treu.
Schon in den frühen Tagen der Revolte war sie vom Anarchismus fasziniert und zählte sich zum antiautoritären Teil der Bewegung. Das blieb auch so, als sich - 1969 schon - die Linke spaltete, sich große Teile den diversen dogmatischen Ideologien des Parteikommunismus zuwandten, in der trügerischen Hoffnung, damit die Arbeiterklasse auf den rechten Weg führen zu können. Diese ordentliche und disziplinierte Spezies der Linken geht der Autorin offenbar bis heute besonders gegen den Strich.
Ulrike Heider verschweigt in ihrem Buch auch das alltägliche Elend des Zerfalls der Bewegung in den 70er Jahren nicht, die schleichende Auflösung des solidarischen Zusammenlebens und -arbeitens in den besetzten Frankfurter Häusern und Kommunen, die lebensgeschichtlichen Katastrophen, die dieser Zerfall bei Einzelnen auslöste, bis hin zum Selbstmord.
Der Neuanfang in New York erscheint in dieser Erzählung nicht als Flucht, sondern eher als Aufbruch, als Kontinuität für eine Frau, die sich etwas zumuten will, die sich mit dem Einrichten in den Verhältnissen nicht abfinden will. Mag sein, dass die Spur Selbstinszenierung, die Ulrike Heider an sich schon als Jugendliche entdeckt hatte, auch bei der Interpretation solcher Lebensentscheidungen ein wenig Regie führt.
"Fährst du mit dem Schiff?", fragte mein Vater, als ich ihn das letzte Mal sah. Er war damals schon sehr krank und oft verwirrt, vermischte Vergangenheit und Gegenwart, vergaß, wo er war und kam auf merkwürdige Gedanken. Er muss an die Freunde gedacht haben, die seinerzeit in den 30er Jahren mit dem Schiff nach Amerika fuhren, wenn sie das Glück hatten, noch eins zu bekommen. Als ich fort war, fragte er meine Mutter, warum ich gegangen sei, ob mir jemand etwas angetan habe.
Leider vermisst man, wie heutzutage nicht selten bei neuen Büchern, manchmal die Hand eines strengen Lektors, der sprachliche Holprigkeiten zum Verschwinden bringt. Ein weiterer kleiner Mangel ist der fehlende Anhang. Man kann wohl heute kaum voraussetzen, dass jeder Leser weiß, was es mit den italienischen Gruppen 'Lotta continua' oder 'Potere operaio'' auf sich hatte. Und gerade für jüngere Leser, die die Zeit der Protestbewegung nicht mehr aus eigener Anschauung kennen, ist Ulrike Heiders Buch eine lesenswerte Einführung.
Karin Beindorff über Ulrike Heider: "Keine Ruhe nach dem Sturm", Verlag Rogner und Bernhard, Hamburg, 327 Seiten; 16,65 Euro.
Ulrike Heider zählt sympathischerweise nicht zu diesen real existierenden Renegaten. Aus subjektiver Perspektive versucht sie, nicht ohne Selbstironie, die alten Zeiten der Revolte in Frankfurt wiederzubeleben. Sie erzählt von ihrer eigenen Lebensgeschichte vor dem immer präsenten Hintergrund der Zeitgeschichte. "Keine Ruhe nach dem Sturm" verbindet die Erinnerungen an die Studentenbewegung mit den Erfahrungen der Autorin in den USA, denn Ulrike Heider ist 1988 nach New York gezogen. Die chronologisch geordneten Geschichten, manchmal als Anekdoten daherkommend, sind ineinander motivisch verschränkt.
Ein Motiv, dass sich durch alle Räume und Zeiten zieht, ist das Motiv des Außenseitertums. Schon im Elternhaus macht die Autorin Erfahrungen mit dem Widerspruch gegen den Zeitgeist. Die Eltern haben zahlreiche Freunde aus dem Milieu der Nazi-Gegner, die Mutter hat eine "Sehnsucht nach dem mediterranen Lebensstil" aus Italien mitgebracht, des Vaters Lieblingswort ist "verwegen". Man lehnt sich gegen die mehrheitsübliche Verleugnung der Nazigreuel auf, das Thema war - im Gegensatz zu den meisten anderen Familien in dieser Zeit - hier offenbar kein Tabu. Es ist ein wichtiges Verdienst dieser Erinnerungen, dass sie vor Augen führen, wie sehr die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für die Protestgeneration im Mittelpunkt stand, wie sehr das Erschrecken über das bis dahin weitgehend Verdrängte und Verleugnete die politische und intellektuelle Entwicklung ebenso wie die persönliche beeinflusst hat.
Im elitären humanistischen Lessing-Gymnasium in Frankfurt erfuhr die mittelmäßige Schülerin erste Ausgrenzung, Klassen-Dünkel und den repressiven Muff der Nachkriegszeit. Erst Ende der sechziger Jahre, mit dem Beginn des Germanistik-Studiums in den gesellschaftlichen Aufbruch geraten, erlebte Ulrike Heider im studentischen Protestmilieu das Gefühl, als Außenseiterin willkommen zu sein.
Trotz des sprachlichen Elitarismus der meisten Redner faszinierte mich das antibürgerliche Flair dieser Versammlungen, die sich aus einer Anhäufung von Außenseitern und Nonkonformisten zusammenzusetzen schien. Alle hatten etwas von dem, was mich selbst überall ausschloss. Jeden einzelnen von ihnen konnte ich mir als notorischen Lehrerschreck, einsamen, sensiblen Schulintellektuellen oder schwarzes Schaf seiner Familie vorstellen. Zum ersten Mal in meinem Leben fühlte ich mich am richtigen Platz.
Ulrike Heider beschreibt bekannte Personen wie Fischer und Cohn-Bendit oder Hans Joachim Klein, weniger bekannte Freunde, Orte wie das legendäre Kolbheim am Beethovenplatz, in dem sie gewohnt hat, Aktionen und Stimmungen - alles ohne den Anspruch der Vollständigkeit oder objektiver Geschichtsschreibung. Sie, die im von den Intellektuellen der Kritischen Theorie geprägten Frankfurter Milieu entscheidende Lebenszeit verbracht hat, versucht nicht, sich nachträglich ins Auge des Taifuns zu rücken. Adorno und Horkheimer, Alfred Schmidt und Hans-Jürgen Krahl, Negt, Habermas und andere erscheinen in der Heiderschen Welt eher am Rande, doch nicht ohne ihre überragende Bedeutung anklingen zu lassen und vor allem nicht in denunziatorischen Karikaturen, wie das bei Wendehälsen aus der zweiten Reihe so in Mode gekommen ist.
Schon seit ihrer Kindheit, schreibt die Autorin, habe sie sich zu Ausgegrenzten, zu Juden, Homosexuellen, Bohemiens und Unterprivilegierten, hingezogen gefühlt. Dieser Vorliebe für ein Leben in Nachbarschaft zu den Mühseligen und Beladenen, ebenso wie für die Freundschaften zu Menschen, die dem Anarchosyndikalismus verbunden sind, bleibt sie auch in den USA treu.
Schon in den frühen Tagen der Revolte war sie vom Anarchismus fasziniert und zählte sich zum antiautoritären Teil der Bewegung. Das blieb auch so, als sich - 1969 schon - die Linke spaltete, sich große Teile den diversen dogmatischen Ideologien des Parteikommunismus zuwandten, in der trügerischen Hoffnung, damit die Arbeiterklasse auf den rechten Weg führen zu können. Diese ordentliche und disziplinierte Spezies der Linken geht der Autorin offenbar bis heute besonders gegen den Strich.
Ulrike Heider verschweigt in ihrem Buch auch das alltägliche Elend des Zerfalls der Bewegung in den 70er Jahren nicht, die schleichende Auflösung des solidarischen Zusammenlebens und -arbeitens in den besetzten Frankfurter Häusern und Kommunen, die lebensgeschichtlichen Katastrophen, die dieser Zerfall bei Einzelnen auslöste, bis hin zum Selbstmord.
Der Neuanfang in New York erscheint in dieser Erzählung nicht als Flucht, sondern eher als Aufbruch, als Kontinuität für eine Frau, die sich etwas zumuten will, die sich mit dem Einrichten in den Verhältnissen nicht abfinden will. Mag sein, dass die Spur Selbstinszenierung, die Ulrike Heider an sich schon als Jugendliche entdeckt hatte, auch bei der Interpretation solcher Lebensentscheidungen ein wenig Regie führt.
"Fährst du mit dem Schiff?", fragte mein Vater, als ich ihn das letzte Mal sah. Er war damals schon sehr krank und oft verwirrt, vermischte Vergangenheit und Gegenwart, vergaß, wo er war und kam auf merkwürdige Gedanken. Er muss an die Freunde gedacht haben, die seinerzeit in den 30er Jahren mit dem Schiff nach Amerika fuhren, wenn sie das Glück hatten, noch eins zu bekommen. Als ich fort war, fragte er meine Mutter, warum ich gegangen sei, ob mir jemand etwas angetan habe.
Leider vermisst man, wie heutzutage nicht selten bei neuen Büchern, manchmal die Hand eines strengen Lektors, der sprachliche Holprigkeiten zum Verschwinden bringt. Ein weiterer kleiner Mangel ist der fehlende Anhang. Man kann wohl heute kaum voraussetzen, dass jeder Leser weiß, was es mit den italienischen Gruppen 'Lotta continua' oder 'Potere operaio'' auf sich hatte. Und gerade für jüngere Leser, die die Zeit der Protestbewegung nicht mehr aus eigener Anschauung kennen, ist Ulrike Heiders Buch eine lesenswerte Einführung.
Karin Beindorff über Ulrike Heider: "Keine Ruhe nach dem Sturm", Verlag Rogner und Bernhard, Hamburg, 327 Seiten; 16,65 Euro.