Es ist kein leichtes Interview für die angesehene spanische Journalistin Angels Barceló vom Radiosender Cadena Ser. Ihr gegenüber sitzt im Studio Javier Ortega Smith, Generalsekretär von Vox. Diese neue, ultrarechte Partei hat gerade die Abschaffung eines Gesetzes zum Schutz von Frauen gegen häusliche Gewalt gefordert. Der Politiker versucht das zu erklären:
"Weil wir die Frauen lieben, wollen wir, dass sie frei sind und nicht unter dem Joch der Gender-Ideologie leben müssen. Die Gender-Ideologie kommt von den internationalen Lobbys, den Vereinten Nationen. Das Gesetz gegen die Gewalt gegen Frauen ist gescheitert, obwohl dafür Millionen ausgegeben worden sind. Davon leben übrigens die großen Büros der Rechtsanwältinnen, diese Femin-Nazis, diese radikalen Frauenrechtlerinnen…"
Taktischer Fehler oder gezielte Provokation?
"Wir verstehen Sie schon", unterbricht die Journalistin seinen Redefluss. Seit 2004 gibt es in Spanien ein Gesetz zum Schutz von Frauen vor der Gewalt ihrer Partner. Die Journalistin erinnert daran, dass seither die Zahl der ermordeten Frauen deutlich zurückgegangen ist. Die spanische Öffentlichkeit verfolgt das Thema mit großer Sorge. Mit ihrer Polemik begehe Vox einen taktischen Fehler, glaubt der Politologe Pablo Simón:
"Es gibt einen breiten gesellschaftlichen und politischen Konsens beim Thema Gewalt gegen Frauen. Vox scheint der Versuchung zu erliegen, sich in dieser Frage unbedingt gegen das Establishment zu wenden. Sie wissen, alle werden gegen sie sein, die Frauenbewegung, die anderen Parteien, die Medien. Die große Frage ist, was macht ihr wichtigster politischer Gegner, die Volkspartei? Und sie ist inzwischen gespalten."
Denn Vox hat die Abschaffung des Gesetzes zum Schutz von Frauen zur Bedingung für einen Regierungswechsel in Andalusien gemacht. Und der Kandidat der Volkspartei für den Posten des andalusischen Ministerpräsidenten, Juan Manuel Moreno Bonilla, hat sich verhandlungsbereit gezeigt. In seiner Rede vor dem Parlament sagte er:
"Für Reformen brauchen wir Zeit und Mehrheiten. Ich bin bereit, mit allen zu sprechen und schließe niemanden aus. Wir dürfen dabei keine Komplexe haben, keine Vorurteile, wir dürfen niemanden isolieren. In diesem Parlament gibt es eine legitime und deutliche Mehrheit für einen Wandel."
Ausweisung von Ausländern ohne Papiere, Abtreibungsverbot
Die Parteiführung in Madrid hatte diese Strategie vorgegeben. Obwohl Vox auch eine Ausweisung aller Ausländer ohne Papiere fordert, eine Rezentralisierung Spaniens bei der Bildungs-, Gesundheits, Justiz- und Sicherheitspolitik, außerdem ein Ende der Suche der Gebeine von Bürgerkriegsopfern, oder ein Abtreibungsverbot. Auch wenn sich diese Forderungen derzeit gar nicht umsetzen lassen, verschiebe Vox damit den Rahmen der gesellschaftlichen Debatte nach rechts, sagt Politikwissenschaftler Simón. Die politische Theorie spreche vom "Overton-Fenster":
"Es gibt den Rahmen vor, welche Ansichten oder Forderungen mehr oder weniger akzeptiert werden können, ohne radikal zu wirken. Vox verschiebt dieses Fenster, wenn sie etwa die Maßnahmen zum Schutz von Frauen kritisiert. Die Volkspartei hilft dabei mit, wenn sie einen Teil dieser Haltung übernimmt. Und schließlich trauen sich auch die Wähler von Vox, ihre bislang als radikal eingestuften Ansichten im privaten Umfeld und in den sozialen Netzwerken zu verbreiten. Damit ändert sich der gesellschaftliche Konsens."
Was nicht nur in Andalusien Folgen haben dürfte. In Spanien stehen neben der Europawahl auch Kommunal- und Regionalwahlen an, womöglich muss Regierungschef Pedro Sánchez sogar die Parlamentswahlen vorziehen, wenn er für seinen gerade vorgelegten Haushalt keine Mehrheit findet. Politologe Simón:
"Das Problem an Vox ist nicht die Frage, ob sie verfassungsfeindlich ist oder nicht. Es gibt Leute, die eine Republik fordern, das ist genauso legitim wie die Forderung nach einer Rückkehr des Zentralstaats. Vox verengt aber den Kreis derer, für die die Bürgerrechte gelten und wendet dabei Kriterien wie die Herkunft an, oder die Lebensweise. Sie wollen bestimmen, wer ein guter Spanier ist. Das passt nicht in eine demokratische Debatte."