Kaiser Wilhelm II. war ein ausgesprochener Vielredner mit einer Vorliebe für prägnante Schlagworte und markige Formulierungen. Manche Aussprüche wurden außerordentlich populär und sind zum Teil heute noch bekannt, darunter "Unsere Zukunft liegt auf dem Wasser", "Pardon wird nicht gegeben" und "Ich kenne keine Parteien mehr, ich kenne nur Deutsche". Kaiser Wilhelm II. galt als Stichwortgeber der Nation. Es gab kaum ein Gebiet, zu dem er sich nicht äußerte, und dies nicht immer zum Wohlgefallen seiner Regierung. Welche politische Wirkung er mit seinen Reden erzielte, hat der Historiker Michael A. Obst untersucht. Seine Darstellung überschrieb er mit einem geflügelten Wort des Kaisers: "Einer nur ist Herr im Reiche". Otto Langels rezensiert.
"Hart sein im Schmerz, nicht wünschen, was unerreichbar oder wertlos, zufrieden mit dem Tag, wie er kommt."
Ein Ausschnitt aus einer pathetischen Rede Kaiser Wilhelms II. aus dem Jahre 1904. Darin rief er seine Untertanen zu Bescheidenheit und Respekt gegenüber der Schöpfung und den Mitmenschen auf. Kaiser Wilhelm ließ kaum eine Gelegenheit aus, sich an sein Volk zu wenden, an Soldaten, Ehrengäste, Würdenträger oder Parlamentarier. Weit über 2000 Reden sind aus seiner 30-jährigen Regentschaft überliefert. Der Historiker Michael A. Obst:
"Er hat geredet bei Besuchen in Städten, bei Besichtigungen von Truppeneinheiten, bei Eröffnung prominenter Bauwerke, bei Schiffstaufen, bei Staatsbesuchen ausländischer Staatsgäste, oder wenn er selber im Ausland gewesen ist, bei der Eröffnung des Reichstags. Also es gibt eine Fülle von Gelegenheiten, und er hat sie alle wahrgenommen."
Der Wuppertaler Historiker Michael A. Obst hat für seine Dissertation, die der Buchveröffentlichung zugrunde liegt, die Reden Kaiser Wilhelms eingehend analysiert. Der Autor hält sie für eine der bisher wenig beachteten Hauptquellen, um den intellektuellen Horizont und die politischen Intentionen des Monarchen zu beurteilen. Allerdings zeigt sich hier auch ein Dilemma der Untersuchung, denn der Kaiser war in seinen häufig spontan gehaltenen Ansprachen äußerst widersprüchlich und sprunghaft. Michael A. Obst:
"Man kann aus den Reden einen ausgesprochen friedliebenden Kaiser herauslesen, man kann aber auch einen säbelrasselnden, martialischen Kaiser darin sehen. Man kann ausgesprochen liberale Positionen finden, aber auch ultrakonservative. Und es kann das, was an einem Tag gesagt ist, nach wenigen Tagen schon völlig seine Gültigkeit verloren haben. Also Wilhelm war ausgesprochen wankelmütig, und was in seinen Reden nach außen drang, war entsprechend."
Eine politische Programmatik lässt sich aus den Reden kaum herauslesen, allenfalls eine Vorliebe für bestimmte Topoi, mit denen Kaiser Wilhelm seinen Herrschaftsanspruch zementieren wollte: Er kam immer wieder auf die herausgehobene Rolle der Monarchie, des Militärischen und des Preußentums zu sprechen, er brachte seine Verachtung für alles Zivile zum Ausdruck, er betonte ständig das Streben nach Expansion und weltpolitischer Größe.
Das Augenmerk der Untersuchung liegt auf der politischen Wirkung, die der deutsche Monarch mit seiner Rhetorik erzielte. Michael A. Obst untersucht akribisch eine Vielzahl kaiserlicher Reden, dies allerdings in einer Ausführlichkeit, die zu Redundanzen führt. Im Unterschied zu anderen Staatsoberhäuptern und im Gegensatz auch zu Wilhelm I. zeichnete sich Kaiser Wilhelm II. in seinen Ansprachen nicht durch diplomatisches Geschick und politische Zurückhaltung aus.
"Am bedeutendsten und immer noch am bekanntesten ist der berühmte Ausspruch aus der sogenannten Hunnenrede, als Wilhelm sagte: "Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht." Und den deutschen Truppen, die nach China auszogen, um den sogenannten Boxeraufstand niederzuschlagen, empfahl er sich so zu benehmen, dass kein Chinese es wage, auf 1000 Jahre einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."
So geschehen am 27. Juli 1900 in Bremerhaven. Ein Regierungsvertreter forderte noch während der Ansprache des Monarchen die anwesenden Journalisten auf, nicht den Redetext, sondern eine redigierte offizielle Textfassung zu verbreiten, aber die Veröffentlichung der verstörenden Passagen war nicht zu verhindern. Die Hunnenrede hatte in Deutschland - vor allem aber im Ausland - eine verheerende Wirkung. Dort erschien Wilhelm II. als oberster Repräsentant eines militaristischen und inhumanen Kaiserreiches.
Die deutschen Truppen wiederum betrachteten die Worte des Kaisers als Freibrief für ein schonungsloses Vorgehen gegenüber der chinesischen Bevölkerung. Der Reichsregierung gelang es nicht, den Redefluss Wilhelms einzudämmen. Da der Monarch die Personalpolitik bestimmte, hätte eine offene Kritik der kaiserlichen Rhetorik unweigerlich zu Rücktritten geführt.
"Es gab weder von den Reichskanzlern noch den sonstigen Regierungen Interesse, direkte Konflikte heraufzubeschwören. Deswegen hat man sich eher informeller Methoden bedient. Eine klassische Methode ist, den berühmten Kaiserfreund Philipp Eulenburg vorzuschieben und ihm sozusagen nahezulegen, dem Kaiser zu raten, eine vorsichtige Rede zu halten."
Erst die Daily-Telegraph-Affäre bremste den ungehemmten Redefluss Kaiser Wilhelms. In einem Interview mit der englischen Zeitung im Jahr 1908 hatte er sich zu außenpolitischen Themen in einer Form geäußert, die im In- und Ausland als anmaßend, beschämend, indiskret und bedenklich bezeichnet wurde und das Selbstvertrauen des Monarchen sichtlich erschütterte. Die Öffentlichkeit war empört über die kaiserlichen Prahlereien, dass er mit seiner englandfreundlichen Haltung zu einer Minderheit im eigenen Land gehöre, und die von den Briten mit Argwohn verfolgte deutsche Flottenpolitik nur dazu diene, dem Deutschen Reich weltweit Geltung zu verschaffen. Zumindest bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hielt sich Wilhelm dann weitgehend an vorbereitete Redetexte.
"Es muss denn das Schwert nun entscheiden.",
verkündete Kaiser Wilhelm in seinem Aufruf an das deutsche Volk am 6. August 1914.
"Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen. Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande."
Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Novemberrevolution im Jahr 1918 waren zugleich auch das Ende der deutschen Monarchie. Mit seinen unbedachten Äußerungen sei Kaiser Wilhelm daran nicht ganz unschuldig gewesen, davon ist der Autor überzeugt:
"Er hatte das Ziel, den monarchischen Gedanken zu fördern, dafür Werbung zu machen, und hat letztendlich zur Erosion der Monarchie beigetragen. Und wenn man das so sieht, muss man sagen, dass er an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist."
Die Darstellung Michael A. Obsts über Kaiser Wilhelm als politischen Redner bestätigt die Befunde, wie sie zum Beispiel John Röhls große, mehrbändige Biografie über den letzten deutschen Kaiser geliefert hat: Wilhelm II. war inkompetent und selbstherrlich, mischte sich in die Innen- und Außenpolitik ein und stolperte säbelrasselnd über das Parkett der internationalen Diplomatie. Obst liefert dazu reichhaltiges Anschauungsmaterial und präsentiert eine breite Auswahl kaiserlicher Stilblüten und rhetorischer Fehlleistungen. Noch ein solcher Tag, und wir haben die Republik, erklärte der spätere Reichskanzler Bethmann Hollweg nach dem Ausbruch der Daily-Telegraph-Affäre im November 1908. Zehn Jahre später war es so weit.
Otto Langels über Michael A. Obst: " 'Einer nur ist Herr im Reiche'. Kaiser Wilhelm II. als politischer Redner". Der 461 Seiten starke Band kommt aus dem Ferdinand Schöningh Verlag und kostet 60 Euro.
"Hart sein im Schmerz, nicht wünschen, was unerreichbar oder wertlos, zufrieden mit dem Tag, wie er kommt."
Ein Ausschnitt aus einer pathetischen Rede Kaiser Wilhelms II. aus dem Jahre 1904. Darin rief er seine Untertanen zu Bescheidenheit und Respekt gegenüber der Schöpfung und den Mitmenschen auf. Kaiser Wilhelm ließ kaum eine Gelegenheit aus, sich an sein Volk zu wenden, an Soldaten, Ehrengäste, Würdenträger oder Parlamentarier. Weit über 2000 Reden sind aus seiner 30-jährigen Regentschaft überliefert. Der Historiker Michael A. Obst:
"Er hat geredet bei Besuchen in Städten, bei Besichtigungen von Truppeneinheiten, bei Eröffnung prominenter Bauwerke, bei Schiffstaufen, bei Staatsbesuchen ausländischer Staatsgäste, oder wenn er selber im Ausland gewesen ist, bei der Eröffnung des Reichstags. Also es gibt eine Fülle von Gelegenheiten, und er hat sie alle wahrgenommen."
Der Wuppertaler Historiker Michael A. Obst hat für seine Dissertation, die der Buchveröffentlichung zugrunde liegt, die Reden Kaiser Wilhelms eingehend analysiert. Der Autor hält sie für eine der bisher wenig beachteten Hauptquellen, um den intellektuellen Horizont und die politischen Intentionen des Monarchen zu beurteilen. Allerdings zeigt sich hier auch ein Dilemma der Untersuchung, denn der Kaiser war in seinen häufig spontan gehaltenen Ansprachen äußerst widersprüchlich und sprunghaft. Michael A. Obst:
"Man kann aus den Reden einen ausgesprochen friedliebenden Kaiser herauslesen, man kann aber auch einen säbelrasselnden, martialischen Kaiser darin sehen. Man kann ausgesprochen liberale Positionen finden, aber auch ultrakonservative. Und es kann das, was an einem Tag gesagt ist, nach wenigen Tagen schon völlig seine Gültigkeit verloren haben. Also Wilhelm war ausgesprochen wankelmütig, und was in seinen Reden nach außen drang, war entsprechend."
Eine politische Programmatik lässt sich aus den Reden kaum herauslesen, allenfalls eine Vorliebe für bestimmte Topoi, mit denen Kaiser Wilhelm seinen Herrschaftsanspruch zementieren wollte: Er kam immer wieder auf die herausgehobene Rolle der Monarchie, des Militärischen und des Preußentums zu sprechen, er brachte seine Verachtung für alles Zivile zum Ausdruck, er betonte ständig das Streben nach Expansion und weltpolitischer Größe.
Das Augenmerk der Untersuchung liegt auf der politischen Wirkung, die der deutsche Monarch mit seiner Rhetorik erzielte. Michael A. Obst untersucht akribisch eine Vielzahl kaiserlicher Reden, dies allerdings in einer Ausführlichkeit, die zu Redundanzen führt. Im Unterschied zu anderen Staatsoberhäuptern und im Gegensatz auch zu Wilhelm I. zeichnete sich Kaiser Wilhelm II. in seinen Ansprachen nicht durch diplomatisches Geschick und politische Zurückhaltung aus.
"Am bedeutendsten und immer noch am bekanntesten ist der berühmte Ausspruch aus der sogenannten Hunnenrede, als Wilhelm sagte: "Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht." Und den deutschen Truppen, die nach China auszogen, um den sogenannten Boxeraufstand niederzuschlagen, empfahl er sich so zu benehmen, dass kein Chinese es wage, auf 1000 Jahre einen Deutschen auch nur scheel anzusehen."
So geschehen am 27. Juli 1900 in Bremerhaven. Ein Regierungsvertreter forderte noch während der Ansprache des Monarchen die anwesenden Journalisten auf, nicht den Redetext, sondern eine redigierte offizielle Textfassung zu verbreiten, aber die Veröffentlichung der verstörenden Passagen war nicht zu verhindern. Die Hunnenrede hatte in Deutschland - vor allem aber im Ausland - eine verheerende Wirkung. Dort erschien Wilhelm II. als oberster Repräsentant eines militaristischen und inhumanen Kaiserreiches.
Die deutschen Truppen wiederum betrachteten die Worte des Kaisers als Freibrief für ein schonungsloses Vorgehen gegenüber der chinesischen Bevölkerung. Der Reichsregierung gelang es nicht, den Redefluss Wilhelms einzudämmen. Da der Monarch die Personalpolitik bestimmte, hätte eine offene Kritik der kaiserlichen Rhetorik unweigerlich zu Rücktritten geführt.
"Es gab weder von den Reichskanzlern noch den sonstigen Regierungen Interesse, direkte Konflikte heraufzubeschwören. Deswegen hat man sich eher informeller Methoden bedient. Eine klassische Methode ist, den berühmten Kaiserfreund Philipp Eulenburg vorzuschieben und ihm sozusagen nahezulegen, dem Kaiser zu raten, eine vorsichtige Rede zu halten."
Erst die Daily-Telegraph-Affäre bremste den ungehemmten Redefluss Kaiser Wilhelms. In einem Interview mit der englischen Zeitung im Jahr 1908 hatte er sich zu außenpolitischen Themen in einer Form geäußert, die im In- und Ausland als anmaßend, beschämend, indiskret und bedenklich bezeichnet wurde und das Selbstvertrauen des Monarchen sichtlich erschütterte. Die Öffentlichkeit war empört über die kaiserlichen Prahlereien, dass er mit seiner englandfreundlichen Haltung zu einer Minderheit im eigenen Land gehöre, und die von den Briten mit Argwohn verfolgte deutsche Flottenpolitik nur dazu diene, dem Deutschen Reich weltweit Geltung zu verschaffen. Zumindest bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs hielt sich Wilhelm dann weitgehend an vorbereitete Redetexte.
"Es muss denn das Schwert nun entscheiden.",
verkündete Kaiser Wilhelm in seinem Aufruf an das deutsche Volk am 6. August 1914.
"Mitten im Frieden überfällt uns der Feind. Darum auf zu den Waffen. Jedes Schwanken, jedes Zögern wäre Verrat am Vaterlande."
Das Ende des Ersten Weltkriegs und die Novemberrevolution im Jahr 1918 waren zugleich auch das Ende der deutschen Monarchie. Mit seinen unbedachten Äußerungen sei Kaiser Wilhelm daran nicht ganz unschuldig gewesen, davon ist der Autor überzeugt:
"Er hatte das Ziel, den monarchischen Gedanken zu fördern, dafür Werbung zu machen, und hat letztendlich zur Erosion der Monarchie beigetragen. Und wenn man das so sieht, muss man sagen, dass er an seinen eigenen Ansprüchen gescheitert ist."
Die Darstellung Michael A. Obsts über Kaiser Wilhelm als politischen Redner bestätigt die Befunde, wie sie zum Beispiel John Röhls große, mehrbändige Biografie über den letzten deutschen Kaiser geliefert hat: Wilhelm II. war inkompetent und selbstherrlich, mischte sich in die Innen- und Außenpolitik ein und stolperte säbelrasselnd über das Parkett der internationalen Diplomatie. Obst liefert dazu reichhaltiges Anschauungsmaterial und präsentiert eine breite Auswahl kaiserlicher Stilblüten und rhetorischer Fehlleistungen. Noch ein solcher Tag, und wir haben die Republik, erklärte der spätere Reichskanzler Bethmann Hollweg nach dem Ausbruch der Daily-Telegraph-Affäre im November 1908. Zehn Jahre später war es so weit.
Otto Langels über Michael A. Obst: " 'Einer nur ist Herr im Reiche'. Kaiser Wilhelm II. als politischer Redner". Der 461 Seiten starke Band kommt aus dem Ferdinand Schöningh Verlag und kostet 60 Euro.