Die "Berliner Zeitung" ist ein Blatt mit Tradition – sie ist die erste Tageszeitung, die nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründet wurde. Zu DDR-Zeiten erschien sie in einer täglichen Auflage von 345.000 Exemplaren, nach der Wende waren es 200.000, jetzt nur noch 97.000. Eine Auflage im freien Fall, ähnlich die des Boulevard-Blatts "Berliner Kurier". Jetzt zieht der Mutterkonzern Dumont-Schauberg die Notbremse. Jens Kauerauf, Geschäftsführer des Berliner Verlags:
"Es wird eine neue News-GmbH gegründet, wo wir nicht 'Print versus Online', sondern wirklich integriert arbeiten wollen. Wahrscheinlich einmalig in Deutschland versuchen wir nicht mehr in klassischen Kanälen, nur für Print oder nur für Online zu arbeiten, sondern wichtig ist, dass wir die Geschichten der Stadt erzählen und die Kanäle – sei es für den 'Berliner Kurier' oder für die 'Berliner Zeitung' – ausspielen und eben Digital und Print integriert bearbeiten."
Der Dumont-Verlag investiert mehrere Millionen Euro – die genaue Summe wird nicht genannt – in einen digitalen Newsroom im Berliner Stadtteil Kreuzberg. Die neu gegründete Berliner Newsroom GmbH startet am 1. November, dann werden auch die ersten Jobs bundesweit ausgeschrieben. Insgesamt sind es 110 Stellen, 40 weniger als bislang.
"Das ist in der heutigen Situation, in diesem schwierigen Markt in Berlin auch ein klares Statement, und da muss man auch dankbar für sein."
Dankbar sein – dies klingt zynisch in den Ohren der Redakteure von "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier". Werden doch die beiden Verlagsgesellschaften, bei denen die rund 160 Journalisten angestellt sind, aufgelöst, allen Mitarbeitern gekündigt. Verlagsgeschäftsführer Kauerauf macht klar:
"Es wird kein Betriebsübergang. Das hängt auch damit zusammen: komplett neu. Wichtig ist auch, dass die neue Unternehmung nicht zum Berliner Verlag gehört, sondern sie hängt direkt unter der Dumont-Mediengruppe. Das ist ein ganz entscheidender Punkt."
Betriebsübergang oder nicht?
"Selbstverständlich ist das ein Betriebsübergang. Und selbstverständlich werden wir unsere Rechte einfordern", widerspricht der Vorsitzende des Redakteursausschusses, Frederik Bombosch, unterstützt von den Gewerkschaften. Ihre Argumentation: Da die beiden gedruckten Blätter "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" weiter existieren, darf der Verlag die Belegschaft nicht einfach auswechseln. Der Verlag seinerseits will den Neuanfang, will für das neue Projekt – das stark auf digitale Kanäle und Formate setzt – vermehrt junge und digital affine Mitarbeiter einstellen. Die Belegschaft ist sauer – Frederik Bombosch:
"Menschen, die sich seit zehn, 20 oder noch mehr Jahren für ihre Leserschaft, für ihre Zeitung, für ihre Redaktion eingesetzt haben, behandelt man jetzt, als habe man sie noch nie gesehen. Das sorgt natürlich für erheblichen Unmut bei den Kollegen."
Zumal die Belegschaft in den letzten Jahren schon viel Unruhe verkraften musste: Eigentümerwechsel, Stellenabbau, laufend neue Chefredakteure.
Weitere Bedenken: eine Redaktion für zwei völlig verschiedene Zeitungen. Einmal seriös, einmal Boulevard. Zwei Kulturen, die nicht zusammenpassen – so der Redakteursausschuss.
"Beides sind honorige Blätter, anspruchsvolle Blätter mit einem sehr unterschiedlichen Publikum, mit einem sehr unterschiedlichen Journalismus, den sie machen. Hier wird etwas zusammengelegt, was nicht oder nur sehr schwer zusammenpasst. Das sehen wir als Redaktionsausschuss sehr sehr kritisch."
Der Betriebsrat nennt es Kahlschlag, der Verlag Neuanfang. Auf jeden Fall ist eine letzte Chance für den Berliner Kurier und die Berliner Zeitung.