Umbau der deutschen Nutztierhaltung
Der weite Weg zu mehr Tierwohl

Die Lebensbedingungen für Nutztiere auf konventionellen Höfen in Deutschland sind verbesserungswürdig. Das geplante staatliche Tierwohl-Label kommt dennoch vorerst nicht zustande. Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) gab im Dlf der SPD die Schuld am Scheitern der Kennzeichnung. Ein Überblick.

    Ferkel auf einer Wiese
    Auf diesem Bioland-Bauernhof dürfen die Schweine ganzjährig im Freien leben - doch nur 6,5 Prozent des Umsatzes im Lebensmittelmarkt wird mit Bioprodukten erwirtschaftet (picture alliance / Rupert Oberhäuser | Rupert Oberhäuser)
    60 Kilogramm Fleisch pro Person werden in Deutschland pro Jahr verzehrt. Laut der Umweltschutzorganisation Greenpeace werden dafür mehr als 770 Millionen Schweine, Rinder, Hühner, Puten, Schafe und weitere Tiere geschlachtet. Die Lebensbedingungen für die Tiere auf konventionellen Höfen sind oft optimierungsbedürftig. Eine Kommission hat im Auftrag des Bundeslandwirtschaftsministeriums ein Konzept entwickelt, wie eine verbesserte Tierhaltung finanziert werden könnte. In der Machbarkeitsstudie einer Rechtsanwaltskanzlei wurde abgeklärt, welche der dort aufgeführten Finanzierungsmöglichkeiten rechtlich möglich sind.
    Zum Konzept der Kommission gehörte auch ein staatliches Tierwohl-Label, das nun aber vor der Bundestagswahl 2021 wegen inhaltlicher Differenzen innerhalb der Großen Koalition nicht mehr zustande kommt. Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) gab im Dlf-Interview dem Koalitionspartner SPD die Schuld dafür und warf ihm Wahltaktik vor: "Ich finde es sehr bedauerlich, dass die SPD aus sehr durchschaubaren Gründen dieses Tierwohlkennzeichen blockiert", so Klöckner.
    Sie selbst habe ihre Hausaufgaben gemacht und Verbesserungsvorschläge vorgelegt, sagte Klöckner im Dlf. Das EU-Recht lasse auf nationaler Ebene derzeit nur das von der Koalition beschlossene freiwillige Label zu. Verpflichtende Kriterien auch für importierte Waren, wie die SPD sie darüber hinaus fordert, könne sie nicht mittragen, denn sie seien nicht mit aktuellem EU-Recht vereinbar, so die Ministerin. Wer wolle, dass jedes Produkt ein solches Label tragen müsse, benötige dafür einen EU-Rechtsrahmen. Klöckner verwies in diesem Zusammenhang auf das Negativbeispiel deutsche Pkw-Maut. Diese war vor dem Europäischen Gerichtshof gescheitert, weil sie den Richtern zufolge EU-Ausländer diskriminiere.
    Julia Klöckner (CDU), Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft, stellt bei einer Pressekonferenz Ergebnisse der Machbarkeitsstudie zu Vorschlägen des vom Ministerium eingesetzten Kompetenznetzwerks Nutztierhaltung vor.
    "SPD blockiert aus durchschaubaren Gründen"
    Landwirtschaftsministerin Klöckner gibt dem Koalitionspartner die Schuld am Scheitern einer Einigung. Die SPD fordere mehr, als nach EU-Recht möglich sei.
    Die SPD hat Klöckners Entwurf als "absolut ungenügend" zurückgewiesen. Fraktionsvize Matthias Miersch sagte der Deutschen Presse-Agentur, ein Tierwohllabel müsste verpflichtend sein und "auf klaren Kriterien für die Haltung, den Transport und die Schlachtung von Schweinen, Rindern und Geflügel" beruhen.
    Hausrind (Bos primigenius f. taurus), Charolaises und Limousin-Rinder zusammen auf einer Weide
    Greenpeace hält verpflichtendes Label für möglich
    Wäre ein verpflichtendes deutsches Tierwohllabel wirklich nicht mit EU-Recht vereinbar? "Wir haben den Eindruck, dass Julia Klöckner das nie von ihren Juristen hat prüfen lassen", sagt Stephanie Töwe von Greenpeace.
    Anders als Klöckner glaubt Stephanie Töwe von Greenpeace, dass ein verpflichtendes deutsches Tierwohlkennzeichen sehr wohl EU-rechtskonform möglich wäre und auch von wichtigen Akteuren wie Bauern und dem Handel mitgetragen würde. Sie beruft sich dabei unter anderem auf ein Gutachten, das Greenpeace 2018 in Auftrag gegeben hatte.

    Was soll sich nach der Machbarkeitsstudie für Nutztiere in deutschen Ställen verbessern?
    Ställe könnten nach bestimmten Standards tierschutzgerechter gebaut oder umgebaut werden. Tiere bekämen mehr Platz, mehr Licht, also insgesamt ein verbessertes Stallklima. Auch das Futterangebot könnte verbessert werden. Es seien drei Stufen vorgesehen, erklärt Georg Ehring aus der Dlf-Umweltredaktion : "Die erste Stufe ist etwas über dem bisherigen Niveau. Die zweite Stufe sieht mehr Platz für die Tiere vor und auch mehr Möglichkeiten zum Kontakt nach außen. Die dritte Stufe sieht dann vor: mit Auslauf und Weidehaltung." Ziel sei es, immer höhere Stufen zu erreichen - durch die Förderung von Stallumbauten und der Erzielung höherer Preise etwa durch ein Tierschutzlabel, welches Verbrauchern zeigt, dass unter verbesserten Tierschutzbedingungen produziert wird.
    Welche Finanzierungs-Vorschläge zum Umbau der Nutztierhaltung gibt es?
    Die Milliardeninvestitionen für die verbesserten Standards können nicht aus dem Haushalt des Bundeslandwirtschaftsministeriums finanziert werden, auch die Landwirte können sie nicht aus eigener Tasche zahlen. Die Machbarkeitsstudie bekräftigt, dass den Landwirten die Kosten für den tierwohlgerechten Umbau der Ställe und die höheren laufenden Kosten ausgeglichen werden müssen. Die zu erwartenden Gesamtkosten belaufen sich laut Studie auf einen Betrag von 1,2 Milliarden Euro im Jahr 2025, der sich bis 2040 etwa verdreifachen könnte. Dazu gibt es verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten, allen voran Steuerabgaben. Die wichtigsten:
    Verbrauchsteuer auf tierische Produkte (Tierwohl-Abgabe)
    Der Preis soll steigen, auf 40 Cent mehr pro Kilogramm Fleisch und Wurst. "Damit könnte man 2 Milliarden Euro im Jahr erlösen", erklärt Dlf-Umweltredakteur Ehring. Bei einer Zahl von ungefähr 200.000 landwirtschaftlichen Tierhaltern sei das jedoch nur eine begrenzte Menge.
    Mehrwertsteuererhöhung
    Für Fleisch wird ein ermäßigter Mehrwertsteuersatz von nur sieben statt der regulären 19 Prozent erhoben. Eine Erhöhung brächte Berechnungen zufolge Steuereinnahmen von bis zu 6,3 Milliarden Euro.
    Ergänzungsabgabe auf die Einkommensteuer (Tier-Soli)
    Eine derartige Steuer würde unabhängig vom Verbrauch oder Erwerb tierischer Produkte erhoben.
    Wie reagieren Landwirte und Umweltorganisationen auf die Machbarkeitsstudie?
    Die Umweltorganisation "Greenpeace" sieht die Machbarkeit der Kommissions-Vorschläge als belegt an. Es gebe "keine Ausreden mehr". Die Anpassung an den Regelsteuersatz von 19 Prozent sei "überfällig". Der BUND äußerte sich ähnlich – der Umbau sei finanzierbar und es dürfe keine weiteren Verzögerungen geben. Landwirte bräuchten langfristige Planungssicherheit. Das Bündnis "Gemeinsam Gegen Die Tierindustrie" hält dies hingegen für den falschen Ansatz, denn die Situation der Tiere würde "nur minimal" verbessert. Wichtiger sei ein Abbau der Tierbestände.
    Der Deutsche Bauernverband (DBV) dringt auf eine "rasche" und vollständige Umsetzung der Vorschläge. Nötig sei vor allem eine langfristige Zweckbindung. "Das Geld muss dauerhaft dort ankommen, wo mehr Tierwohl entsteht, nämlich beim Landwirt." Der BDV betont zudem, dass die Differenz zwischen niedrigeren EU-Vorgaben und den zukünftig sehr hohen heimischen Standards zudem durch Förderprogramme ausgeglichen werden müsse. Ansonsten drohe eine Verlagerung der Tierhaltung ins Ausland.
    Welche Kritik gibt es an den Vorschlägen?
    Die Vorschläge treffen nicht bei allen auf Zustimmung. Dlf-Redakteur Ehring gibt zu bedenken, dass die Fleischwirtschaft in Deutschland mit ihrer starken Lobby oft dazu beigetragen habe, dass sich sinnvolle Veränderungen verzögert hätten. Wichtig sei zudem, dass die Preisaufschläge durch das Europarecht gedeckt seien.
    Hausschwein, Haus-Schwein (Sus scrofa f. domestica), mehrere Tiere nebeneinander in ihren engen Mastkaefigen - in den industriellen Mastbetrieben erreichen Schweine nach nur sechs Monaten das Schlachtgewicht , Deutschland | domestic pig (Sus scrofa f. domestica), several animals side by side in their tight fattening cages - with industrial fattening the pigs reach the slaughter weight in only six month, Germany
    Kommentar: Noch ein weiter Weg
    Die Bedingungen in deutschen Ställen sollen besser werden - dafür schlägt eine Studie der Bundesregierung eine höhere Mehrwertsteuer auf Fleisch vor. Der Umbau der Ställe selbst ist dann aber noch eine Sache von Jahrzehnten, kommentiert Georg Ehring.
    Auch die FDP hält nichts von einem deutschen Alleingang. Dies habe in der Landwirtschaftspolitik in den vergangenen Monaten und Jahren nie wirklich zu mehr Nachhaltigkeit, Umwelt- und Tierschutz geführt, sagte der agrarpolitische Sprecher der FDP im Bundestag, Gero Hocker, im Dlf . Es sei ein europäischer Weg nötig, sonst habe man die Situation, dass die Tierhalter mit bereits jetzt hohen Standards aus dem Markt gedrängt würden. In Spanien, Portugal oder Osteuropa gäbe es schlimmere Zustände als in Deutschland. Probleme sieht Hocker auch in der Zweckbindung. Eine wie auch immer erhobene Steuer auf tierische Produkte sei nicht dazu geeignet, dass Gelder für Investitionen tatsächlich bei den Tierhaltern ankommen können.
    Wie sieht es mit dem Nutztierschutz in anderen europäischen Ländern aus?
    Laut dem Tierschutzindex der World Animal Protection, die 50 Länder weltweit gemäß ihrer Tierschutzpolitik und -gesetzgebung bewertet, stehen in Europa vor allem Schweden und Österreich ganz vorn, wenn es um den besten Schutz von in der Landwirtschaft verwendeten Tieren gibt. Beide Länder erreichten die Benotung "B", weisen also ein sehr hohes Niveau beim Schutz von Nutztieren auf. Für Polen, Schweiz und Dänemark gab es die Gesamtnote "C". Deutschland sieht die Tierschutzorganisation nur mit der Gesamtnote "D" auf einer Stufe mit Frankreich, Italien, Spanien und Großbritannien.
    Auch die Heinrich-Böll-Stiftung sieht Deutschland keinesfalls als Vorreiter in Europa, wenn es um den Schutz der Nutztiere geht, sondern allenfalls im Mittelfeld angesiedelt. An den Regelungen in Schweden oder der Schweiz könnte man sich hierzulande orientieren. Schweden hat strenge Vorschriften für die Tierhaltung eingeführt, etwa in Bezug auf die Stallausstattung und die Qualität des Futters. "So müssen Ställe in Schweden getrennte Liege-, Fress- und Kotbereiche aufweisen, um dem Bedürfnis der Schweine nach Sauberkeit gerecht zu werden", erklärt Stephanie Töwe, Expertin für Landwirtschaft bei Greenpeace.
    Quellen: Dlf, Georg Ehring, Afp, BMEL, API, Greenpeace, DBV, og