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Umfrage des Lehrerverbandes VBE
Gewalt gegen Lehrer kein Einzelfall

Etwa ein Viertel aller Lehrer erlebt Gewalt gegen sich an der Schule, oftmals vonseiten der Schüler. Das ist das Ergebnis einer Umfrage des Lehrerverbandes VBE unter 1.200 Schulleitern - er fordert mehr Unterstützung von der Politik.

Von Thomas Wagner |
    Schüler im Klassenzimmer bewerfen die Lehrerin mit Papierbällen, Mobbing gegen Lehrer
    Schüler im Klassenzimmer bewerfen die Lehrerin mit Papierbällen (imago / imagebroker)
    Gerhard Brand war, bevor er zum Verband Bildung und Erziehung Baden-Württemberg wechselte, Leiter einer Grund- und Werkrealschule auf der Ostalb in Baden-Württemberg. Plötzlich stand der Vater eines Schülers vor der Tür, ziemlich wütend, weil er der Meinung war, sein Kind sei in der Schule schlecht behandelt worden.
    "Der Vater hatte ein Motorrad, hat das quietschend vor der Schule abgestellt, stürmte nach oben. Er wollte sich dann den Lehrer schnappen, der Aufsicht hatte und den verprügeln. Da konnte ich dazwischen gehen. Und es gelang dann nur mühsam, den Vater zu beruhigen, dass er das Schulgelände wieder verließ."
    Ein Einzelfall? Keineswegs! Etwa ein Viertel aller Lehrerinnen und Lehrer wurden innerhalb der vergangenen fünf Jahre körperlich angegriffen. Knapp die Hälfte sahen sich Beschimpfungen, Bedrohungen, Beleidigungen oder Belästigungen ausgesetzt. Und immerhin 20 Prozent der Befragten gaben an, über das Internet diffamiert worden zu sein. So steht es in der neuen Forsa-Umfrage, bei der bundesweit 1.200 Schulleiter befragt wurden. In den allermeisten Fällen ging die Gewalt allerdings nicht, wie im angeführten Beispiel, von wütenden Eltern, sondern von Schülern aus - sehr häufig sogar von den ganz kleinen.
    Gewaltvorfälle auch an Grundschulen
    "An der Grundschule ist die körperliche Gewalt am höchsten. Das hätte ich ja niemals gedacht: Da kommt der Kleine und boxt die Lehrerin mal irgendwie an die Hüfte. Oder tritt ihr Mal auf den Fuß oder staucht ihn mal. Dann sind das kleinere Gewaltvorfälle. So sanft wird das ein Sekundarschüler aber nicht mehr machen. Wenn da Gewaltvorfälle entstehen, dann ist das heftiger."
    So Gerhard Brand, Vorsitzender des Landesverbandes Baden-Württemberg im VBE. Dort wurden zusätzlich zur bundesweiten Umfrage landesspezifische Daten erhoben, wobei die Unterschiede zu den bundesweiten Ergebnissen marginal sind.
    "Das, was wir eigentlich erschüttert feststellen müssen, ist, dass das Thema Gewalt gegen Lehrkräfte nach wie vor auf der Tagesordnung ist. Dass wir nicht feststellen können, dass die Fälle signifikant weniger werden."
    So Udo Beckmann, Bundesvorsitzender des Verbandes Bildung und Erziehung, der bereits vor zwei Jahren eine erste Umfrage zum Thema Gewalt gegen Lehrkräfte veröffentlicht hat.
    Kaum etwas hat sich verbessert
    Verbessert habe sich seitdem kaum etwas, weil die Politik so gut wie nicht reagiert habe, so der Vorwurf des Verbandes. Der erhebt deshalb eine Fülle von Forderungen.
    Eine davon lautet: Mehr Schulsozialarbeit, mehr Schulpsychologen in jenen Schulen, in denen es besonders häufig zu psychischer oder physischer Gewalt kommt. Nach der jüngsten Forsa-Umfrage sind dies in erster Linie Haupt-, Real- und Gesamtschulen, gefolgt von Grundschulen und - mit großem Abstand - Gymnasien. Gerhard Brand, Verbandsvorsitzender in Baden-Württemberg, hat dafür auch eine Erklärung gefunden:
    "Vielleicht sind dort auch die Kinder, deren Eltern eher bildungsfern sind. Und die ihnen nicht diese subtilen Möglichkeiten des Umgangs mitgegeben haben, wie es den Kindern am Gymnasium in dem Fall geschehen ist. Ich möchte damit nicht sagen, dass Kinder an den Haupt- und Werkrealschulen böser sind. Ich möchte nur sagen, dass sie diese Grenzen nicht so gut gelernt haben. Und dass sie oft Schwierigkeiten haben, ihre Bedürfnisse in einer gemäßigten Sprache auszudrücken."
    Hier helfe nur ein Mehr an Bildung, um Gewalt im Rahmen der Schulbildung zu verhindern. Daneben wünscht sich der Verband verbesserte schulpsychologische Betreuung betroffener Lehrer. Und schließlich erscheint nach Meinung von Gerhard Brand eines überaus notwendig: Der Umgang mit Gewalt an den Schulen müsse viel intensiver als bisher Eingang in die Aus- und Fortbildung der Lehrer finden.
    Lehrer werden nicht genügend auf das Thema Gewalt vorbereitet
    "In allen drei Phasen der Lehrerbildung, also im Studium, dann später im Referendariat und dann in der Fortbildung, nimmt das Thema Gewalt gegen Lehrkräfte eine viel zu geringe Rolle ein. Studentinnen und Studenten im Lehramt werden gut ausgebildet, wenn es um Fachdidaktik, Methodik und Fachwissenschaften geht. Aber im Bereich Gewalt gegen Lehrkräfte, der nach unsere Umfrage eine große Rolle spielt, erfahren sie gar nichts."
    Daneben fordert Bundesvorsitzender Udo Beckmann eine weitreichende Enttabuisierung des Themas Gewalt gegen Lehrkräfte. Mit Ausnahme der heute vorgelegten Forsa-Umfrage gebe es so gut wie kein belastbares Zahlenmaterial zu diesem heiklen Thema. Dies zu ändern, sei die Aufgabe aller Bundesländer.
    "Wir fordern von der Politik in erster Linie, dass sich alle Länder dazu verpflichten, Statistiken zu führen, in die alle Fälle aufgenommen werden. Denn erst, wenn diese Statistiken veröffentlicht werden, wenn also die Zahlen auch öffentlich sind, dann ist man anscheinend auch bereit, die notwendigen Konsequenzen zur Unterstützung von Lehrkräften zu ziehen."