„Studie: Ein Drittel der Männer findet Gewalt gegen Frau akzeptabel“: Diese aktuelle Schlagzeile des MDR fand sich so ähnlich auch in vielen anderen großen Medien, von „Spiegel online“ bis zur „Tagesschau“. In den ARD-„Tagesthemen“ am Sonntagabend war die Meldung sogar der Aufmacher, also das erste Thema der Sendung. Auch der Deutschlandfunk vermeldete die Zahl.
Online-Befragung mit knapp 2.000 Teilnehmenden
Dahinter steckte eine Erhebung der Hilfsorganisation Plan International, die diese als „repräsentative Umfrage“ veröffentlicht hatte. Befragt worden waren knapp 1.000 Männer und 1.000 Frauen zwischen 18 und 35 Jahren zu verschiedenen Aspekten von Männlichkeit, zum Beispiel der Aufgabenverteilung im Haushalt und dem Umgang mit den eigenen Gefühlen. Dazu hatten sie einen längeren Online-Fragebogen ausgefüllt.
Ob diese Daten aber tatsächlich ein Bild von „jungen Männern in Deutschland“ zeichnen, wie es viele Medienberichte suggerierten, ist fraglich. Repräsentativ ist die Befragung in dem Sinne, dass bei den Teilnehmenden laut Umfragedesign das Alter, die Region und der Bildungsstand berücksichtigt wurden – sie sollen der Verteilung der Bevölkerung entsprechen.
Organisation verweist auf "Standards der Branche"
Die Online-Befragung entspreche den "üblichen Standards der Branche", teilte eine Sprecherin von Plan International Deutschland auf Anfrage des Deutschlandfunk mit. Dass die Befragung wissenschaftliche Standards erfülle, betont gegenüber dem Deutschlandfunk außerdem der Kölner Marktforscher Eckhard Preis, der die Umfrage im Auftrag von Plan International entworfen hat. „Das Bild, das wir zeichnen, passt und ist stimmig“, ist der Diplom-Psychologe überzeugt. Er arbeitet nach eigenen Angaben seit 30 Jahren in dem Bereich.
Welche Persönlichkeitsmerkmale und Einstellungen die befragten Personen auszeichneten und ob sie damit repräsentativ für die deutsche Bevölkerung stehen, wurde allerdings nicht berücksichtigt. Die Daten lieferte ein Marktforschungsinstitut aus Düsseldorf, das sich auf Online-Befragungen spezialisiert hat. Es unterhält ein eigenes Panel, also eine Datenbank mit möglichen Umfrageteilnehmenden, die laut eigener Webseite per Online-Werbung, Mail-Listen, Zeitungsannoncen und Telefon angeworben werden. Für ihre Teilnahme hätten die Befragten eine kleine Geldsumme bekommen, sagt Marktforscher Preis.
Zweifel an Auswahl der Befragten
Die Statistikerin Sabine Zinn zweifelt deswegen an der Aussagekraft der Erhebung. Sie verantwortet am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung die Methodik hinter dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) – eine wissenschaftliche Panelstudie, für die jährlich etwa 30.000 Menschen befragt werden. Entscheidend sei, wie Teilnehmende einer Befragung rekrutiert würden, erklärt Zinn dem Deutschlandfunk gegenüber.
Beim SOEP werden die Teilnehmenden von dem Forschungsteam gezielt kontaktiert, basierend auf einer Zufallsstichprobe, die die Bevölkerung repräsentativ abbildet. Befragungsteilnehmer über Online-Banner, Newsletter oder Zeitungsanzeigen zu rekrutieren, führe hingegen dazu, dass sich vor allem Menschen mit hohem Mitteilungsbedürfnis melden – und das sei ein Persönlichkeitsmerkmal, so Zinn: „Dann melden sich nämlich sehr wahrscheinlich die, die etwas zu sagen haben.“ Das könne zu großen Verzerrungen führen.
„Fakten wie zum Beispiel die Farbe des eigenen Autos kann man mit so einem Umfragedesign vermutlich relativ gut erfassen“, erklärt die Statistikerin. Das gelte aber nicht für Einstellungen, wie sie die Untersuchung zu Männlichkeitsbildern abgefragt habe. Und noch etwas betont die Expertin: Wenn bei einer Umfrage der Migrationshintergrund nicht berücksichtigt werde – wie bei der vorliegenden Befragung – fehle bei einem Thema wie Männlichkeitsbildern ein relevanter Aspekt.
Auch Nachrichtenagenturen berichteten
Durchgeführt wurde die Befragung nur auf Deutsch, wie Marktforscher Preis bestätigt. Diese wichtigen Zusatzinformationen und eine generelle Einordnung der Befragung finden sich allerdings in den wenigsten Medienberichten. Die ersten Meldungen zur Befragung von Plan International wurden am vergangenen Wochenende öffentlich – als die Details der Umfrage noch gar nicht bekannt waren. Zuerst berichteten Zeitungen der Funke-Verlagsgruppe vorab über das Thema, in der Nacht auf Sonntag folgten Meldungen von Nachrichtenagenturen über die „Studie“.
Dünn besetzte Redaktionen am Wochenende
Redaktionen würden oft unter großem Stress stehen, sagt die Dlf-Wissenschaftsjournalistin Kathrin Kühn, die selbst schon als Nachrichtenredakteurin gearbeitet hat. Redaktionen seien am Wochenende oft dünn besetzt und stünden gleichzeitig unter Druck, bei wichtigen Themen nicht hinterherzuhinken.
Der Organisation Plan International ist es somit gelungen, einem Thema viel mediale Öffentlichkeit zu verschaffen: mit einer - im Vergleich zu soziologischen, wissenschaftlichen Studien - relativ kleinen Umfrage. Die größte deutsche Nachrichtenagentur, die dpa, verzichtete allerdings auf Berichterstattung. dpa-Nachrichtenchef Froben Homburger sagte dem Dlf auf Anfrage: „Es ließen sich zentrale offene Fragen unter anderem zur Methodik der Erhebung und zur Validität der Daten nicht klären. Daher haben wir uns am Wochenende gegen eine Berichterstattung entschieden.“