Martin Zagatta: In Umfragen könnte es kaum besser laufen für die SPD in den letzten Wochen. Die Bundesregierung präsentiert sich so zerstritten, dass die Opposition zwangsläufig davon profitiert. Doch haben die Sozialdemokraten ihre Krise wirklich überwunden? Ist die Partei sich in wichtigen Fragen wieder einig? – Die Diskussion über die Rente mit 67 Jahren legt jetzt eher das Gegenteil nahe. Mitgehört hat Everhard Holtmann, Parteienforscher an der Universität Halle-Wittenberg. Guten Tag, Herr Holtmann.
Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Holtmann, wie schätzen Sie das ein? Kann sich eine oder die große Oppositionspartei das leisten, dass sie in einer eigentlich so wichtigen Frage, dass da der Parteichef und der Fraktionsvorsitzende öffentlich ganz gegensätzliche Positionen beziehen?
Holtmann: Zum einen ist das sicherlich ein Ausdruck von innerparteilicher Demokratie, wenn nicht von vornherein alles auf einheitliche Positionen hin festgezurrt wird. Auf der anderen Seite: ich denke, trotz aller Flexibilisierung und Differenzierung im Detail, die SPD wird hier sicherlich zu einer eindeutigen Aussage kommen müssen – auch aus strukturellen Gründen -, denn es ist ja bekannt, der demographische Wandel (und das bedeutet vor allen Dingen die Alterung unserer Gesellschaft) schreitet fort und auch im internationalen Maßstab. Schaut man sich die anderen europäischen Länder an, beispielsweise auch die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, dann ist das Renteneintrittsalter auch dort vergleichsweise spät.
Zagatta: Wie ordnen Sie das ein? Ist die SPD aus Ihrer Sicht da immer noch eine gespaltene Partei? Da war doch in letzter Zeit immer von neuer Geschlossenheit und Neuanfang die Rede und jetzt widersprechen sich da in einer so wichtigen Frage eigentlich die beiden führenden Personen.
Holtmann: Das liegt gewissermaßen in der Logik der Sachauseinandersetzung und der Entscheidung, die hier auch die große Oppositionspartei zu treffen hat. Es ist in der Tat in den vergangenen Wochen bis in die letzten Tage hinein ein wenig im Wahrnehmungsschatten der weitgehenden Unzufriedenheit, auch demoskopisch gemessenen Unzufriedenheit mit der Regierungskoalition geblieben, dass ja auch die SPD latente innerparteiliche Kraftproben noch nicht zu Ende geführt hat. Da ist wie gesagt das Problem der Rente mit 67, aber beispielsweise auch die Frage des Afghanistan-Einsatzes steht noch endgültig zu beschließen und nicht zuletzt auch die Frage, ob dem Bund mehr Bildungskompetenzen zuwachsen sollen, dürfte die Partei in dem Maße weiter beschäftigen, wie es ihr gelingt, die eine oder andere Landesregierung wieder zu übernehmen.
Zagatta: Was heißt das für die Parteienlandschaft? Sind da Umfragen, die neuerdings Rot-Grün wieder eine Mehrheit geben, die SPD da also stärken, überhaupt ernst zu nehmen, oder wäre dieser ganze Vorsprung, diese Wende, wäre das alles wieder hinfällig, wenn Wahlen näher rücken und wenn man sich die Politik der SPD dann doch wieder näher anschaut?
Holtmann: Umfragen sind sicherlich dann ernst zu nehmen, wenn man sie angemessen einzuschätzen weiß, und das bedeutet, sie stellen auf der einen Seite methodisch sehr differenziert das aktuelle Meinungsbild in der Bevölkerung beziehungsweise in einigen Bevölkerungsgruppen dar. Auf der anderen Seite: jeder Kundige weiß, Umfragen sind auch leicht verderbliche politische Ware. Beispielsweise jetzt schon aus dem gegebenen demoskopischen Bild zuverlässig gar hochrechnen zu wollen auf das Ergebnis bei den Landtagswahlen im Frühjahr, das ist verwegen bis vermessen.
Zagatta: Die SPD – das haben wir gerade gehört – streitet über die Rente mit 67. In der Bundesregierung selbst gibt es ja kaum ein Thema, über das sich die Koalitionäre derzeit einig sind. Bestes Beispiel der Streit in der Union über die Atomkraftwerke heute, über den wir gleich auch noch berichten. Herr Holtmann, sind wir da überkritisch, oder haben die Parteien ihren Kompass verloren? Das klingt doch alles sehr beliebig.
Holtmann: Sicherlich ist man nicht überkritisch, wenn man in einer Demokratie von außen sehr aufmerksam verfolgt, wie sich zumal die Regierungsparteien und eine Regierungskoalition auf den großen Baustellen dieses Landes zu bewähren weiß. Was wir derzeit sehen ist, dass sich die eigentlich in jeder Koalitionsregierung gegebene Tatsache, dass der Parteienwettbewerb gewissermaßen in die Regierung hineinverlagert wird, sich doch in einer vergleichsweise scharfen Form artikuliert. Das heißt, vor allen Dingen die beiden kleinen Koalitionäre, namentlich also FDP und CSU, sind derzeit dabei, vor allen Dingen den Eindruck des Dissens und nicht der Geschlossenheit zu erwecken, und das ist in der politischen Kultur Deutschlands, die ja traditionell doch sehr viel Wert auf Geschlossenheit der Parteien zumal legt, eine vergleichsweise nachteilige Übung.
Zagatta: Müssen wir das noch lernen, oder fördert das jetzt erst recht Politikverdrossenheit?
Holtmann: Ich denke nicht, dass es Politikverdrossenheit als solche fördert. Entscheidend wird sein, wie die Parteien allesamt ihre zum Teil ja, was die Union und die FDP betrifft, fast dramatisch verloren gegangene Kompetenz in wichtigen Politikfeldern betrifft, dass sie also allesamt lernen, diese Verluste in dem sogenannten Sachvertrauen für die Parteien sei es wiederzugewinnen, sei es jetzt aus der Sicht der SPD den Schritt aus dem tiefen, tiefen Tal des Kompetenzdefizits seit dem vergangenen Dezember wieder aufzuholen. Das ist deshalb auch wichtig, einerseits, weil damit der Parteienwettbewerb auch die ihm angemessene sachpolitische Sichtbarkeit gewinnt, und zum anderen, weil wir aus der Wahlforschung seit langem wissen, wahlentscheidend für die Motive von Wählerinnen und Wählern bei Bundestags- wie bei Landtagswahlen sind neben längerfristigen Parteibindungen, sind neben dem Kandidatenfaktor vor allen Dingen die Parteikompetenzen, das heißt also die Kompetenz, die man einer Partei (sei sie in der Regierung, oder der Opposition) für die Lösung gegenwärtig drängender Probleme zumisst. Damit ist die Hausaufgabe für die Parteienlandschaft insgesamt, denke ich, ganz gut beschrieben.
Zagatta: Der Parteienforscher Everhard Holtmann. Herr Holtmann, schönen Dank für das Gespräch.
Holtmann: Bitte sehr!
Everhard Holtmann: Guten Tag, Herr Zagatta!
Zagatta: Herr Holtmann, wie schätzen Sie das ein? Kann sich eine oder die große Oppositionspartei das leisten, dass sie in einer eigentlich so wichtigen Frage, dass da der Parteichef und der Fraktionsvorsitzende öffentlich ganz gegensätzliche Positionen beziehen?
Holtmann: Zum einen ist das sicherlich ein Ausdruck von innerparteilicher Demokratie, wenn nicht von vornherein alles auf einheitliche Positionen hin festgezurrt wird. Auf der anderen Seite: ich denke, trotz aller Flexibilisierung und Differenzierung im Detail, die SPD wird hier sicherlich zu einer eindeutigen Aussage kommen müssen – auch aus strukturellen Gründen -, denn es ist ja bekannt, der demographische Wandel (und das bedeutet vor allen Dingen die Alterung unserer Gesellschaft) schreitet fort und auch im internationalen Maßstab. Schaut man sich die anderen europäischen Länder an, beispielsweise auch die skandinavischen Wohlfahrtsstaaten, dann ist das Renteneintrittsalter auch dort vergleichsweise spät.
Zagatta: Wie ordnen Sie das ein? Ist die SPD aus Ihrer Sicht da immer noch eine gespaltene Partei? Da war doch in letzter Zeit immer von neuer Geschlossenheit und Neuanfang die Rede und jetzt widersprechen sich da in einer so wichtigen Frage eigentlich die beiden führenden Personen.
Holtmann: Das liegt gewissermaßen in der Logik der Sachauseinandersetzung und der Entscheidung, die hier auch die große Oppositionspartei zu treffen hat. Es ist in der Tat in den vergangenen Wochen bis in die letzten Tage hinein ein wenig im Wahrnehmungsschatten der weitgehenden Unzufriedenheit, auch demoskopisch gemessenen Unzufriedenheit mit der Regierungskoalition geblieben, dass ja auch die SPD latente innerparteiliche Kraftproben noch nicht zu Ende geführt hat. Da ist wie gesagt das Problem der Rente mit 67, aber beispielsweise auch die Frage des Afghanistan-Einsatzes steht noch endgültig zu beschließen und nicht zuletzt auch die Frage, ob dem Bund mehr Bildungskompetenzen zuwachsen sollen, dürfte die Partei in dem Maße weiter beschäftigen, wie es ihr gelingt, die eine oder andere Landesregierung wieder zu übernehmen.
Zagatta: Was heißt das für die Parteienlandschaft? Sind da Umfragen, die neuerdings Rot-Grün wieder eine Mehrheit geben, die SPD da also stärken, überhaupt ernst zu nehmen, oder wäre dieser ganze Vorsprung, diese Wende, wäre das alles wieder hinfällig, wenn Wahlen näher rücken und wenn man sich die Politik der SPD dann doch wieder näher anschaut?
Holtmann: Umfragen sind sicherlich dann ernst zu nehmen, wenn man sie angemessen einzuschätzen weiß, und das bedeutet, sie stellen auf der einen Seite methodisch sehr differenziert das aktuelle Meinungsbild in der Bevölkerung beziehungsweise in einigen Bevölkerungsgruppen dar. Auf der anderen Seite: jeder Kundige weiß, Umfragen sind auch leicht verderbliche politische Ware. Beispielsweise jetzt schon aus dem gegebenen demoskopischen Bild zuverlässig gar hochrechnen zu wollen auf das Ergebnis bei den Landtagswahlen im Frühjahr, das ist verwegen bis vermessen.
Zagatta: Die SPD – das haben wir gerade gehört – streitet über die Rente mit 67. In der Bundesregierung selbst gibt es ja kaum ein Thema, über das sich die Koalitionäre derzeit einig sind. Bestes Beispiel der Streit in der Union über die Atomkraftwerke heute, über den wir gleich auch noch berichten. Herr Holtmann, sind wir da überkritisch, oder haben die Parteien ihren Kompass verloren? Das klingt doch alles sehr beliebig.
Holtmann: Sicherlich ist man nicht überkritisch, wenn man in einer Demokratie von außen sehr aufmerksam verfolgt, wie sich zumal die Regierungsparteien und eine Regierungskoalition auf den großen Baustellen dieses Landes zu bewähren weiß. Was wir derzeit sehen ist, dass sich die eigentlich in jeder Koalitionsregierung gegebene Tatsache, dass der Parteienwettbewerb gewissermaßen in die Regierung hineinverlagert wird, sich doch in einer vergleichsweise scharfen Form artikuliert. Das heißt, vor allen Dingen die beiden kleinen Koalitionäre, namentlich also FDP und CSU, sind derzeit dabei, vor allen Dingen den Eindruck des Dissens und nicht der Geschlossenheit zu erwecken, und das ist in der politischen Kultur Deutschlands, die ja traditionell doch sehr viel Wert auf Geschlossenheit der Parteien zumal legt, eine vergleichsweise nachteilige Übung.
Zagatta: Müssen wir das noch lernen, oder fördert das jetzt erst recht Politikverdrossenheit?
Holtmann: Ich denke nicht, dass es Politikverdrossenheit als solche fördert. Entscheidend wird sein, wie die Parteien allesamt ihre zum Teil ja, was die Union und die FDP betrifft, fast dramatisch verloren gegangene Kompetenz in wichtigen Politikfeldern betrifft, dass sie also allesamt lernen, diese Verluste in dem sogenannten Sachvertrauen für die Parteien sei es wiederzugewinnen, sei es jetzt aus der Sicht der SPD den Schritt aus dem tiefen, tiefen Tal des Kompetenzdefizits seit dem vergangenen Dezember wieder aufzuholen. Das ist deshalb auch wichtig, einerseits, weil damit der Parteienwettbewerb auch die ihm angemessene sachpolitische Sichtbarkeit gewinnt, und zum anderen, weil wir aus der Wahlforschung seit langem wissen, wahlentscheidend für die Motive von Wählerinnen und Wählern bei Bundestags- wie bei Landtagswahlen sind neben längerfristigen Parteibindungen, sind neben dem Kandidatenfaktor vor allen Dingen die Parteikompetenzen, das heißt also die Kompetenz, die man einer Partei (sei sie in der Regierung, oder der Opposition) für die Lösung gegenwärtig drängender Probleme zumisst. Damit ist die Hausaufgabe für die Parteienlandschaft insgesamt, denke ich, ganz gut beschrieben.
Zagatta: Der Parteienforscher Everhard Holtmann. Herr Holtmann, schönen Dank für das Gespräch.
Holtmann: Bitte sehr!