Der Vorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen! Für ein weltoffenes Deutschland", Uwe-Karsten Heye, hat von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) klare Worte gegen Rechtsextremismus gefordert. Merkel hätte in ihrem Statement am Montag deutlich machen müssen, dass der Rechtsstaat wehrhaft genug sei, um dem Spuk rechtsextremistischer Gewalt und Hetze ein Ende zu machen, sagte der frühere Regierungssprecher der rot-grünen Bundesregierung (1998-2002) dem Deutschlandfunk. Ihre Äußerung seien nicht deutlich genug ausgefallen.
Er fürchte, dass Merkel Rücksicht auf die CSU nehme, deren Äußerungen eher biedermännisch und brandstifterisch seien. "Wenn sich die demokratischen Parteien nicht völlig einig werden, wird es ein böses Ende nehmen", warnte Heye mit Blick auf die Asylpolitik. In Sachsen sei viel zu lange der Eindruck erweckt worden, dass es Rechtsextremismus überhaupt nicht gebe. Auch der Polizei machte Heye nach den Neonazi-Krawallen von Heidenau Vorwürfe.
Das komplette Interview zum Nachlesen:
Martin Zagatta: Über den Umgang der deutschen Politik mit den rechtsextremen Ausschreitungen in Heidenau, über die in die Kritik geratene Flüchtlingspolitik der Bundesregierung konnte ich am Abend mit Uwe-Karsten Heye sprechen, dem Vorsitzenden des Vereins "Gesicht zeigen!" - ein Verein, der ausdrücklich gegen Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Rechtsradikalismus eintritt.
- An ihn die Frage, wie er das einschätzt, dass Angela Merkel jetzt doch noch klare Worte gefunden hat. Kommt das noch rechtzeitig oder hat sie damit zu lange gewartet?
Uwe-Karsten Heye: Ich meine, man muss mal abklopfen: Was hat sie denn wirklich gesagt? Ich meine, dass sie nicht erfreut ist über solche Ereignisse, das ist nun das Mindeste, was man von der Kanzlerin erwartet. Ich glaube, dass sie deutlich hätte machen müssen, dass dieser Rechtsstaat wehrhaft genug ist und wehrhaftsfähig ist, um diesem Spuk rechtsextremistischer Gewaltanwendung und Verhetzung ein Ende zu machen. Das ist, glaube ich, das, was fehlt und wo die Klarheit ebenso fehlt. Aber ich fürchte, dass sie hier ein bisschen Rücksicht nimmt auf die CSU, deren, sagen wir mal, Äußerungen ja eher biedermännisch und brandstifterisch sind als das Gegenteil. Und ich kann nur sagen: Wenn die demokratischen Parteien sich in dieser Frage nicht völlig einig sind und einig werden, dann wird das ein böses Ende nehmen.
Zagatta: Jetzt hat die Kanzlerin aber immerhin gesagt, es sei abstoßend, wie Rechtsextreme und Neonazis da versuchen, rund um eine Flüchtlingseinrichtung ihre dumpfe Hassbotschaft zu verbreiten. Und es sei auch beschämend, wie der Bürger, ganze Familien durch ihr Mitlaufen diesen Spuk unterstützen. Ist Ihnen das nicht deutlich genug?
Heye: Nein, das ist mir nicht deutlich genug. Das ist sozusagen, ich schelte euch mal ein wenig. Das hat aber mit dem, was notwendig ist, was die notwendige Klarheit ist, dass dieses Land in der Lage ist, 800.000 Flüchtlinge als eine Herausforderung, aber nicht als eine Überforderung zu verstehen, um Menschen zu helfen, die durch die Hölle gegangen sind. Darum geht es mir mehr, als mit formalistischen Hinweisen von abstoßend ... Na ja, klar ist das abstoßend, aber damit ist es nicht beendet oder verendet und die Defizite der sächsischen Politik sind damit auch nicht aus der Welt geschaffen, von Pegida und der Gesprächsfähigkeit mit besorgten Bürgern, deren braune Tünche kaum zu verbergen gewesen ist. Ich finde das alles unzureichend und in der Sache nicht angemessen. Und ich glaube, dass es auch notwendig ist, noch mal klar zu machen, dass wir bei einer Situation, in der weltweit 50 Millionen Menschen auf der Flucht sind, nicht den Eindruck erwecken können, als ob wir so weitermachen dürften wie bisher. Ich glaube, dass es notwendig ist, neben allem anderen auch darüber nachzudenken, welche politischen Notwendigkeiten es gibt, um in den Ländern, aus denen diese Menschen fliehen, seien sie aus ökonomischen und als Hunger-Karawane oder sei es aus politischen Gründen, dass wir dort auf eine unterschiedliche und differenzierte Weise helfend zur Seite stehen, damit die Fluchtgründe, die wir zum Teil selbst schaffen, geringer werden. Und uns das nicht in einer Weise ereilt, die auch in einer Gesellschaft wie der unseren nur schwer zu bewältigen ist.
Zagatta: Gilt diese Kritik, die sie da an der Bundeskanzlerin äußern, gilt die auch für den Bundespräsidenten? Den hört man ja in dieser Situation eigentlich auch nicht.
Heye: Ja. Ich glaube, er war ja wohl einer, der den Versuch gemacht hat, darauf aufmerksam zu machen, zu einer Zeit, als leider weder der sozialdemokratische Vizekanzler, noch die Bundeskanzlerin sich in der Sache klar und vernehmlich geäußert haben. Das hat nun Herr Gabriel heute, glaube ich, wirklich versucht, nachzuholen und auch durch seinen Besuch in Heidenau versucht nachzuholen. Dennoch: Auch das ist mir zu wenig. Wir brauchen mehrere Antworten, die nicht gegeben werden von der Politik. Das eine ist: Welchen Anteil dieser Flüchtlinge muss man als denkbare Einwanderer einordnen, die sozusagen einen anderen Status bekämen? Wie ist das mit den Flüchtlingen aus Syrien, die ohne Einschränkung Aufenthaltsgenehmigungen bekommen müssen und also auch eine andere Form der Eingliederung und des Flüchtlingsstatus haben? Und dann am Ende diejenigen, von denen wir behaupten, sie kämen alle aus Ländern, wo ein Asyl nicht angemessen zu geben wäre. Ich kann nur sagen, wir müssen uns nicht selber blind machen vor dem, was im Kosovo oder was in Tirana und in anderen Ländern dieser Art im Balkan auf Menschen wirkt und sie zur Flucht vertreibt. Ich glaube, Asyl darf nicht eine Hülle werden, in der sozusagen die politischen Gründe, die immer behauptet werden, dazu führen, dass man das Asyl im Grunde aushebelt.
Zagatta: Herr Heye, Sie waren selbst einmal Regierungssprecher, kennen also auch politische Zwänge. Wie erklären Sie sich denn, dass die Bundesregierung da vielleicht zu sehr zurückhaltend reagiert?
Heye: Ich fürchte das, was ich vor allen Dingen der CSU ankreide, dass sie den Versuch macht, rechts von sich nichts und niemanden sonst zu dulden, dass dieser taktische Kontext im Grunde immer noch derjenige ist, der den Takt bestimmt, mit dem die amtierende Bundesregierung sich äußert. Ich kann nur verstehen, dass die Opposition ...
Zagatta: Würde das für die SPD auch gelten?
Heye: Ja, das gilt in Teilen auch für die SPD. Ich glaube, dass es für die SPD angemessen wäre, auch aus ihrer historischen Erfahrung - sie ist zuständig aus ihrer Tradition auch für die Verdammten dieser Erde -, dass sie aus dieser Tradition heraus nicht mit einer CSU zusammenwirken kann, die so Brandstifter und Biedermann zugleich spielt in dieser Frage. Das geht nicht. Sie muss klar machen, ihr seid dabei, die Große Koalition auseinanderzubringen, wenn ihr so handelt und euch so äußert, wie das etwa der amtierende Ministerpräsident in Bayern tut. Wenn jemand sagt, dass er bis zur letzten Patrone gegen die Einwanderung in deutsche Sozialversicherungssysteme kämpfen wird, dann kann ich nur sagen, was ist das für eine Aufforderung.
Zagatta: Jetzt gibt es aber die schlimmsten Ausschreitungen gegen Flüchtlinge doch eindeutig in Sachsen. Wie erklären Sie sich das?
Heye: Ich glaube, das hat damit zu tun, dass in Sachsen viel zu lange der Eindruck erweckt wurde, dass es Rechtsextremismus gar nicht gibt und dass diejenigen, die sich etwa in Dresden entlang der Erinnerungstage der Bombardierung der Stadt gegen die Aufmärsche von Rechten gewehrt haben, dass gegen die ermittelt worden ist, weil sie Unruhe gestiftet haben und Unruhestifter gewesen sind. Statt dafür zu sorgen, dass von vornherein klare Kannte gegen Rechtsextremismus deutlich gemacht wurde. Das sind Versäumnisse.
Pegida ist das gleiche. Diese Gesprächsbereitschaft mit dieser braun getünchten und diesen egoistischen Wutbürgern, die dort eine Rolle gespielt haben, das halte ich alles für die falsche Sicht der Dinge und hier hat ja leider auch der sozialdemokratische Parteivorsitzende keine gute Rolle gespielt.
Zagatta: Jetzt zeigen ja die Vorgänge von Heidenau, dass auf alle Fälle schneller Handlungsbedarf besteht. Die Polizei, die fordert Bannmeilen, Demonstrationsverbote um Flüchtlingsheime herum. Aus Ihrer Sicht: Was müsste die Politik denn jetzt ganz dringend und ganz schnell unternehmen?
Heye: Ich denke, dass das alles Zeichen von Schwäche ist. Ich meine ernsthaft: Wenn die sächsische Polizei nicht in der Lage ist, abzuschätzen, was sich vor dem Flüchtlingsheim in Heidenau versammelt und dass sich da an die tausend rechtsextremistisch orientierte oder jedenfalls von ihnen verhetzte Leute befinden. Und das mit einer Hundertschaft glaubt, aufwiegen zu können, dann ist das nur ein Zeichen dessen, was ich ja auch wahrnehme in ganz anderen Zusammenhängen. Das ist ganz offenkundig und es wäre auch ganz verwunderlich, wenn es ganz anders wäre, dass es auch in den Polizeien von Bund und Ländern und hier in Sachsen ganz offenkundig einzelne Beamte, aber auch schon rechtsextremistische oder jedenfalls rassistische Zellen gibt, die von sich aus nicht in der Lage sind, den Ernst der Lage wirklich noch zu begreifen, geschweige denn einzuschreiten, wo es notwendig ist. Es gibt so viele Beispiele dafür, aus Brandenburg, aus Niedersachsen, aus Bayern, wo einzelne Polizeibeamte in diesem Zusammenhang aufgefallen sind. Ich glaube, wir müssen auch den institutionellen Rassismus bekämpfen und deutlich machen, dass es jetzt wirklich darauf ankommt, ein großes politisches Umdenken in Gang zu setzen. Nehmen Sie nur mal den Versuch, diese, sagen wir mal, eher imperialistische, jedenfalls aggressive Außenwirtschaftspolitik von EU und den USA im Zusammenhang mit TTIP noch mal aufzugreifen. Was wird denn das werden? Da sind die wichtigsten und stärksten Wirtschaftsräume im Norden des Planeten, diejenigen, die sich weiter abschotten und gleichzeitig dafür Sorge tragen, dass der Planet in Arm und Reich weiter gespalten wird. Und das ist, glaube ich, etwas, was man im Kopf haben muss, wenn man bedenken will, auf welche Weise wir den Ursprüngen dieser Völkerwanderung, die da im Gange ist, auf die Spur kommen wollen, um sie abzubrechen und in eine politische Friedenspolitik umzusetzen.
Zagatta: Uwe-Karsten Heye, der Vorsitzende des Vereins "Gesicht zeigen!", heute Abend im Deutschlandfunk.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.