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Umgang mit Hass im Netz
"Kommt darauf an, dass Polizei sichtbar vorgeht"

Beim Kampf gegen Hass im Netz müsse die Polizei ihr Vorgehen stärker öffentlich machen, sagte der Cyberkriminologe Thomas-Gabriel Rüdiger im Dlf. Andernfalls würden Hass-Schreiber weiter das Gefühl haben, im Netz keine Strafen befürchten zu müssen. Aber auch einzelne User könnten etwas gegen Hetze unternehmen.

Thomas-Gabriel Rüdiger im Gespräch mit Brigitte Baetz |
Das Wort "Hass" steht gesprüht in roter Farbe auf einem Stromkasten.
Hass ist im Netz zu einer großen Herausforderung geworden (picture-alliance / dpa / Wolfram Steinberg)
Brigitte Baetz: Das Internet ist ein Medium mit vielen Vorteilen, aber auch dem Nachteil, dass der Hass dort in Wort und Bild allgegenwärtig scheint. Der Mord an Walter Lübcke und die entsprechenden Kommentare im Netz sind da nur das aktuellste Beispiel. Staatssekretär Gerd Billen vom Bundesjustizministerium hat deshalb noch einmal die sozialen Netzwerke dazu aufgerufen, konsequent und umfassend gegen Hassrede vorzugehen. Nun sind aber Worte ja wohlfeil, müssten nicht mehr Taten her?
Thomas-Gabriel Rüdiger ist Cyberkriminologe und arbeitet am Institut für Polizeiwissenschaft in Brandenburg. Warum bekommen wir den Hass im Netz nicht in den Griff?
Thomas-Gabriel Rüdiger: Ja, ich glaube, das liegt daran, dass wir immer nur diesen Fokus jetzt auf den Hass im Netz setzen, und zwar auch erst seit zwei, drei Jahren. Das gibt es ja schon länger. Ich glaube aber, dass es im Prinzip eine Grundsatzfrage im Netz ist, warum im Netz im Prinzip doch ein Gefühl der Rechtsfreiheit herrscht. Und wenn man diese Grundsatzthematik nicht löst, wovon Hass im Netz nur ein Aspekt ist, dann wird man die ganze Geschichte sowieso nicht in den Griff kriegen können.
Baetz: Aber das Netz ist ja eigentlich kein rechtsfreier Raum. Man darf ja nicht zum Mord aufrufen, zum Beispiel. Es gelten ja auch die Gesetze des normalen Lebens…
Rüdiger: Wissen Sie, es ist so: Das Netz ist zwar kein rechtsfreier Raum im Sinne: Es gilt kein Recht. Aber es kommt nicht darauf an, ob Recht gilt, sondern ob Recht durchgesetzt wird. Und es ist so, dass wenn wir zum Beispiel Dunkelziffer-Relationen anschauen, das heißt: Wie viele Delikte werden angezeigt im Verhältnis zu denen, die tatsächlich begangen werden? Gehen wir zum Beispiel im physischen Raum von Delikten von 15 zu 1 aus. Beim Ladendiebstahl: Bei 15 Ladendiebstählen wird einer zur Anzeige kommen. Und niemand würde bezweifeln, dass in Deutschland es kein rechtsfreier Raum ist. Im Netz reden wir aber über Quoten von 300 bis 400 zu eins, je nach Deliktsorten. Und das ist ein ganz anderes Problem. Und deswegen haben wir auch das Phänomen, dass ganz viele Hass im Netz mit Klarnamen betreiben, weil sie nämlich am Ende geringe Angst vor Strafverfolgung haben und ihnen zum Beispiel Anerkennung in ihrer Szene wichtiger ist als der Schutz vor Strafverfolgung. Und das ist ein Grundsatzproblem.
Baetz: Das heißt, wir bräuchten mehr Internet-Polizei?
Rüdiger: Ja, absolut, ich höre, Sie sind gut vorbereitet, weil das ist genau eine meiner Grundsatzforderungen: Es kommt nicht nur darauf an, dass wir mehr Polizei im Netz haben. Sondern, wissen Sie, es kommt darauf an, dass diese sichtbar vorgeht. Was meine ich damit? Wenn Sie im Straßenverkehr unterwegs sind, sehen Sie immer wieder die Polizei. Sie macht was, sie hält jemanden an und führt Kontrollen durch. Diese Sichtbarkeit ist wichtig dafür, dass wir denken, dass Recht gilt. Im Netz hast Du genau das nicht. Das heißt, selbst wenn jetzt rechtsradikale oder andere extremistische Kommentare gelöscht werden, kriegt die Masse das ja jetzt nicht mit, wenn da mal irgendwann mal was gestanden hat und die Polizei das gelöscht und zur Anzeige gebracht hat. Sondern was müsste passieren? Man müsste sichtbar Polizei haben, die beispielsweise sagt: Dieser Kommentar war aus unserer Sicht Anfangsverdacht einer Straftat; wir haben ihn löschen lassen, wir lassen das strafrechtlich prüfen; denkt bitte dran, auch das Netz ist kein rechtsfreier Raum. Und genau diese Mechanismen haben wir leider nicht.
Vorbild Netzwerkdurchsetzungsgesetz?
Baetz: Aber wir haben in Deutschland ja das Netzwerkdurchsetzungsgesetz, wird weltweit auch durchaus als Vorbild gefeiert – warum greift das zu kurz?
Rüdiger: Ich muss sagen, ich war immer sehr zwiespältig beim Netzwerkdurchsetzungsgesetz, weil ich immer auch die Angst gesehen habe oder bis heute sehe, dass zum Beispiel es eher darauf ankommt, einen Kommentar zu melden, als zum Beispiel eine Strafanzeige deswegen durchzuführen, weil es keine Strafverfolgungspflicht innerhalb des NetzDGs gibt. Das ist aber nur ein Aspekt. Für viel schlimmer halte ich Folgendes: Und zwar ist es so, dass das Netzwerkdurchsetzungsgesetz aus meiner Perspektive ja auch verhindern sollte, dass Kinder im Netz mit extremistischen Meinungen konfrontiert werden. Und jetzt ist es aber so, dass, kurz bevor das Netzwerkdurchsetzungsgesetz veröffentlicht wurde, eine Woche vorher, die Onlinespiele aus dem Regelungsgehalt herausgenommen wurden. Das heißt, die Programm, wo tatsächlich Kinder massiv unterwegs sind und wo sie auch mit Extremisten oder Sexualtätern konfrontiert werden, sind rausgenommen worden, was dazu führt, dass man beispielsweise keine Pflicht hat, in diesen Programmen, dass man rechtsradikale oder andere extremistische Inhalte melden kann. Und das halte ich für ein großes Problem. Wissen Sie, da machen wir uns einen Kopf über Facebook und Twitter, während gleichzeitig in Online-Spielen, "Steam" oder, was weiß ich, "Discord", dass dort der Einfluss auf die Kinder stattfindet. Und das ist für mich unbegreiflich, dass man das machen konnte.
Baetz: Wer hat das durchgesetzt? Wer ist dafür verantwortlich?
Rüdiger: Das kann ich Ihnen auch nicht hundertprozentig sagen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass wir wissen, dass auf jeden Fall natürlich die Spiele-Wirtschaft auch die Meinung vertritt, bei ihnen gibt es so etwas gar nicht. Was aber sehr unrealistisch ist. Sie müssen sich vorstellen: Es gibt in Deutschland mehr Nutzer, die Online-Spiele spielen als die, die bei Facebook angemeldet sind. Und bei Online-Spielen treffen die aber auf alle Altersstufen zusammen. Und da ist es naheliegend, dass die auch ihre extremistischen Meinungen machen. Ich zeige zum Beispiel gerne in meinen Vorträgen, wie in solchen Online-Spielen, die für Kinder freigegeben sind ab sechs, die Nutzer "Waffen-SS" oder "Adolf Hitler" oder so heißen. Und das ist für mich unbegreiflich, dass wir da nichts tun. Aber leider ist das so.
"Stärker positive Geschichten posten"
Baetz: Was kann denn jeder von uns tun, außerhalb der Gesetzeslage? Einfach auch mehr Anzeigen machen?
Rüdiger: Ja, mehr Anzeigen machen ist auf jeden Fall eine Möglichkeit, weil man damit nämlich die Risiken für die Täter erhöht. Ich habe aber neulich einen interessanten Ansatz gelesen, und zwar: Zimbardo, der große Psychologe, der auch mal das Stanford-Prison-Experiment gemacht hat, der hat gesagt, es gibt auch eine Hemmschwelle dafür, gute Handlungen zu begehen. Das heißt zum Beispiel, sich solchen Taten entgegenzustellen. Und diese Hemmschwelle gibt es halt, weil man nicht sieht, wie andere das machen. Das heißt, eigentlich müsste man im Netz tatsächlich stärker anfangen, positive Geschichten zu posten, zu zeigen, dass man den Hass halt nicht gut findet. Weil das nämlich andere dazu animiert, selber so etwas zu posten, was dann im Prinzip das zurückdrängen könnte. Wie so eine Waage, die sich gegenseitig bekämpft. Und da müsste das Gute, hört sich jetzt hart an, müsste eigentlich gewinnen. Und da gibt es einen wichtigen Punkt: Es muss für die anderen erkennbar sein, dass jemand etwas Gutes tut. Das fand ich einen ganz interessanten Ansatz, als nur die Anzeigen durchzuführen.
Baetz: Also "Candystorm" statt "Shitstorm" – vielen Dank, Thomas-Gabriel Rüdiger.
Rüdiger: Ja, hat mich sehr gefreut.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.