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Umgang mit Landflucht
Intelligentes Schrumpfen

Thüringen und Hessen - zwei Bundesländer, ein Problem: Die Menschen ziehen von den Dörfern und Gemeinden in die Städte. Während im hessischen Odenwald vier Gemeinden friedlich zu einer Stadt fusionieren, tobt in Thüringen ein erbitterter Streit über eine Gebietsreform, die aus 18 Landkreisen sieben machen will.

Von Ludger Fittkau und Henry Bernhard |
    Ein verfallenes und leerstehendes Gebäude, aufgenommen am 01.04.2015 in Sassnitz (Mecklenburg-Vorpommern) auf der Insel Rügen. Foto: Stefan Sauer
    Wie hier in Mecklenburg-Vorpommern verfallen in vielen ländlichen Gebieten unbewohnte Gebäude, weil die Menschen lieber in die Stadt ziehen. (picture alliance / dpa / Stefan Sauer)
    "Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich, heute Morgen hier bei Ihnen zu sein…"

    Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) begrüßt im Gemeindezentrum von Sensbachtal die Bürgermeister und Parlamentarier von vier bisher selbstständigen Ortschaften im Odenwald. Der Anlass seiner Ansprache: Die vier Kommunen werden sich nun zusammenschließen.
    "Das ist schon ein besonders beeindruckendes Projekt, was Ihnen hier in Oberzent gelungen ist. Die neue Stadt wird zukünftig gemeinsam genannt werden, Frankfurt, Wiesbaden, Oberzent."
    Flächenmäßig wird die neue Stadt Oberzent im Odenwald nach Frankfurt am Main und Wiesbaden die drittgrößte Stadt Hessens sein. Offiziell wird der Zusammenschluss am 1.1.2018 vollzogen. Vereint zu einer Stadt, werden die vier seit Jahren schrumpfenden Mittelgebirgs-Kommunen wieder mehr finanziellen Handlungsspielraum bekommen.
    Infrastruktur zu teuer für schrumpende Gemeinden
    Landflucht, die Abwanderung aus Agrarregionen in die Städte, dieses Phänomen gibt es seit Jahrhunderten auf der ganzen Welt. Die Bundesrepublik war davon Jahrzehnte lang vergleichsweise wenig betroffen – doch auch hier hat sich in den vergangenen Jahren der Trend enorm verstärkt: Die Menschen ziehen in die Stadt. Zurück lassen sie vor allem die Regionen, die eine Stunde oder mehr vom nächsten Autobahnanschluss entfernt liegen.
    Denjenigen, die in den schrumpfenden Dörfern und Kleinstädten bleiben, fällt es immer schwerer, die Infrastruktur zu finanzieren, die ja für mehr Menschen ausgelegt war: Wasserleitungen, Schulen, Bürgermeisterämter. Vielerorts in der Republik gelten größere Verwaltungsstrukturen als Mittel der Wahl – doch nehmen die Bundesländer verschiedene Wege.
    Ein Bürgermeister, der sich selbst abschafft
    "Ja, es ist schon eigenartig, dass man den eigenen Arbeitsplatz hier letztlich wegrationalisiert."
    Der Sozialdemokrat Thomas Ihrig wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein radikaler Reformer. Der kräftige Bürgermeister der Odenwald-Gemeinde Hesseneck spricht ruhig und bedächtig. Er weiß aber, dass mancher hessische Bürgermeister-Kollege mit gewissem Argwohn betrachtet, was er gerade treibt. Denn Thomas Ihrig arbeitet daran sein Bürgermeisteramt abzuschaffen. Er will seine Gemeinde Hesseneck mit den drei anderen Kommunen des südlichen hessischen Odenwaldes zur neuen Stadt Oberzent zusammenführen.
    Thomas Ihrig ist dann ab dem 1.1.2018 seinen Job los, denn drei von vier bisherigen hauptamtlichen Bürgermeistern werden bald nicht mehr gebraucht: "Aber wir vier Kollegen sind uns einig, dass das der einzige Weg ist, wie wir hier diese Region für die Zukunft wirklich gut aufstellen können."
    Die letzten Sonnenstrahlen des Herbstes. Herbstimpressionen an einem Weiher im Odenwald Herbstimpressionen 2016 - Odenwald/ 
    Drei Kommunen im beschaulichen, hessischen Odenwald sollen zu einer neuen Stadt fusionieren (imago stock&people)
    Die anderen drei Verwaltungschefs, die die Fusion beschlossen haben, sind die Bürgermeister der Stadt Beerfelden sowie der Gemeinden Rothenberg und Sensbachtal. Egon Scheuermann ist seit acht Jahren Bürgermeister von Sensbachtal. Seitdem er im Amt ist, hat seine Gemeinde ein Zehntel der Bevölkerung verloren.
    Kaum noch freiwilliges Engagement für Gemeindepolitik
    Deshalb bleibt Egon Scheuermann schon aus finanziellen Gründen kaum noch Raum für gestaltende Politik. Er findet noch nicht einmal mehr genug politisch engagierte Leute für die Gemeindevertretung:
    "Ich habe im Moment sogar die Situation, dass ich meine Gemeindevertretung statt mit elf, wie es vorgesehen ist, nur mit sechs Mitgliedern besetzen kann. Das hat sicher auch eine Ursache darin, dass die Gestaltungsmöglichkeiten, über die der Gemeinderat noch zu bestimmen hat oder bestimmen kann, immer weiter zurückgeht, und wir uns nur noch auf das Notwendigste beschränken müssen. Und wenn kein Gestaltungsspielraum und kein Handlungsspielraum mehr da ist für ehrenamtliche Mandatsträger, dann verlieren die eben auch die Lust, sich zur Verfügung zu stellen."
    Erste Stadtgründung seit 50 Jahren
    Weil er aber auf Dauer nicht nur den Mangel verwalten will, plädiert auch der Bürgermeister von Sensbachtal für die Gründung der neuen Stadt südlich von Frankfurt. Denn: Rund 900.000 Euro mehr pro Jahr wird die neue Stadt mit dann rund 10.000 Einwohnern ab 2018 zur Verfügung haben. Weil drei Bürgermeisterstellen eingespart werden, weil die künftige Gemeinde aufgrund ihrer höheren Einwohnerzahl im kommunalen Finanzausgleich bessergestellt ist, und überdies das Land Hessen die Fusion mit einem einmaligen Schuldenerlass belohnt.
    Eine solche Stadtneugründung hat es seit einem halben Jahrhundert in Hessen nicht mehr gegeben. Auch Egon Scheuermann weiß, dass er dabei ist, Geschichte zu machen:
    "Ja, selbstverständlich, das ist uns auch bewusst. Das spüren wir aber auch, dass wir hier eine Art Vorreiterrolle haben. Das spüren wir bei allen vorgesetzten Ämtern bis nach Wiesbaden, wo uns auch jegliche Unterstützung zuteil wird bei Fragen oder Anregungen oder Wünschen. Von daher gesehen ist uns das schon bewusst, ja. Und es wird auch honoriert, ja."
    Entscheidung per Bürgervotum
    Doch gerade das finanzielle Engagement des Landes für die größere Einheit im Odenwald sehen andere kleine Gemeinden Hessens mit Skepsis und vielleicht auch Neid, weiß Hesseneck-Bürgermeister Thomas Ihrig:
    "Es wird beachtet und der eine oder andere sieht es auch eher negativ und sagt: Eigentlich müssten wir euch Kleine stärken, damit auch die kommunale Selbstverwaltung wirklich tragfähig und leistungsfähig bleibt."
    Doch haben die bisherigen Bürgermeister auch die Bürgerinnen und Bürger der Region hinter sich. Vier Fünftel der Wahlberechtigten in der künftigen neuen Kommune stimmten im März 2016 bei einem Bürgerentscheid für die Fusion der vier Gemeinden, um die kommunale Selbstverwaltung leistungsfähig zu halten.
    Zur Landflucht kommt der Ärztemangel
    Mit einem "Grenzänderungsvertrag" wird nun für 2018 die neue Stadt aus der Taufe gehoben. In der Gemeindeverwaltung von Sensbachtal koordiniert Christian Kehrer den Fusionsprozess:
    "Ziele sind, die Infrastruktur in jeder einzelnen Ortschaft zu erhalten. Dafür muss man kämpfen. Wichtig ist, dass hier das Leben in dieser Region nach wie vor auch attraktiv ist, familienfreundlich und dass sich der Bürger hier wohl fühlt."
    Wie fast überall auf dem Land hapert es auch im hessischen Odenwald an ärztlicher Versorgung. Eines der wichtigsten Projekte für die aktuellen Stadtgründer ist deshalb der Aufbau eines neuen Gesundheitsversorgungszentrums mit einer ärztlichen Gemeinschaftspraxis. Christian Kehrer:
    "Es besteht auch Kritik, warum sich da die Kommune einmischt, aber man muss da schon irgendwo auch von einem Marktversagen sprechen. Also es ist wirklich so, dass sich junge Ärzte hier in ländlichen Regionen nicht mehr ansiedeln wollen."
    Stadtgründung ist juristisches Neuland
    Thomas Ihrig: "Ja gut, das ist unsere Hoffnung, dass wir eben hier attraktive Arbeitsbedingungen schaffen. Das merkt man ja auch und diese Diskussion führen wir ja immer wieder. Die Einzelpraxen, wie sie in der Vergangenheit, in den letzten Jahren, Jahrzehnten geführt wurden, sind wohl Auslaufmodelle. Es soll geregelter, es soll geordneter stattfinden von den Arbeitszeiten her und deshalb ist so ein Zentrum schon eher attraktiver für denjenigen, der sich hier niederlassen will. Also diese Hoffnung haben wir schon."
    Die Stadtgründer im Odenwald sind also hessenweit betrachtet auch juristische Pioniere. Egon Scheuermann:
    "Das ist seit der Gebietsreform 1972 nach meinem Kenntnisstand der erste wirklich mit Nachdruck verfolgte Zusammenschluss einer Kommune. Deswegen sind da auch noch keine Regelungen getroffen, wo man das automatisch hätte abkupfern können."
    Aus vier alten Wappen entsteht ein neues
    Doch Traditionspflege gehört auch dazu. Das Wappen für die neue Stadt "Oberzent" zu finden, war allerdings nicht ganz einfach, verraten Kehrer und Ihrig:
    "Es gibt ein Symbol, das eigentlich für die Region steht, das aber vom Motiv her für eine neue, junge, dynamischen Stadt doch recht schwierig ist, in einem Wappen darzustellen. Das wäre der Beerfelder Galgen. Der ist berühmt, ja. Der Heraldiker hat es so gemeint: Der steht für Gerechtigkeit."
    "Der Galgen ist eher Symbol in eine andere Richtung."
    Jedenfalls ist er kein Symbol dafür, dass die erste neue hessische Stadt des 21. Jahrhunderts sich mehr Luft zum Atmen verschaffen will. Mit dem Wappenexperten, dem Heraldiker, erarbeitete man schließlich eine Kombination aus den vier Wappen der alten Gemeinden – mit vielen Sternen und einem stattlichen schwarzen Bären.
    Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
    Der Mittelalterliche Galgen in Beerfelden. Das Symbol wird auch im Wappen der neuen Stadt Oberzent zu finden sein. (imago stock&people / Martin Werner)
    Friedliche Fusion in Hessen, Streit in Thüringen
    Während in Hessen ein paar Bürgermeister friedlich über einen kommunalen Aufbruch nachdenken, scheint hinter der hessisch-thüringischen Grenze eine Gebietsreform derzeit nicht so rund zu laufen.
    "Unter den gegebenen Umständen bin ich dafür: Der Landkreis Eichsfeld bleibt allein, weil all die bunten Bilderchen uns in unserer wirtschaftlichen Situation nicht helfen. Ich brauche keine Hilfe."
    Auch Werner Henning hätte am liebsten eine neue Gemeinde geschaffen – eine, die flächenmäßig sogar drei Mal so groß wäre wie Frankfurt am Main – und damit viel größer als das neue Oberzent im Odenwald. Henning wollte aus seinem Landkreis eine einzige Gemeinde machen, um sich die Eigenständigkeit zu erhalten. Aber daraus wird nichts.
    Soeben hat der Innenminister Thüringens seine Pläne zur Neustrukturierung der Landkreise vorgestellt – mit einer schönen bunten Präsentation. Und Henning ist sichtlich erregt. Er ist seit Ende 1989 Landrat im Eichsfeld, einem erzkatholischen Flecken im Norden Thüringens mit sehr eigensinniger und sehr strebsamer Bevölkerung. Nun soll sein wirtschaftlich erfolgreicher Kreis mit dem seit Jahren knapp an der Pleite vorbeischlitternden Nachbarkreis Unstrut-Hainich zusammengelegt werden.
    "Ich brauche keine Hilfe, denn meine eigene wirtschaftliche Verfasstheit ist in Nordthüringen vergleichsweise exzellent. Ich kann meinen Haushalt ausgleichen, ich habe insofern überhaupt nicht diese Probleme."
    In Thüringen sollen aus 17 Landkreisen acht werden
    Henning hatte gehofft, dass sein Landkreis eigenständig bleiben könnte. Aber die Chancen dazu waren gering, da Thüringen seine Kreise von heute 17 auf acht im Jahre 2018 zusammenschrumpfen will – als Teil einer Funktional-, Verwaltungs-, Gebietsreform. Drei Städte sollen zudem ihre Kreisfreiheit verlieren.
    "Aber nichtsdestotrotz: Der Freistaat Thüringen ist der Souverän, und der Souverän kann seine Verwaltungsstrukturen einteilen, wie er das will. Das muss er im Landtag entscheiden. Aber ich muss aus der heutigen Sicht sagen: Der Freistaat Thüringen darf sein Versagen – Und ich rechne die ganzen 25 Jahre unter allen Regierungen mit ein! Man hat nicht aufgepasst in der Entwicklung! –, man kann das nicht abwälzen auf die zufälligen Nachbarn. Das ist meine Klage, denn diese Sanierung würde am Ende mit Steuererhöhungen meiner Einwohner bezahlt."
    Werner Henning ist Mitglied der CDU, die Thüringen 25 Jahre in verschiedenen Koalitionen regiert hat. Seine aktuelle Wut aber richtet sich gegen die rot-rot-grüne Regierung in Thüringen.
    Gebietsreform kommt nicht gut an
    Henning war, wie einige andere Landräte, extra nach Erfurt gereist, um die Pläne für die Neustrukturierung des Landes aus erster Hand zu erfahren. Der Innenminister Holger Poppenhäger, Sozialdemokrat, Jurist, vorsichtig ausgedrückt kein Kommunikationsgenie, versucht seit über einem Jahr den Bürgern, den Landräten und Bürgermeistern und der Opposition im Landtag die Gebietsreform zu "verkaufen" – mit mäßigem Erfolg.
    "Wir brauchen also leistungsfähige Verwaltungseinheiten, das war die Maßgabe für das Kabinett. Und neben den Vorgaben des Vorschaltgesetzes, was ja primär auf Größenvorgaben und die demographische Entwicklung gesetzt hat, waren bei der Entscheidung zu zukünftigen Landkreisen auch eine Reihe weiterer Indikatoren zu prüfen: Die räumliche Lage und Entfernung, die landschaftlichen, geographischen Gegebenheiten, infrastrukturelle Verflechtungsbeziehungen, Verkehrswege, ÖPNV, Arbeitsplätze, natürlich auch traditionelle landsmannschaftliche Verbindungen, Vereine, Kirchengemeinden."
    Drei Städte sollen die Kreisfreiheit verlieren
    Die Gebietsreform ist das wichtigste Vorhaben der rot-rot-grünen Regierungskoalition. Schon unter der vergangenen großen Koalition hatte eine Kommission darüber nachgedacht, da Thüringen seit 1989 schrumpft, da es altert, da die Menschen in die Städte abwandern, da die Verwaltungen schon heute manchmal Schwierigkeiten haben, qualifizierte Nachwuchs-Kräfte zu finden. Außerdem gibt es Schieflagen zwischen Städten und deren Umland: Eisenach ist überschuldet, der Speckgürtel aber prosperiert; die einstige Großstadt Gera hängt am Finanztropf des Landes; Weimar, eine Kleinstadt mit 60.000 Einwohnern, ist dennoch kreisfrei.
    Alle drei Städte sollen die Kreisfreiheit verlieren. Gemeinden müssen sich zusammenschließen, um auf mindestens 6.000 Einwohner zu kommen; kreisfreie Städte brauchen 100.000 und Landkreise mindestens 130.000 Einwohner. Viel zu hohe Hürden, meint der CDU-Fraktionschef Mike Mohring.
    "Na, die Katze ist aus dem Sack, und die Kuh ist nicht vom Eis. Und wir wissen jetzt, dass neun Landkreise von der Landkarte verschwinden sollen, neun Ankerpunkte, wo Landratsämter, Kaufkraft, Polizeiinspektionen, Gerichtsstandorte, Krankenhausstandorte alle im Nachgang gefährdet sind.
    Alles über die Köpfe der Menschen hinweg, gegen den Willen der kommunalen Familie, im Schweinsgalopp, wo kein Baustein auf den anderen passt, wo ein Zeitdruck aufgebaut wird, der überhaupt nicht nachvollziehbar ist, und wo jede Bürgerbeteiligung sich vermissen lässt. Ohne zu sagen, welche Aufgaben eingespart werden sollen, ohne zu sagen, wie die Verwaltungsstruktur aussehen soll, ohne zu sagen, dass das Geld sparen soll, sondern einfach nur um der Ideologie Willen"
    Mohring meint, der Blick nach Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern zeige, dass Gebietsreformen nichts einsparten, sondern Geld kosteten. Überdies gebe der Rückzug staatlicher Strukturen aus der Fläche den Menschen das Gefühl, allein gelassen zu werden. Wenn man den Bürgermeister nicht mehr auf der Straße treffe, dann verschwinde ein Stück Demokratie. Ministerpräsident Bodo Ramelow jedoch muss sparen: Bundes- und EU-Zuweisungen schrumpften jährlich um 100 Millionen Euro, sagt er.
    Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke) am 22.09.2016 in Hohenwarte (Thüringen) bei einem Festakt im Maschinenhaus.
    Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow (Die Linke). (picture alliance/dpa - Martin Schutt)
    "Ich will mit aller Deutlichkeit sagen: Das "Ob" der großen Reform ist geklärt; jetzt geht es um das "Wie". Und beim Ob entnehme ich, dass der eine oder andere noch meint, er könnte das alles nicht nur anhalten, sondern er könnte es verhindern.
    Da will ich einfach deutlich sagen: Diese Landesregierung ist entschieden, das viel zu lange liegengebliebene Thema des Umbaus unserer öffentlichen Verwaltung, unter der Maßgabe, dass wir das Land fit machen wollen für die Zukunft und die Zukunftsfestigkeit dieses Landes für uns das Handlungsmotiv ist, wie wir das Bundesland Thüringen so fit machen und so entwickeln, dass wir in der Mitte aller Bundesländer in Zukunft noch ganz vorne mitspielen. Diese Reform wird stattfinden!"
    Entstehen durch Zusammenlegungen "Monsterkreise"?
    Nun sagen verschiedene Studien Unterschiedliches darüber aus, ob größere Verwaltungseinheiten Geld sparen - oder sogar mehr kosten. Ramelow spricht nur noch diffus von "Effizienzgewinnen" – die die Opposition bestreitet.
    "Wir sehen: In Sachsen steigt die Kreisumlage, das ist die finanzielle Belastung für die örtlichen Städte und Gemeinden. Wir sehen keine Investitionssprünge, die stattfinden, die sich ja nur an der Leistungsfähigkeit festmachen würden. Und wenn diese vermeintlichen Effizienzgewinne irgendwo darstellbar wären, dann hätte man auch Vorschläge für einen neuen kommunalen Finanzausgleich vorlegen müssen. Und den lässt die Landesregierung vermissen."
    Der Thüringer Landkreistag hatte Ministerpräsident Ramelow vor Weihnachten eingeladen – auch Landräte von SPD und Linken klagten dort, die Reform sei allein vom grünen Tisch geplant, es entstünden Monsterkreise, all dies sei "eine aktive Wahlhilfe für die AfD". Die Landesregierung habe keine Achtung vor den Fachleuten, erregte sich CDU-Landrat Werner Henning.
    "Thüringen ist im Hier und Heute überhaupt nicht in der Lage, eine solche Kreisgebietsreform ökonomisch sinnvoll umzusetzen, weil uns der Boden unter den Füßen verschwimmt. Wenn Sie das jetzt so machen, dann ruinieren Sie den Freistaat Thüringen!"

    Bodo Ramelow bleibt unbeirrbar.
    "Es gibt keine Alternative zur Reform! Es sei denn, man möchte das Land nicht zukunftsfest machen. Das scheint mir aber keine Alternative zu sein. Und wir wollen die Bürger mit unserer Kampagne aufmerksam machen darauf, dass die Veränderung nicht zum Ende ihres Landkreises führt, sondern zu einer umfassenderen Verwaltung."
    Den Bürgern scheint bislang allerdings der Glaube zu fehlen. Über 40.000 Unterschriften kamen thüringenweit zusammen, um ein Volksbegehren gegen die Gebietsreform anzustrengen. 5.000 wären nur nötig gewesen. Acht von 14 Landkreisen und die Stadt Weimar klagen bereits vor dem Thüringer Verfassungsgericht. Ebenso die CDU-Fraktion im Landtag: Die Abgeordneten seien nicht ausreichend beteiligt worden, die Kommunen nicht gehört. Außerdem würden die Kreise durch neue Aufgaben zu reinen Erfüllungsgehilfen des Staates.
    Der Schriftzug "Thüringer Landtag" an der Fassade des Gebäudes
    Die CDU-Fraktion im Thüringer Landtag klagt gegen die Gebietsreform (dpa/picture alliance Jan Woitas)
    Bedingungen im Osten anders
    Nun entgeht auch Landräten – egal von welcher Partei – nicht, dass Bevölkerungsbewegungen, der Auf- und Abstieg von Städten und Gemeinden, staatliche Umsteuerung verlangen. Zumal dann, wenn technische Möglichkeiten ein anderes Verwalten und Regieren möglich machen als früher.
    Der Eichsfelder Landrat Werner Henning meint dennoch, dass der Osten heute nicht die Gemeindereformen nachholen solle, die im Westen in den 70-ern in vielen - nicht allen - Bundesländern vollzogen wurden. Die Bedingungen seien eben andere.
    "Aber im Osten dominiert eigentlich der Staat, die sich vorsichtig emanzipierende Bürgergesellschaft mittels holzschnittartiger Demokratiemodelle. Und das sind genauso Dinge, wo dann auch – sie werden gemeinhin ja als Populisten bezeichnet –, wo sehr schnell neue politische Kräfte kommen und sich dieses zu Eigen machen. Aber wir haben im Osten zu viel alte DDR noch, indem man glaubt, die Partei sei zur Führung berufen. Und man streitet sich dann, ob die CDU eher zur Führung berufen ist oder die Linke oder wer auch immer. Es ist absurd."
    Entscheidung liegt beim Landesverfassungsgericht
    Und so schaut man in Thüringen zunächst einmal gebannt auf das Landes-Verfassungsgericht, während die Landesregierung parallel die Vorbereitungen für die Reform vorantreibt. Denn die Zeit drängt: 2018 sollen die neuen Landkreise stehen. Knapp wird es auf jeden Fall.
    Wie knapp die rot-rot-grüne Mehrheit im Landtag sein wird, wenn alles vorbei ist und 2019 die nächsten Wahlen vor der Tür stehen – das wüsste auch die rot-rot-grüne Regierung bestimmt gern.