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Umkämpftes Asyl
Migration prägt politische Kultur

Der Umgang mit Fluchtbewegungen ist ein sich wiederholendes Muster. Ob deutschstämmige Vertriebene aus Osteuropa oder „Boatpeople“, die nach dem Vietnam-Krieg über den Pazifik flohen: Der Konflikt um Asyl bestimmt die Geschichte der Bundesrepublik seit ihrer Entstehung.

Von Eva-Maria Götz |
Ein deutsches Grenzschild an der Grenze zu den Niederlanden in der Grafschaft Bentheim
Die Bundesrepublik: ethnisch homogen oder liberal und humanitär? (picture alliance / dpa / Friso Gentsch)
"Achtung, Achtung, heute Morgen haben die sowjetischen Truppen dem ungarischen Hauptstadt angegriffen. Unsere Truppen stehen im Kampfe."
Budapest im Herbst 1956. Der Aufstand der Ungarn gegen die sowjetische Besetzung hielt die Welt in Bann. Als die Revolte am 4. November niedergeschlagen wurde, mussten viele Ungarn fliehen. Rund 10.000 von ihnen kamen in die Bundesrepublik. Das war die erste große Bewährungsprobe für einen Paragrafen, der 1949 nach langen und kontroversen Diskussionen im Parlamentarischen Rat in das neue Grundgesetz aufgenommen worden war:
"Dass sich nicht die Bedenkenträger durchgesetzt haben, sondern dass es zu dieser Formulierung gekommen ist, die sehr knapp und sehr übersichtlich ist - politisch Verfolgte genießen Asyl -, lag sicher daran, dass es allgemein im parlamentarischen Rat einen starken Willen gab, nach der NS-Herrschaft einen neuen Punkt zu setzen."
Erklärt Dr. Patrice Poutrus, Historiker an der Universität Erfurt und Autor des Buches "Umkämpftes Asyl". Doch was auf dem Papier so großzügig erschien, wurde im Alltag der frühen Bundesrepublik oft anders gehandhabt:
"In der Praxis hat sich aber eine extrem restriktive Praxis von Anfang an wieder durchgesetzt. Es gibt einerseits institutionelle Kontinuitäten, die sich auch widerspiegelten in der sogenannten Asylverordnung der Bundesregierung, die Asyl nicht als Bundesgesetz regelte, sondern auf Basis einer alten Reichsanordnung, der Ausländerpolizeiverordnung von 1938 versuchte, das Asyl möglichst restriktiv zu gestalten."
Größere Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen als angenommen
Die Eingliederung der deutschstämmigen Vertriebenen aus Osteuropa war für alle Beteiligten schwierig gewesen. Außerdem spukte das Ideal eines ethnisch homogenen Landes in vielen Köpfen, obwohl es diese vermeintliche Homogenität in der deutschen Geschichte bis zu den Völkermorden der Nationalsozialisten nie gegeben hatte. Erst 1956 schien die Bundesrepublik bereit, Fremde aufzunehmen:
"Wir finden eigentlich immer wieder in der Geschichte der Bundesrepublik in der Bevölkerung - nie bei allen, aber bei einem relevanten Teil der Bevölkerung eine erheblich größere Bereitschaft zur Aufnahme von Flüchtlingen in einer Notsituation gab, als sowohl von Politikern als auch Vertretern der Verwaltung immer angenommen wurde."
Meint Patrice Poutrus. Das Muster wiederholte sich immer wieder. Zum Beispiel rund 20 Jahre später, als nach dem Krieg in Vietnam die sogenannten "Boatpeople" um Zuflucht baten. Auch hier war die Bundesregierung unter Kanzler Helmuth Schmidt anfangs äußerst zurückhaltend mit der Aufnahme von Flüchtlingen, die sich in überfüllten Booten auf den Weg über den Pazifik in Richtung Westen machten. Erst als unter dem Eindruck einer sich anbahnenden humanitären Katastrophe eine große Aufnahmebereitschaft entstand und die rivalisierende CDU ein Wahlkampfthema für sich entdeckte, gab die Regierung nach:
"Gleichzeitig ist es aber auch der Versuch gewesen, auf der einen Seite von bestimmten politischen Kreisen, namentlich der Union, einen 'guten' Flüchtlingstyp zu entwickeln, nämlich diesen antikommunistischen, der sozusagen eine Legitimation für das eigene, politische System herbeiführt."
In der DDR herrschte "Gesinnungsasyl"
Genau von eben dieser Überlegung war das Asylrecht in der DDR getragen:
"Es gibt einen Asylparagraphen sowohl in der Verfassung von 1949 als auch in der überarbeiteten und dann später sozialistisch genannten Verfassung von 1969 und 1973. Allerdings ist von Anfang an klar, dass es sich in der DDR ganz klar um ein Gesinnungsasyl handelt."
Wer im Auswandererland DDR Asyl bekommen wollte, musste politische opportun sein und sich nützlich zeigen:
"Und ich denke, dass in der DDR mehrheitlich ein Verständnis herrschte, dass Flüchtlinge eigentlich Kostgänger sind, die sich wohl zu verhalten haben. Und wenn das nicht der Fall ist oder wenn es einem selbst nicht gut geht, dann ist Flüchtlingsaufnahme eigentlich nicht vorgesehen gewesen."
Macht der Historiker und Migrationsforscher Poutrus, der selbst eine ostdeutsche Biografie hat, die Asylhandhabung in der DDR mitverantwortlich dafür, dass es drei Jahre nach der Vereinigung schließlich zu einer Einschränkung des Asylparagraphen 16 kam. Unter anderem wurde die Drittstaatenregelung eingeführt, die es Menschen, die auf dem Landweg nach Deutschland kamen, de facto unmöglich machte, hier Asyl zu bekommen:
"Praktisch hat es bedeutet, dass die Bundesrepublik ihre geopolitische Lage dazu benutzt hat, die Lasten für jegliche Asylregelung - restriktiv oder liberal - ihren Nachbarn überzuhelfen."
Trotzdem gelang immer mehr Menschen die Flucht nach Deutschland. Die Frage, wie Einwanderung anders als durch Asylrecht sinnvoll zu gestalten sei, wurde von der Politik nicht angefasst. Anfang der 90er-Jahre kam es, von ultrakonservativen und neonazistischen Kräften aufgeheizt, schließlich zu Ausschreitungen in bisher ungekanntem Maße, in Rostock und Hoyerswerda brannten vollbesetzte Flüchtlingsheime vor den Augen der Öffentlichkeit:
"Es gehört zur Geschichte des Asyls immer dazu, dass Gewalttaten gegen Flüchtlinge als politisches Argument in der Diskussion eine Rolle spielten, und das finde ich besonders problematisch, weil man diesen Gewalttaten immer wieder dadurch, dass man sagt: 'Wenn man weniger Flüchtlinge nehmen, würde es weniger Gewalttaten geben' - diese Kausalität ist durch nichts belegt - in gewisser Weise eine Legitimation verschafft."
Doch diese Ausschreitungen mobilisierten auch die Gegenseite: Die Lichterkettenbewegung entstand. Auf knapp 200 spannenden Seiten skizziert Patrice Poutrus, wie die heftigen Diskussionen, die es in den letzten 70 Jahren um den Asylparagraphen gab, immer auch das politische und soziale Klima der Republik wiederspiegelten. Vieles hätte man sich ausführlicher gewünscht. So spielen zum Beispiel die Ereignisse im Sommer und Herbst 2015 eher eine Rolle am Rande. Interessant wäre es auch, die Recherchen von Poutrus mit denen von Historikern unserer Nachbarländer zu verbinden und eine gesamteuropäische Asylgeschichte zu schreiben. Denn das macht Poutrus in seinem Buch deutlich: Der Umgang mit Asylsuchenden prägt die politische Kultur eines Landes- oder einer Ländergemeinschaft:
"Die Frage, wie man mit Fluchtbewegungen umgeht, wird immer wieder neu gedeutet. Aber der Konflikt bestimmt eigentlich die Geschichte der Bundesrepublik von Anfang an."