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Umsetzung des EU-Rechtsstaatsmechanismus
Das Parlament wird ungeduldiger

Die EU-Kommission sollte bis zum 1. Juni konkrete Schritte zur Umsetzung des Rechtsstaatsmechanismus vorlegen. Passiert ist bisher nichts - obwohl das Gesetz bereits am 1. Januar in Kraft getreten ist. Im EU-Parlament wird deshalb erneut diskutiert, ob die Kommission wegen Untätigkeit verklagt werden soll.

Von Paul Vorreiter |
Flaggen der Europäischen Union wehen im Wind vor dem Berlaymont-Gebäude, dem Sitz der Europäischen Kommission.
Im März hat das EU-Parlament bereits eine Resolution in Aussicht gestellt, die Kommission wegen Untätigkeit vor dem EuGH zu verklagen (dpa)
Es soll ein scharfes Schwert sein, der sogenannte Rechtstaatsmechanismus, mit dem die EU in Zukunft Rechtstaatssündern EU-Gelder, darunter auch aus dem Corona-Wiederaufbaupaket, einfrieren darf. Nur gegen den enormen Widerstand von Polen und Ungarn hatten sich Mitgliedstaaten und Parlament noch unter deutscher Ratspräsidentschaft auf den Rechtstaatsmechanismus geeinigt.

EU-Kommission will Leitlinien im Juni vorlegen

Die Gegner setzten aber durch, dass das Instrument erst einmal vom EuGH geprüft werden muss. In der Zwischenzeit versprach die EU-Kommission, keinen Fall seit Inkrafttreten im Januar dieses Jahres verloren gehen zu lassen. Und die Kommission setzte sich daran, Leitlinien auszuarbeiten, wie die Rechtstaatlichkeits-Verordnung angewandt werden soll.
Im Kampf um den Schutz der Rechtstaatlichkeit ist Zeit aber ein entscheidender Faktor, können doch Länder wie Ungarn und Polen irreversible Fakten schaffen. Im März setzte das EU-Parlament daher in einer Resolution in Aussicht, die Kommission wegen Untätigkeit vor dem EuGH zu verklagen, sollte sie bis zum 1. Juni den Mechanismus nicht gestartet haben, sprich, den betroffenen Staaten mindestens eine erste schriftliche Benachrichtigung geschickt zu haben. Heute ist der 01. Juni, und was nun, EU-Parlament?
Eine Figur der Justitia vor der Fahne der Europäischen Union.
Rechtsstaatsmechanismus - EU-Parlament fordert mehr Druck auf Polen und Ungarn
Kein EU-Geld bei Verstößen gegen rechtsstaatliche Prinzipien: Das sieht der Rechtsstaatsmechanismus vor, den die EU im letzten Jahr beschlossen hat, allerdings unter Vorbehalt. Der Europäische Gerichtshof prüft das Instrument noch – und das dauert lange, meinen EU-Parlamentarier.
"Der einzige Punkt, wo das Parlament jetzt diskutiert, soll man jetzt schon ein halbes Jahr nach Inkrafttreten die Kommission verklagen wegen Nichttätigkeit. Da bin ich eher der Meinung, wenn die Vorlage jetzt erfolgt und bereits im Herbst diese Verfahren angegangen werden, dann kann man jetzt nicht von kritisch reden", findet die CSU-Europaabgeordnete Monika Hohlmeier. Aus ihrer Sicht kommt es jetzt vor allem darauf ein, die Verfahren gegen Rechtstaatssünder rechtlich wasserdicht vorzubereiten.
Zwar nicht am 01. Juni heute, aber noch in dieser Monatshälfte will die EU-Kommission ihre Leitlinien vorlegen. Das Parlament wiederum soll bis zum Juli einen Standpunkt dazu entwickeln, ehe nach der Sommerpause Länder wie Polen und Ungarn mit Post aus Brüssel zu rechnen haben, wie es die EU-Kommission in Aussicht gestellt hat.

"Das ist das größte Wahlkampfgeschenk, das man an Viktor Orban machen kann"

Was sich danach anhört, als sei alles auf dem Weg, sehen allerdings nicht alle im EU-Parlament so. Die SPD-Abgeordnete Katarina Barley:
"Die Frage, ob Klage erhoben wird, richtet sich danach, ob die Kommission im Sinne der Verordnung tätig wird, das heißt, ob sie ihr Möglichstes tut, um die Länder, die immer wieder gegen Rechtstaatlichkeit verstoßen, endlich von Zahlungen der Europäischen Union, darum geht es, um das Ergebnis geht es."
Auch der Grünen-Abgeordnete Daniel Freund hält die Klage gegen die Kommission nicht für einen Selbstzweck. Mit Blick auf die anstehenden Wahlen in Ungarn jedoch findet er, dass keine Zeit zu verlieren ist.
"Jetzt sagt die EU-Kommission, sie will im Herbst einen informellen Dialog mit den Mitgliedsstaaten starten, an dessen Ende irgendwann vielleicht die Einleitung eines Rechtstaatsmechanismus-Verfahrens stünde. Das ist das größte Wahlkampfgeschenk, das man an Viktor Orban machen kann. Der freut sich, dass ihm die EU-Kommission nicht mehr mit einem Rechtsstaatsverfahren in die Quere kommt."
Ähnlich besorgt zeigt sich der FDP-Abgeordnete Moritz Körner. Er hofft, dass in der kommenden Plenarwoche in Straßburg eine Resolution gelingt, in der die Kommission zum Handeln aufgefordert wird.
"Deswegen dringt meine liberale Fraktion darauf, dass wir mit der Resolution nächste Woche tatsächlich das Verfahren einleiten, die EU-Kommission vor dem EuGH zu verklagen."
Diese Woche wollen noch die Fraktionsvorsitzenden im Parlament über das weitere Vorgehen beraten. Ob es tatsächlich im Plenum nächste Woche zum Antrag kommt, eine Klage wegen Untätigkeit gegen die EU-Kommission einzuleiten, bleibt fraglich. Klar jedoch scheint, das Parlament wird ungeduldiger. Offen ist, wann es Zähne zeigt.