Antje Allroggen: Stephanie Heinecke leitet an der Hochschule Fresenius die Studiengänge "Sportmanagement" und "Digitale Psychologie" und hat vor einigen Jahren ein Buch zur Medialisierung des Sports im Fernsehen veröffentlicht. Wie haben diese Bilder von zusammengebrochenen Sportlern auf Sie gewirkt?
Stephanie Heinecke: Ja, im Grunde genommen ist das ja genau das, was man nicht sehen möchte. Sport soll ja eigentlich positiv besetzt sein, soll positive Bilder, schöne emotionale Bilder liefern. Und zusammenbrechende Sportler sind da natürlich genau das Gegenteil und schrecken den Zuschauer eigentlich eher ab.
Allroggen: Laut ARD und Deutschlandfunk sind Kameraleute bedrängt und gehindert worden, diese zusammengebrochenen Athleten zu filmen? Da schalten die Zuschauer ab, oder?
Heinecke: Das ist natürlich auch immer den Bedingungen vor Ort geschuldet. Je nachdem, wie damit umgegangen wird. Aber ganz allgemein sehen wir natürlich schon den Trend dazu: Sport soll natürlich positiv dastehen. Und wenn man dann solche Bilder sendet – skandalöse Bilder, die dem Image des Austragungsorts natürlich auch nicht in die Karten spielen, die den Sport nicht gut dastehen lassen, obwohl der Sport gar nichts dafür kann an dieser Stelle – dann ist das natürlich was, was man eigentlich vermeiden möchte, ja.
"Kluger Schachzug? Sei dahingestellt"
Allroggen: Und wenn wir jetzt noch mal auf diese neuen Kameras zu sprechen kommen: Welche Medienlogik liegt dem zugrunde, wenn ich Sie jetzt als Fachfrau für Sportmanagement frage. Lässt sich Sport heute ohne Personalisierung nicht mehr erfolgreich vermarkten? Ich brauche also die schönen Beine, die so aus Froschperspektive auch noch mal gefilmt werden.
Heinecke: Ja, es geht vor allen Dingen auch um das Gesicht der Sportler. Auch wenn natürlich dieses Drübersteigen über den Startblock auch ganz andere Einblicke ermöglicht. Wir versuchen bei dieser Personalisierung im Sport natürlich dem Sport ein Gesicht zu geben. Und das funktioniert am besten, wenn ich das Gesicht tatsächlich sehe – was in manchen Sportarten während des Rennens natürlich schwierig ist.
Ob das jetzt ein kluger Schachzug ist, das sei mal ganz stark dahingestellt. Gerade wenn aus Reihen der Athleten Protest kommt, der ja auch sich sportlich auswirkt. Also Gina Lückenkemper hat, glaube ich, auch protestiert, dass der Startblock wegen der Kameras deutlich länger geworden ist und sie deswegen mit dem Fuß anstößt und nicht optimal rauskommt. Im Grunde genommen kollidiert die Medienlogik – Stichwort: Ich möchte schöne personalisierte Gesichtsaufnahmen der Athleten bekommen – hier mit dem sportlichen Anspruch, eine möglichst perfekte Leistung abzuliefern – Stichwort: Ich komme möglichst am besten aus diesem Startblock raus.
Allroggen: Kann man so auch die Tatsache erklären, dass in Doha ja doch vieles in der Nacht stattfindet? Hat das klimatische Gründe? Oder folgt das eben einer ähnlichen Medienlogik, also dass man probiert, sich abzustimmen mit den Wettkampfzeiten auf den übertragenden Sender?
Heinecke: Also, das ist ein Phänomen, das wir tatsächlich kennen, diese Abstimmung der Wettkampfzeiten mit den übertragenden Sendern. Das kennen wir bei Olympia ja auch. Je nachdem, wo die gerade stattfinden, die Olympischen Spiele, dass die Zeitverschiebung eine große Rolle spielt: In welchem Land ist gerade Hauptsendezeit? Welche Sportart bringe ich genau zu dieser Zeit? In Doha, glaube ich, gab es ja diesen Mitternachtsmarathon. Das ist natürlich auch dem Wetter geschuldet. Die hatten um Mitternacht noch 33 Grad bei 80 Prozent Luftfeuchtigkeit, selbst das sind ja schon keine optimalen Bedingungen, um einen Marathon zu laufen. Und wir haben da ja auch die erschöpften Athleten gesehen in den Bildern. Aber andere Möglichkeiten gab es da eben auch gar nicht, diesen Wettkampf durchzuführen. Das Stadion ist meines Wissens nach klimatisiert.
"Geld verdient Sport mit Live-Berichterstattung"
Allroggen: Ich möchte noch kurz auf Ihr Buch zu sprechen kommen. Ich habe es kurz schon erwähnt, es trägt den Titel "Fit fürs Fernsehen - die Medialisierung des Spitzensports". Warum schenken Sie denn dem Fernsehen eine so hohe Aufmerksamkeit? Geht es mittlerweile nicht viel mehr um die Präsenz in den sozialen Medien? Oder anders gefragt: Muss man sich noch fit fürs Fernsehen machen, wenn Twitter – jetzt auch gerade wieder – schon längst die frauenfeindliche Berichterstattung in Katar kritisiert? Mir scheint das ein bisschen überholt.
Heinecke: Absolut. Das Buch ist tatsächlich im Jahr 2014 rausgekommen. Ich selber denke auch darüber nach: Ja, eigentlich müssten wir das in Zeiten von Social Media auch noch mal neu drehen. Andererseits: Wenn wir darüber nachdenken, welche Vermarktungskanäle der Sport hat, dann sind das heute auf jeden Fall die sozialen Medien – ganz klar. Jeder Sportler, jeder Verein, jeder Verband kann sich da positionieren. Die Sportler profitieren wahnsinnig davon, gerade auch in Randsportarten, die eben nicht die klassische Fernsehberichterstattung so bekommen. Wenn wir aber gucken, wo wird richtig viel Geld verdient im Sport, dann sind das nach wie vor auch die Übertragungsrechte für die Live-Berichterstattung, sei es jetzt im klassischen Fernsehen, im linearen Fernsehen, oder sei es über einen Streaming-Anbieter. Da wird noch richtig viel Geld verdient, und das ist Geld, das sich der Sport nicht entgehen lassen kann. Denn die Sponsoren fordern Medienpräsenz, fordern öffentliche Aufmerksamkeit. Und ohne die Reichweite, die wir über die, ja, ich sage mal, Bewegbildinhalte bekommen, funktioniert das einfach noch nicht.
Allroggen: Welche Bilder aus Katar werden uns stärker im Gedächtnis bleiben, was meinen Sie, die von schönen, gestählten Sportlerbeinen? Oder die von Rollstühlen und Zusammenbrüchen?
Heinecke: Ich fürchte, es sind beide. Ich fürchte, wir werden uns sowohl an die Zusammenbrüche erinnern; gerade, wenn wir daran denken, dass wir in nicht zu langer Zeit auch eine Fußball-Weltmeisterschaft in dem Land haben werden. Ob die Bilder aus den Startblöcken jetzt wirklich in Erinnerung bleiben sollten, sei mal dahingestellt; vor allen Dingen, weil sie mit so viel Protest belegt sind. Man sollte aber natürlich darüber nachdenken: Wie viele Eingriffe in den Sport sind erlaubt, um medientauglich zu sein? Und was macht vielleicht im Sinne der Athleten auch weniger Sinn bzw. was bringt es denn eigentlich?
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.