Die Pipeline Nord Stream 2 für russische Gaslieferungen durch die Ostsee sorgt seit Jahren für heftige Diskussionen. Für die einen ist sie unverzichtbar, weil sie die sichere Versorgung mit Erdgas verspricht, auch angesichts des deutschen Atom- und Kohleausstiegs. Für die anderen wäre ein Baustopp eine unvorstellbare Verschwendung, denn zwölf Milliarden Euro sind schon ausgegeben worden. Die Leitung ist fast fertig und die Beerdigung des Projekts würde wahrscheinlich Schadenersatzklagen von beteiligten Firmen nach sich ziehen. Niklas Höhne ist Leiter des New Climate Instituts in Köln und hat bei der Erstellung der Berichte des Weltklimarates mitgearbeitet.
Jule Reimer: Wie stellt sich Nord Stream 2 eigentlich aus der Sicht eines Klimaökonomen dar?
Niklas Höhne: Ja, es ist sicherlich ein umstrittenes Projekt. Wenn wir uns das Klimaschutzabkommen von Paris anschauen, dann heißt es ja, dass wir aus Kohle, Öl und Gas komplett aussteigen müssen, und das so schnell wie möglich. Für Gas denkt man, dass wir immer noch etwas mehr Zeit haben, aber auch Gas, fossiles Erdgas muss langfristig aus dem Energiemix verschwinden. Das sind neue Infrastruktur-Projekte, die sehr viel Geld kosten und deswegen auch sehr lange laufen müssen, damit sie sich rentieren. Solche neuen Infrastruktur-Projekte sind immer kritisch zu betrachten, denn die sollen ja in 40 Jahren noch laufen und da sollten wir eigentlich längst weg sein vom fossilen Erdgas.
Pipeline ist eine der teuersten Wege
Reimer: Wieviel Zeit geben Sie denn dann Nord Stream 2, um noch zu funktionieren?
Höhne: Das ist die Frage. Man kann ganz am Anfang sogar fragen: Brauchen wir das? Wir beziehen derzeit Erdgas aus verschiedenen Quellen, auch aus Russland über verschiedene Wege. Wenn man überlegt, dass eigentlich der Erdgas-Bedarf deutlich zurückgehen werden wird in Europa, dann brauchen wir nicht mehr Infrastruktur, sondern weniger. Aus rein klimapolitischer Sicht hätte man von vornherein diese Pipeline überhaupt nicht erst anfassen sollen.
Reimer: Nun ist sie aber gebaut.
Höhne: Jetzt ist sie gebaut, genau, und da ist jetzt die Frage, bricht man das ab, oder führt man es durch. Wenn man es durchführt, dann hat man natürlich sehr viel Geld investiert und wird dann auch dafür sorgen, dass sie genutzt wird und auch zu gewissen Preisen.
Reimer: Sie sagen, wird dann genutzt zu gewissen Preisen. Die Hoffnung ist ja, dass Gas dadurch billig bleibt. Ein Argument ist: Wenn diese Pipeline nicht in Betrieb geht, ja, klar, wir können auch weiter versorgt werden aus anderen Pipelines, aber dann zu höheren Preisen, dann werden wir möglicherweise auch ein soziales Problem bekommen. Parallel zum Atom- und Kohleausstieg wird Energie ja möglicherweise nicht billiger.
Höhne: Wir haben derzeit die Situation, dass der Gaspreis am Boden ist. Wir haben ein Überangebot an Gas. Es gibt sogar Modellrechnungen vom DIW, die sagen, wenn die Gas-Pipeline kommt, dass das sogar zu höheren Preisen führen kann, denn sie ist relativ teuer. Es ist einer der teuersten Wege, die man da gewählt hat, und damit sie laufen kann, wird über diese Pipeline hauptsächlich Gas zu relativ hohen Preisen in den Markt kommen und es würde dann genau das Gegenteil passieren. Dass die Pipeline für günstige Preise sorgt, ist höchst umstritten.
Flüssiggas kein klimafreundlicher Energieträger
Reimer: Haben Sie denn eine ganz konkrete Berechnung, was das für den Ausstoß von CO2 bedeuten würde, wenn die Pipeline auch noch in Betrieb geht?
Höhne: Eine konkrete Rechnung haben wir nicht. Das ist auch relativ schwierig. Die Frage ist immer, was passiert, wenn die Pipeline nicht da wäre. Würde das Gas ersetzt werden durch andere Quellen? Grundsätzlich gilt aber der Mechanismus: Wenn Infrastruktur erst mal steht, dann gibt es Kräfte, dass die Infrastruktur auch genutzt wird, und das führt grundsätzlich dann meistens zu höherem Verbrauch und höheren Emissionen.
Reimer: In Deutschland wird ja auch geplant, weitere Flüssiggas-Terminals zu bauen. Wieviel Gas-Infrastruktur brauchen wir?
Höhne: Flüssiggas-Terminals sind noch mal kritisch, weil das Flüssiggas zurzeit sehr viel aus den USA kommt. Dort wird es durch Fracking generiert und pro Kilowattstunde Gas haben wir hier so hohe Emissionen wie von Kohle. Das Argument, dass Gas der klimafreundliche Energieträger wäre, der gilt für Flüssiggas nicht, und deswegen ist neue Infrastruktur für Flüssiggas-Terminals zu bauen auch aus klimapolitischer Sicht nicht der richtige Weg. Auch hier wäre ich sehr skeptisch, dass wir mehr brauchen.
Wir haben derzeit eine Gasinfrastruktur. Wir haben Quellen, die auch nicht langfristig so bleiben werden. Niederländisches Gas zum Beispiel wird weniger werden, weil irgendwann die Gasfelder leer sind. Aber das deckt sich damit, dass wir nach klimapolitischer Sicht weniger Gas verbrauchen müssen, um die Pariser Klimaschutz-Ziele einzuhalten.
Nord Stream 2 wird eine Investitionsruine
Reimer: Würden Sie so weit gehen zu sagen, macht Nord Stream 2 auf jeden Fall dicht?
Höhne: Wenn Nord Stream 2 noch nicht gebaut worden wäre, dann hätte ich ganz klar gesagt, das ist eine Pipeline, die brauchen wir nicht, weil sie ist sogar kontraproduktiv, was den Klimaschutz angeht. Jetzt, wo sie schon steht, ist das natürlich eine andere Frage, und da geht es eher darum, wer dort Geld investiert hat und was das bedeutet. Natürlich gibt es da Verlierer, die Geld investiert haben. Das Geld wäre sicherlich verloren. Grundsätzlich ist eine Frage immer Arbeitsplätze. Natürlich, so eine Pipeline die gibt auch Arbeitsplätze. Aber die Energiewende gibt sie auch. Alternativen zu fossilen Energieträgern wie Solar- und Windenergie haben mindestens genauso viele Arbeitsplätze.
Reimer: Müsste man aber, um das 1,5 Grad Ziel des Pariser Klimaabkommens einzuhalten, sagen, in zehn Jahren wird Nord Stream zwei auch dicht gemacht und dann haben wir auch eine Investitionsruine?
Höhne: Ganz sicher! Dass wir eine Investitionsruine haben werden mit Nord Stream 2, dass es teuer wird, das hat sich auch schon vorher abgezeichnet, und es kommt natürlich sehr darauf an, wie stark Klimapolitik umgesetzt wird. Wenn wir das 1,5 Grad Ziel einhalten wollen, dann bräuchten wir die Pipeline überhaupt nicht, und wenn sie fertig gebaut wird, dann müsste sie in einer Größenordnung fünf bis zehn Jahre abgeschaltet werden.
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