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Umstrittener Brexit-Vertrag
"Der Stolperstein ist Nordirland"

Nach Ansicht der ehemaligen Labour-Abgeordneten und Brexit-Befürworterin Gisela Stuart hätte die Nordirland-Frage aus den Brexit-Verhandlungen mit der EU herausgenommen werden sollen. Nur Änderungen bei diesem Thema könnten jetzt noch mehr Stimmen im Unterhaus für den Brexit-Vertrag bringen, sagte sie im Dlf.

Gisela Stuart im Gespräch mit Sandra Schulz |
    Die ehemalige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart
    Die ehemalige Labour-Abgeordnete Gisela Stuart (imago / i Images)
    Sandra Schulz: Das zähe Ringen um den Austritt Großbritanniens aus der EU, das hat schon kaum zu ermessende Lebenszeit und Energie verschlungen – von Spitzenpolitikern und Regierungsmitarbeitern und EU-Beamten. Einen schönen Effekt hat das Ganze aber: Schon seit Wochen, schon seit Monaten hat dieser Satz an Korrektheit nichts eingebüßt. Nach wie vor ist völlig offen, wie der Brexit jetzt eigentlich laufen soll. Mangels Unterstützung hat die britische Premierministerin Theresa May die Abstimmung im britischen Unterhaus über den Brexit-Vertrag im Dezember noch mal vertagt. Heute beginnt die Debatte erneut, bevor die Entscheidung dann wohl in der kommenden Woche fällt.
    Mitgehört hat die langjährige britische Labour-Abgeordnete Gisela Stewart. Sie hat auch für ein Leave im Brexit-Referendum gekämpft. Schönen guten Morgen!
    "Die Bevölkerung hat ihre Meinung nicht geändert"
    Gisela Stuart: Guten Morgen!
    Schulz: Ist jetzt eigentlich schon klar, dass der No-Deal-Brexit kommt, der ungeregelte Brexit?
    Stuart: Ich glaube, was den meisten Abgeordneten von dem No-Deal-Brexit Sorgen macht ist, dass man dann keine Übergangsperiode hätte, wo man sich den neuen Bedingungen anpassen könnte. Aber wissen Sie, was so erstaunlich war in den letzten zwei Jahren? Die ganzen Auseinandersetzungen, die man im Unterhaus hörte und die sich ja eigentlich nicht geändert haben – die Bevölkerung im Großen und Ganzen hat ihre Meinung nicht geändert. Sie sehen sich im Augenblick ihre Politiker an, werden ganz müde mit uns und entsetzt mit uns und sagen, das ist doch euer Job, dass ihr dafür eine Lösung finden solltet. Das eine, von dem man im Augenblick wenig spricht, aber, ich glaube, auch viele von den Befürwortern einer zweiten Volksbefragung, ist, dass man sich sagt, wie kann man das Problem lösen, ohne dass man vielleicht sogar Neuwahlen hätte.
    Schulz: Das heißt, wenn Sie nach Punkten fragen, die erstaunlich waren in den letzten zwei Jahren, ich glaube, da würden vielen eine ganze Menge einfallen. Wer von morgens bis abends dafür gekämpft hat, das jetzt über die Bühne zu bringen, das ist ja die Premierministerin Theresa May. Warum lässt das Unterhaus sie da jetzt so auflaufen?
    Stuart: Es hat was mit ihrem Verhandlungsstil zu tun. Wenn man zurückdenkt, dass damals Edward Heath in 1973, als Großbritannien der EWG beitrat, das im Unterhaus nur geschafft hat, weil Labour-Abgeordnete ihm halfen. Die kamen und unterstützten die konservative Regierung. Dazu muss man Freunde machen, man muss Vertrauen finden auch in den anderen politischen Parteien, und irgendwie hat die Premierministerin das nicht geschafft.
    Extravertrag für Nordirland wäre notwendig gewesen
    Schulz: Aber warum hat sie das nicht geschafft, Frau Stewart? Das verstehen, glaube ich, viele Europäer nicht. Es müsste doch auch in London allen klar sein, dass das Verhandlungsergebnis, das Theresa May mit nachhause gebracht hat, nach London, dass das das bestmögliche war.
    Stuart: Aber Sie müssen verstehen, dass die Drohung über Nordirland – und das gilt wirklich für ganz viele, auch für mich – der Stolperstein an ihrem Vertragsvorschlag ist. Es sind diese ganz speziellen Bedingungen über Nordirland. Man hätte Nordirland in einem speziellen Extravertrag aus diesen Verhandlungen rausnehmen sollen, denn für die Briten ist das ganz wichtig und sensitiv und das geht zum Kern ihres Selbstverständnisses. Ich glaube, das ist wirklich das Problem. Wenn man Änderungen zu den nordirischen Sachen bringen könnte, dann könnte sie auch mehr Stimmen im Unterhaus haben.
    Schulz: Aber warum kein Respekt? Warum nicht die Sorge, die viele Europäer ja haben, die Irland auch immer wieder artikuliert hat, vor einer neuen harten Grenze in Irland, die auch neue Gewalt bringen könnte?
    Stuart: Wissen Sie, was erstaunlich ist? – Die irische Regierung sagt, auch wenn da ein No Deal ist, wir werden keine harte Grenze bringen. Die britische Regierung sagt, wir wollen keine harte Grenze. Das ist unter den Bedingungen eines No Deals. Warum spricht man ständig über die Drohung einer harten Grenze im Zusammenhang des Verfassungsvertrags? Wer würde die harte Grenze einführen?
    Schulz: Weil es dafür bisher keine Lösung gibt.
    Stuart: Wie bitte?
    "Auf lange Sicht brauchen wir globale Handelsbedingungen"
    Schulz: Weil es dafür bisher keine Lösung gibt. Deswegen ist es ja auch zu diesem zähen Verhandlungspunkt und zu diesem Problem geworden. Aber letzten Endes alle, die sagen, im Zweifelsfall nehmen wir einen No-Deal-Brexit, die nehmen doch diese harte Grenze in Kauf.
    Stuart: Nein, nein! Warum sagt man, die irische Regierung ist für einen No Deal, dann gibt es keine harte Grenze, wir werden keine harte Grenze einführen. Die Briten sagen das sogar im Falle eines No Deals. – Wissen Sie, Fortschritt in Irland und Nordirland in den letzten 20, 30 Jahren gab es nur, wenn Politiker sich ruhig und vernünftig hinsetzten und Lösungen fanden. Im Zusammenhang der EU-Verhandlungen wurde plötzlich diese Grenze in das Vorlicht der Verhandlungen gebracht, wurde fast zu einem Stolperstein geführt. Strategisch und taktisch hätte man das nie machen dürfen.
    Schulz: Aber das ist ja das große Thema Binnenmarkt. Auch wenn es da keine Grenze gäbe, dann gäbe es ja auch faktisch keine Abschaffung oder kein Ende des Binnenmarktes. Da wären wir dann wieder bei dieser Rosinenpickerei, die aus Europa ja so oft gescholten wurde.
    Stuart Aber wissen Sie, wir haben doch schon eine Grenze. Nordirland hat eine andere Währung als Irland. Man hat verschiedene Steuern, man hat verschiedene Dinge mit landwirtschaftlichen Sachen. Man löst das, dass man das nicht direkt an der Grenze handelt. Man hätte das lösen können. Aber ich komme zurück auf die Abstimmung im Unterhaus im Augenblick. Wie könnte Theresa May die arithmetische Lösung im Unterhaus ändern, dass sie das vielleicht irgendwie gewinnen könnte? Wie ich das sehe, ging es da um Nordirland. Wenn sie da neue Sachen zum Tisch bringen könnte, dann könnte man vielleicht noch einige Abgeordnete überzeugen, dass sie mit ihr abstimmen sollten. Aber im Augenblick sieht es nicht so aus, als ob irgendjemand bereit ist, die die Meinung zu ändern.
    Schulz: Deswegen ist und bleibt das so eine schwierige Frage. – Wenn wir jetzt noch mal versuchen, den Schritt zurückzumachen. Dieses ganze Hin und Her jetzt die letzten zwei Jahre um den Brexit, das Sie sicherlich auch sehr genau verfolgt haben – Sie haben damals ja auch für das Leave gekämpft -, würden Sie jetzt sagen unterm Strich, das war es wert?
    Stuart: Wir wissen ja noch nicht, was die Endlösung ist. Aber was die Politiker ganz oft vergessen, ist das, für was die Leute abgestimmt haben. Das war, dass sie sagten, wir wollen das letzte Wort haben darüber, wer unsere Gesetze macht, damit wir die auch wieder abwählen können. Auf der anderen Seite geht es immer ständig um den Binnenmarkt. Der Durchschnittswähler sagt plötzlich, sind meine demokratischen Rechte und die Fähigkeit, Entscheidungen darüber zu treffen, ist das wirklich dasselbe als auf der anderen Seite dieser Waage, was BMW und Jaguar Land Rover braucht, damit sie besser handeln können. Auf lange Sicht brauchen wir globale Handelsbedingungen, nicht nur in der Europäischen Union.
    Schulz: Und da ist der erste Schritt erst mal aus der EU raus?
    Stuart: Wir können zurückgehen, ob David Cameron jemals diese Volksbefragung haben hätte sollen, und sogar Leute wie ich stellen das in Frage. Man wurde aber gefragt, die EU war nicht bereit, sich zu ändern, und die britische Bevölkerung im Großen und Ganzen ist immer noch der Überzeugung, dass man auf der Balance der Sachen austreten sollte, und die Politiker im Unterhaus müssen jetzt dazu eine Lösung finden.
    Schulz: So sieht es aus! – Danke für diese Einschätzungen – die langjährige britische Labour-Abgeordnete Gisela Stewart heute Morgen hier bei uns im Deutschlandfunk. Herzlichen Dank.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.