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Umstrittenes Denkmal
Warum Lenin noch in Schwerin steht

Um die Lenin-Statue in Schwerin hat es schon viele Debatten gegeben. Bemalen, schleifen, verkaufen - immer wieder gab es Abstimmungen, letztlich mit dem Ergebnis: Das Denkmal bleibt. Zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution blieb es zur Überraschung der Stadtverwaltung ruhig um die umstrittene Bronzefigur.

Von Silke Hasselmann |
    Das Lenin-Denkmal am Großen Dreesch in Schwerin
    Das Lenin-Denkmal am Großen Dreesch in Schwerin wurde von dem estnischen Bildhauer Jaak Soans geschaffen. Es soll an Lenins Dekret über den Grund und Boden sowie die Enteignung der Großgrundbesitzer in der sowjetischen Besatzungszone erinnern. (Imago)
    Schwerin im Neubaugebiet Großer Dreesch. Hamburger Allee, einst Leninallee. 1990 musste der Straßenname weg, doch als bronzenes Abbild ist der Führer der Großen Sozialistischen Oktoberrevolution geblieben. Bei stattlicher Größe von 3,50 Meter hat er mittlerweile 32 Jahre und ein bisschen Vogelkacke auf dem Buckel.
    Vor ihm eine Straßenkreuzung. Hinter ihm ein Plattenbau, von dem aus man beobachten kann, wie Lenin Schatten wirft - so wie von Günter Grass in der Novelle "Im Krebsgang" beschrieben. Auf Fußhöhe eine Granitplatte mit der Inschrift: "Dekret über den Boden". Dies war nach dem "Dekret über den Frieden" Lenins zweiter Erlass, veröffentlicht am 8. November 1917, dem zweiten Tag der Oktoberrevolution, wie dieser Schweriner weiß:
    "Ich hab zu ihm natürlich eine besondere Beziehung. Ich habe in Moskau Marxismus-Leninismus studiert. Er hat für die Russen den ersten Weltkrieg beendet, hat die Bodenreform in Gang gebracht. Und insofern sage ich, Lenin sollte hier stehenbleiben."
    Debatte um Weg! oder Stehenlassen!
    Der lässt derweil den Herbstregen genauso an sich abprallen wie all die Debatten zuvor um "Weg!" oder "Stehenlassen!".
    Zu Gast im Schweriner Stadtarchiv. Rainer Blumenthal holt eine sogenannte Zeitungsausschnitts-Akte hervor. Ziemlich viel, was sich unter dem Deckblatt mit dem Titel findet:
    "'Lenin-Denkmal. 22.6.1985 aufgestellt. 9.11.2007 durch eine Tafel ergänzt.' Da ist von der Postkarte bis hin zu den ersten Fotos, die ich da gemacht habe von der Einweihung 1985 - das ist ja zur 825-Jahr-Feier eingeweiht worden. Dann die ganzen Kämpfe, also die Ideen es zu bemalen, es zu schleifen, es zu verkaufen. Die Beschlüsse der Stadtverordneten dann, was mit dem Denkmal geschieht. Es gab immer wieder Abstimmungen, und immer eine Mehrheit: Das Denkmal bleibt."
    Doch wer hatte es hierher geholt? Die Idee stamme von Horst Sindermann, Volkskammerpräsident und Mitglied des SED-Politbüros. Ein großer Fan von Schwerin, erzählt Stadtarchivar Blumenthal. Der Bezirk Schwerin als Agrarzentrum der DDR und Lenin als Verstaatlicher von Ackerböden - so in etwa der Zusammenhang.
    Was Bildhauer Jaak Soans über sein Werk sagt
    Blumenthal durchstöbert seine Einweihungsfotos von 1985 und zeigt auf einen Mann auf der Ehrentribüne: Jaak Soans, UdSSR-Kunstpreisträger, ausgewiesener Lenin-Bildhauer und für 60.000 DDR-Mark auch in Schwerin engagiert. Heute sage der Künstler aus Estland, er habe zumindest dieser Statue ein bisschen etwas Widerständiges einhauchen können, erinnert sich Stadtarchivar Blumenthal an ein Wiedersehen vor einigen Jahren:
    "Es sollte ja - ich berufe mich jetzt auf Jaak Soans, was er gesagt hat - dokumentiert werden: Die kraftvolle Statur, dieses Bodenständige, die Haltung, eine Trotzhaltung. 'Hier bin ich, hier stehe ich, hier bleibe ich! '"
    Und das mit beiden Händen in den Manteltaschen! Ballt er sie darin nicht sogar ein wenig? Etwa als Anspielung darauf, dass sich Lenin zwar lange Zeit der kriminell-ruchlosen Methoden eines Josef Stalin bedient hatte, 1922 aber von seinem Krankenbett aus einen Brief an die Parteitagsdelegierten verfasste und darin vor dem Aufstieg des "zu schroffen" Stalin zum Generalsekretär der Partei warnte? Oder war es eine versteckte Kritik des Künstlers am real existierenden Sozialismus der 80er-Jahre? Das - wir haben es mit einem Kunstwerk zu tun - liegt ganz im Auge des Betrachters.
    Den Opfern des Stalinismus ein Dorn im Auge
    Ein schmerzender Dorn im Auge war dieses Denkmal jedenfalls lange Zeit vor allem Opfern von Stalinismus und SED-Diktatur aus dem Raum Schwerin. So wie diesen Männern, die meinen, man sollte die Statue einschmelzen:
    "Ich kann es nicht nachvollziehen, dass wir so einem Massenmörder und auch Tyrannen, was ja historisch belegt ist mittlerweile, immer noch die Treue halten und ein solches Standbild auf dem Dreesch stehen lassen. In meinen Augen muss Lenin weg!"
    "Und dann könnte man den Materialwert zur plietschen* Aufarbeitung nutzen; Unterricht oder für die Menschenrechtsorganisation 'Memorial', die sich mit der Aufarbeitung des Leninismus-Stalinismus beschäftigt."
    Letzte Protestaktion 2015
    Die letzte nennenswerte Protestaktion gab es 2015. Man hätte vermuten können, dass nun zum 100. Jahrestag der Oktoberrevolution wieder Forderungen laut werden, auch Schwerin möge endlich Lenin-freie Zone werden. Doch zur Überraschung der Stadtverwaltung blieb es ruhig. Hauptamtsleiter Hartmut Wollenteit:
    "Wie gehen wir mit Zeichen aus der DDR-Zeit um, mit Gebäuden, Denkmalen etc.? Diese Diskussion ist mal sehr kritisch geführt worden. Dann gab's aber auch wiederum die Botschaft, wir müssen Dinge dazu erhalten. Und das Lenin-Denkmal steht noch da, weil es ein Teil der Entwicklung dieses ganzen Gebiets gewesen ist. Das gilt es auch ein Stück weit zusammen zu erhalten. Insofern steht es da schon richtig."
    Archivassistent Rainer Blumenthal, der übrigens zu DDR-Zeiten aus politischen Gründen Stasi-Überwachung und Hausarrest erlebt hat, sähe allerdings wenigstens gern die Erklärtafel von ihren Fehlern und Ungenauigkeiten befreit. Da steht zum Beispiel: "Wladimir Iljitsch Lenin".

    "So wurde er nie genannt. Lenin ist sein Kampfname und er heißt Uljanow mit Nachnamen. Aber ansonsten? Soll er auch als Reibungsfläche da sein. Soll es auch Debatten darüber geben! Aber ich würde sagen, da er einer der Letzten seiner Art hier ist: Stehen lassen!"
    *Norddeutsch für "pfiffig", "aufgeweckt"