Sachsen nimmt Abstand vom Abstand halten, das gilt ab heute für Kitagruppen und Grundschulklassen, erklärt Kultusminister Christian Piwarz von der CDU:
"Wir wissen, dass es gerade kleineren Kindern schwerfällt, Abstandsregeln einzuhalten. Dass es schwerfällt, ihnen deutlich zu machen: Sie können zwar vielleicht ihren Gruppen- oder Klassenkameraden sehen, sie können aber nicht mit ihm spielen, nicht mit ihnen interagieren."
An sächsischen Grundschulen sollen alle Kinder nun wieder in ihren Klassen lernen, auch wenn der Abstand von 1,50 Metern nicht eingehalten werden kann. Die einzelnen Klassen sollen keinen Kontakt zu anderen Gruppen haben – weder im Schulgebäude noch auf dem Schulhof. Im Fall einer Ansteckung, so die Hoffnung, müsste dann nur die betroffene Gruppe und ihre Lehrerinnen und Erzieherinnen in Quarantäne – und nicht die ganze Schule. Die Pandemie sei noch in einer Frühphase, sagt der Infektiologe Reiner Berner von der Uniklinik Dresden.
"Wir glauben, dass wir die vor uns liegenden Wochen, das heißt also zehn Wochen, die vor den Sommerferien noch vor uns sind, rasch nutzen müssen und zwar wirklich rasch nutzen müssen, um diese Konzepte, diese Modelle, die wir jetzt entwickelt haben, auch auszuprobieren, auf den Prüfstand zu stellen und auch die Möglichkeit haben, Fehler zu machen. ich bin der festen Überzeugung, dass wir jetzt die Zeit und jetzt die Gelegenheit haben, diese Fehler zu machen und zu korrigieren. Und ich bin auch davon überzeugt: Diese Zeit werden wir im Herbst nicht mehr haben."
GEW: "Im Gesamtsystem nicht durchzuhalten"
Dabei setzt Sachsen auf die Mithilfe der Eltern: Die müssen ihre Kinder beim leichtesten Schnupfen zu Hause behalten. Und die Eltern müssen jeden Tag in der Schule unterschreiben, dass es weder beim Kind noch in der Familie Corona-Symptome gibt. Sonst dürfen die Kinder die Schule nicht betreten. Eine Regelung, die gerade im ländlichen Bereich schwer praktikabel sei, heißt es beim sächsischen Landeselternrat. Grundsätzlich sei Kindern im Grundschulalter kaum vermittelbar, warum sie derzeit überall Abstand halten müssten, aber jetzt in der Schule nicht.
Einer Forderung des Landeselternrats ist das Ministerium am Wochenende nachgekommen. Nachdem Eltern vor dem Verwaltungsgericht Leipzig erfolgreich gegen die neuen Regelungen geklagt hatten, ist die Präsenzpflicht in den Schulen weiter ausgesetzt. Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft GEW wundert man sich, dass Sachsen einen anderen Weg beschreite als alle anderen Bundesländer. Die Vorsitzende Uschi Kruse:
"Das mag an der ein oder anderen Einrichtungen funktionieren. Es ist aber im Gesamtsystem nicht durchzuhalten. Und das bedeutet auch, dass man Eltern, Kinder und vor allen Dingen das Personal gegebenenfalls einem Risiko aussetzt, das derzeit nicht zu verantworten ist. Und es gibt ganz einfach organisatorische, räumliche und hygienische Grenzen, die nicht beiseite geräumt werden können."
Was passiert, wenn ein oder mehrere Lehrkräfte ausfallen, auch dauerhaft? Wie können sich alle Schülerinnen und Schüler der Klasse nach dem Hofgang die Hände waschen, ohne dass gleich eine Schulstunde draufgeht? Und was ist mit denjenigen, die sich außerhalb der Schule begegnen, etwa im Bus – aber zu unterschiedlichen Gruppen gehören? Die jeden Morgen zu leistenden Unterschriften findet auch die GEW fern von jeder praktischen Realität. Sorgen, die auf politischer Ebene auch die Linke im sächsischen Landtag äußert.
Rollierendes System in weiterführenden Schulen
Zumal nach wie vor unklar sei, welche Rolle Kinder bei einer Übertragung von COVID-19 spielten. Die gesundheitspolitische Sprecherin der Linken Susanne Schaper fordert den Minister auf, in sächsischen Grundschulen wie andere Bundesländer stufenweise einzusteigen. Minister Piwarz hingegen ist überzeugt von seinem Konzept:
"Wir hoffen, dass diese Öffnung, die wir jetzt ermöglichen, viel Druck aus den Familien aus der Gesellschaft und auch aus dem wirtschaftlichen Zusammenhängen nimmt, dass wir ein Höchstmaß an Schutz für alle gewährleisten können, die an den Schulen miteinander zu tun haben, insbesondere die Erzieherinnen und Erzieher und die Lehrerinnen und Lehrer. Wir glauben aber, dass es insbesondere aus pädagogischen Gesichtspunkten jetzt notwendig und sinnvoll ist, gerade im Interesse unserer Kinder diesen Schritt miteinander zu gehen."
Das Alternativkonzept - also nicht alle Grundschüler zusammen in der Schule - gibt es zum Beispiel in NRW. Doch auch hier gibt es praktische Probleme bei der Umsetzung,
berichtet Stephanie Gebert im Dlf.
In den weiterführenden Schulen soll in Sachsen wie in den anderen Bundesländern ein rollierendes System eingeführt werden – dabei sollen sich Präsenzphasen mit Zeiten der Heimarbeit abwechseln. Schülerinnen und Schülern ab Klasse fünf müssen, anders als ihre jüngeren Geschwister in Sachsen, auch in der Schule Abstand halten.