Federico Pavlovsky und Martín Granovsky wirken immer noch ein wenig fassungslos. Beide arbeiten für die Zeitung "Página 12" – Granovsky als Redakteur und Pavlovsky als freier Autor. Pavlovsky, Journalist und Psychiater, schrieb unter dem Titel "Rostros Familiares", "Vertraute Gesichter", den Artikel über das Pogrom von Jedwabne, der nun zu einer Klage aus Polen gegen die Zeitung geführt hat.
"Ich habe die Geschehnisse von Jedwabne als historisches Beispiel für ein Phänomen benutzt, das mich interessiert: Nämlich, dass Menschen, egal wo auf der Welt, unter bestimmten Umständen zu extrem grausamen Taten fähig sein können, auch wenn sie nicht von Natur aus grausam sind."
"Ich habe die Geschehnisse von Jedwabne als historisches Beispiel für ein Phänomen benutzt, das mich interessiert: Nämlich, dass Menschen, egal wo auf der Welt, unter bestimmten Umständen zu extrem grausamen Taten fähig sein können, auch wenn sie nicht von Natur aus grausam sind."
Zeitungsartikel beruft sich auf umstrittenen US-Historiker
Die "Liga gegen Diffamierung", mit Nähe zu Polens nationalkonservativer Regierung, wirft "Página 12" vor, mit der Publikation zum Nachteil der polnischen Nation gehandelt zu haben. Pavlovskys Artikel stützt sich auf das Buch "Nachbarn" des US-amerikanischen Historikers Jan Tomasz Gross. Dem von anderen Historikern angefochtenen Werk zufolge waren im Juli 1941 zwar deutsche Besatzer in Jedwabne, aber sie hätten das Pogrom nicht angeordnet und auch nicht daran teilgenommen.
Die jüdischen Bewohner, mindestens 340, Gross zufolge sogar 1.600, seien von ihren Mitbürgern bei lebendigem Leibe verbrannt worden. Das 2001 erschienene Buch "Nachbarn" hatte in Polen eine intensive Debatte darüber ausgelöst, ob und in welchem Umfang ein Teil der polnischen Bürger am Holocaust beteiligt war.
"Liga gegen Diffamierung" kritisiert Bild in der Berichterstattung
"Liga gegen Diffamierung" kritisiert Bild in der Berichterstattung
"Página 12" illustrierte den Artikel nicht mit einem Foto aus Jedwabne, sondern mit einem Bild, auf dem gefallene polnische antikommunistische Widerstandskämpfer zu sehen sind. Daran hat die "Liga gegen Diffamierung" Anstoß genommen. In der Verknüpfung der Widerstandskämpfer mit dem Massaker sieht sie eine bewusste Manipulation der Ereignisse.
"Página 12"-Redakteur Martín Granovsky will sich zu diesem Vorwurf nicht äußern, denn noch ist seine Zeitung nicht offiziell über die Klage informiert worden. Aber er prangert einen schwerwiegenden Angriff auf die Meinungsfreiheit an: "Dieses polnische Gesetz ist illegal, weil es gegen Artikel 19 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte verstößt, der das Recht auf freie Meinungsäußerung festschreibt. Das Gesetz ist in Polen selbst illegal und soll jetzt auch noch auf ein anderes Land, auf Argentinien, angewandt werden. Das ist globale Zensur!"
Redaktion will sich von der Klage nicht einschüchtern lassen
Noch ist ungewiss, ob die nationalistische Organisation mit ihrer Klage gegen eine ausländische Zeitung Erfolg haben wird. Federico Pavlovsky, der Autor des Artikels, hat eine geplante private Reise nach Polen abgesagt – aus Angst vor möglichen Konsequenzen. "Página 12" hat angekündigt, sich juristisch gegen die Klage zu wehren.
Die Redaktion will sich nicht einschüchtern lassen. Redakteur Martín Granovsky: "Journalistisch wehren wir uns, indem wir weiter über Jedwabne und ähnliche Themen berichten. Es geht hier um das Recht, an die Vergangenheit zu erinnern und sie zu diskutieren. Das polnische Gesetz will das verhindern. Aber unsere Zeitung ist sehr sensibel gegenüber Erinnerungs-Themen, auch wenn sie Kontroversen verursachen. Solche Debatten kann man nicht durch Gesetze regeln."
Furcht vor Selbstzensur in Argentinien
Dennoch könnte die Klage aus Polen bei manchen Journalisten zur Selbstzensur führen, fürchtet Federico Pavlovsky. Und das habe auch etwas mit Argentiniens Diktatur-Erfahrung zu tun: "Die Leute hatten damals Angst, zu reden, zu denken, zu schreiben oder bestimmte Bücher zu kaufen – für all das konnte man sterben."
Wegen der Erfahrung einer verbrecherischen Militärdiktatur, während der zwischen 1976 und 1983 Tausende von Menschen verschleppt, gefoltert und umgebracht wurden, wird auch in Argentinien kontrovers über die Vergangenheit diskutiert. Während der Diktatur herrschte Zensur, aber seit der Rückkehr zur Demokratie gab es keinerlei Versuche von oben, solche Debatten zu beeinflussen oder gar bestimmte historische Sichtweisen zu verbieten.