Die Entscheidung über den weiteren Einsatz von Glyphosat ist weiter verschoben. Eigentlich wäre eine Einigung bereits heute möglich gewesen, doch das zuständige Expertengremium in Brüssel stimmte am Ende nicht darüber ab. Doch die Zeit drängt: Spätestens bis zum 15. Dezember müssen die EU-Mitgliedsstaaten eine Einigung erzielen, denn zum Jahresende läuft die derzeitige Zulassung in Europa aus.
Für eine Verlängerung von Glyphosat bräuchte es eine qualifizierte Mehrheit. Das heißt, mindestens 16 Mitgliedsstaaten, die 65 Prozent aller EU-Bürger repräsentieren, müssten dafür stimmen, Glyphosat auf europäischen Äckern weiter einzusetzen.
Welche Optionen sind im Gespräch?
Dabei ist noch nicht abschließend geklärt, wie eine Neuzulassung aussehen könnte. In Brüssel gehen die Meinungen dazu weit auseinander. "Klar ist: Das Parlament setzt ein deutlich kritischeres Signal als die Mitgliedsländer", sagt der Agrarexperte der Grünen im Europaparlament, Martin Häusling, in den Informationen am Morgen im Dlf. Die EU-Kommission ist wohl auch deshalb mittlerweile von ihrem ersten Vorschlag zurückgerudert: Von anfangs zehn weiteren Zulassungsjahren auf eine Spanne zwischen sieben und fünf.
Mit dem Kompromissvorschlag will die Kommission aber nicht nur den Gegnern im EU-Parlament entgegen kommen, sondern auch EU-Länder zur Zustimmung motivieren. Zuvor gab es vor allem vonseiten des französischen Umweltministers Nicolas Hulot Kritik an der zehnjährigen Verlängerung.
Warum ist Glyphosat so umstritten?
Umweltschützer sind gegen den Einsatz von Glyphosat. Sie sehen eine Zusammenhang zwischen dem Einsatz des Pestizids und dem Insektensterben. Greenpeace fasst zusammen: "Dem Verlust an totgespritzten Wildkräutern folgt eine reduzierte Artenvielfalt entlang der Nahrungskette - bis hin zu Säugetieren und Vögeln." (*) Das Mittel steht auch im Verdacht, krebserregend zu sein. Das behauptet auch Helmut Burtscher-Schaden in seinem Buch über das Pflanzenschutzmittel, das im Dlf-Magazin für politische Literatur Andruck diskutiert wurde. Für den Biochemiker der Umweltorganisation Global 2000 war es eine Überraschung, als die Weltgesundheitsorganisation WHO im März 2015 Glyphosat als "wahrscheinlich krebserregend beim Menschen" erklärte. Der Buchautor hat die Spur von Glyphosat bis zurück in die 70er-Jahre verfolgt, als das Mittel erstmals für den US-amerikanischen Markt zugelassen wurde. Ein Fazit seines Buches: Prüfbehörden und Pestizidhersteller ziehen am gleichen Strang - mit industriefreundlichen Interpretationen von Studien.
Man sei nicht gut beraten, wenn man basierend auf unwissenschaftlichen Angstkampagnen Entscheidungen gegen Glyphosat treffe, sagt hingegen Joachim Rukwied, Präsident des Bauernverbandes, im Interview mit dem Dlf. In Europa und in Deutschland gäbe es neutrale Institutionen "und diese Institutionen kommen alle zum Ergebnis, dass Glyphosat nicht krebserregend ist" so Rukwied. Er warnt auch davor, dass ein Verbot des Pflanzenschutzmittels die Bauern treffen könnte. Die hätten einen Wettbewerbsnachteil, weil "wir werden unsere Produktionssysteme eben etwas umstellen müssen".
Glyphosat im Einsatz
Tatsächlich wird in Deutschland vergleichsweise noch recht wenig Glyphosat verwendet - anders in Argentinien. Dort ist Glyphosat in Form der Marke Roundup schon seit dem Soja-Boom der 90er-Jahre ein Dauerbrenner.
In der Kernzone der Anbaugebiete lebten rund 13.000 Menschen. "Dort werden 300 Millionen Liter an Chemikalien verspritzt, das ist weltweit die höchste Quote an Pestiziden pro Person", erzählt der Fotograf Pablo Piovano im Magazin Umwelt und Verbraucher. Piovano hält seit Jahren die Folgen des massiven Pestizideinsatzes in seinem Fotogeschichten fest. "Oft heißt es ja, bei richtiger Anwendung seien diese Pestizide ungefährlich. Doch in der Realität funktioniert das gar nicht. Nicht in Länder wie Argentinien, wo auf gigantischen Plantagen Monokulturen flächendeckend besprüht werden." Auch kümmerten sich die Unternehmen nicht um den Schutz der Arbeiter.
Für solche Fälle fordert Armin Paasch von der katholischen Organisation Misereor im Interview mit dem Dlf eine Mithaftung der Herstellerkonzerne und ein Recht von Betroffenen, in den Heimatländern der Konzerne zu klagen. "Wenn es keine Ausbildungsmaßnahmen für die Bauern gibt, dann ist das ein Risiko, das ein Unternehmen in Betracht ziehen muss und entsprechende Gegenmaßnahmen treffen muss", so Paasch.
"Leichter Übergang zum Ausstieg"
Für den Biologen Horst-Henning Steinmann ist die aufgeschobene Entscheidung der EU-Kommission ein Einstieg in den Ausstieg. Bei der Entscheidung handele es sich vermutlich um einen "Kompromiss, um nicht gleich einen Komplettausstieg innerhalb kürzester Zeit zu fahren, sondern einen leichten Übergang hinzubekommen", so der Herbizidforscher am Zentrum für Biodiversität und nachhaltige Landnutzung der Universität Göttingen im Gespräch mit dem Dlf.
Wenn Glyphosat tatsächlich irgendwann nicht mehr eingesetzt wird, müssten die Landwirte sich teilweise radikal umstellen, so Steinmann. In diesem Zusammenhang forderte der Biologe eine Rückbesinnung auf eine natürlichere Landwirtschaft. Man müsse Anbausysteme dort auf den Weg bringen, die nicht nur an den Pflanzenschutzmitteln hängen, sondern die auch sich selber ein Stück weit besser tragen können, so Steinmann.
Dass Glyphosat bisland so weitläufig eingesetzt wird, habe nicht zuletzt mit dem Preis des Herbizids zu tun. "Glyphosat war und ist zu billig", kritisiert Steinmann. Gleichzeitig bescheinigte er dem Mittel auch günstige Anwendungsbedingungen. "Es lässt sich in vielen Kulturen anwenden oder auf vielen Stoppeläckern vor oder nach vielen Ackerbaukulturen. Es hat ein sehr breites Spektrum, erfasst also sehr viele Unkräuter, und ist dadurch quasi zu einem Ersatzackerbauinstrument geworden, weil es vielfach eben den Pflug oder andere Bodenbearbeitungsgeräte ersetzen kann."
Das große Geschäft
Nicht zuletzt deswegen haben die Farmer in Illinois man mit Glyphosat bisher gute Erfahrungen gemacht. Wie in Argentinien wird auch das Mittel meist in Kombination mit gentechnisch verändertem Mais und Soja angebaut. Doch die bequeme Allzweckwaffe verliert an Durchschlagskraft. "Ich denke, Roundup funktioniert so gut, Glyphosat wirkt so gut, dass die Leute bequem geworden sind und es immer mehr und immer mehr nutzen wollen. Sie benutzen es beim Mais, bei Soja, mehrere Male im Jahr, das ist ein Problem", so der 40-jährige Farmer Joshua Young.
Glyphosat ist Kernbestandteil des Pflanzensprühmittels Roundup, die der US-Konzern Monsanto herstellt, der für 66 Milliarden Euro an den deutschen Konzern Bayer verkauft werden soll. Die europäischen Wettbewerbshüter prüfen gerade die Pläne für die Übernahme. Eine Entscheidung wird Anfang nächsten Jahres erwartet. Eine Entscheidung über die Zukunft von Glyphosat auf europäischen Äckern hätte im Falle einer Fusion auch direkte Auswirkungen auf ein deutsches Unternehmen.
(*) In Absprache mit der Redaktion "Umwelt und Verbraucher" haben wir den Zusammenhang an dieser Stelle genauer als im ursprünglichen Text präzisiert.
(Martin/Kurz)