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Umstrittenes Pilotprojekt
EU plant erstes Flüchtlingszentrum in Westafrika

Noch bis zum Jahresende will die EU im westafrikanischen Niger ein großes Flüchtlingszentrum errichten. Dort sollen Migranten rasch erfahren, ob sie ein Recht auf Asyl in der EU haben oder nicht. Kritiker sehen in den Plänen den Beweis dafür, dass sich Europa weiter abschotte.

Von Karin Bensch |
    Hände von afrikanischen Asylsuchenden am Zaun des Internierungslagers Holot
    Kritiker mahnen, EU-Flüchtlingslager in Westafrika kämen Hochsicherheitstrakten gleich (JACK GUEZ / AFP)
    Knapp 200.000 Flüchtlinge kamen im vergangenen Jahr über das Mittelmeer nach Italien. Die allermeisten starteten die lebensgefährliche Seereise in Libyen. Der Großteil der Flüchtlinge kommt aus dem Bürgerkriegsland Syrien und der Diktatur in Eritrea.
    Für Bundesinnenminister de Maiziere ist wichtig, "dass Flüchtlingspolitik nicht an den Grenzen der Europas und an den Grenzen Deutschlands beginnen darf."
    De Maizière ist für das Pilotprojekt eines Flüchtlingszentrums in Niger, ein Wüstenstaat in Westafrika. Bis Jahresende soll dort - in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen - ein Zentrum entstehen, in dem Migranten darüber informiert werden, ob sie ein Recht auf Asyl in der EU haben oder nicht. Und zwar schon auf der anderen Seite des Mittelmeeres. Damit sollen Migranten davon abgehalten werden, auf unsichere Flüchtlingsboote zu steigen. Asylanträge sollen in dem Flüchtlingszentrum in Niger aber nicht bearbeitet werden. Bundesinnenminister de Maizière findet es sinnvoll: "Vor Ort zu entscheiden, wer legal nach Europa kommen kann. Und anderen zu sagen, wenn ihr illegal nach Europa kommt, ihr werdet sowieso zurückgeschickt. Wollt Ihr nicht lieber mit Hilfe von uns in Eure Staaten zurückkommen?"
    Flüchtlingszentrum als Hochsicherheitstrakt?
    Zurückkehren, dass wollen wohl die wenigsten, viele haben schon tausende Kilometer hinter sich. Und: Sie haben Gründe, warum sie ihre Heimat verlassen haben: Armut, Hunger, keine Lebens- und Arbeitsperspektive. Was würde also geschehen, wenn zehntausende Afrikaner, die kein Recht auf Asyl in Europa haben, dort abgewiesen werden? Wenn es zu Aufständen käme? Dann müsste das Flüchtlingszentrum ein Hochsicherheitstrakt sein.
    Die Abgewiesenen würden voraussichtlich wieder die lebensgefährliche Reise übers Mittelmeer auf sich nehmen. Dann gäbe es legale und illegale Wege nach Europa - die Zahlen könnten sich verdoppeln. Kritiker sagen, solche Flüchtlingszentren könnten eine Sogwirkung haben. Und sie wären ein Beweis dafür, dass sich Europa weiter abschotte.
    "Trotzdem muss man diesen Gedanken mal weiterüberlegen. Denn der jetzige Zustand ist, dass Menschen im Mittelmeer ertrinken. Und das noch mit wahnsinnigen Gewinnen von diesen Menschenhändlern."
    Sagt Bundesinnenminister de Maizière. In welchen afrikanischen Staaten die EU überhaupt solche Flüchtlingszentren einrichten kann. Denn viele Länder dort haben keine funktionierenden Regierungen oder keine demokratische Grundlage. Niger gilt als politisch stabil. Seit 2011 ist der sozialdemokratische Präsident Mahamadou Issoufou im Amt. Die meisten Nigrer sind Muslime.
    90 Prozent der Migranten aus Westafrika reisen durch den Niger
    Seit Anfang des Jahres greift die islamistische Terrororganisation Boko Haram auch Ziele im Südosten Nigers an. Es ist nicht auszuschließen, dass die Gruppe auch in anderen Städten des Landes terroristische Attentate plant. Im Niger befinden sich zehntausende Flüchtlinge aus dem Nachbarland Nigeria, die vor den Gewaltexzessen von Boko Haram geflohen sind. In dem Wüstenstaat herrschen regelmäßig Dürren und Hungersnöte. Das Bildungsniveau ist sehr gering: drei von vier Männern können nicht lesen und schreiben. Kinderarbeit ist in Niger verbreitet.
    Und trotzdem ist Niger für die EU interessant. Denn 90 Prozent der Migranten aus Westafrika reisen auf ihrem Weg nach Libyen durch den Niger, sagt die EU-Außenbeauftragte Mogherini. Deshalb weitet die EU ihre Ausbildungsmission für Sicherheitskräfte im Niger aus. Künftig sollen Polizei und Militär dabei unterstützt werden, illegale Migration und Menschenschmuggel zu bekämpfen.
    "Natürlich gibt es eine europäische Politik gegenüber Afrika. Aber die Flüchtlingspolitik ist bislang nicht Teil einer solchen europäischen Außenpolitik."
    Das wird sich nun ändern: Im September soll es einen Gipfel auf Malta geben, an dem Vertreter der EU und der betroffenen afrikanischen Länder teilnehmen. Klar ist, nur durch eine Zusammenarbeit mit den Herkunfts- und Transitländern kann die EU die Flüchtlingsproblematik in den Griff bekommen.