"Das ist kein Übergriff, das ist Vergewaltigung", hallte es bei zahlreichen Kundgebungen der letzten Tage durch die spanischen Innenstädte. Das Urteil nur wegen sexuellen Übergriffs gegen fünf Täter, die eine 18-Jährige zum Sex gezwungen haben, empört die Spanier.
Die Politik hat schnell reagiert. Regierungssprecher Íñigo Méndez de Vigo kündigt an:"Die Regierung respektiert die Entscheidungen der Justiz. Aber das Urteil ist ja noch nicht rechtskräftig. Die Beteiligten haben ja schon Rechtsmittel angekündigt. Und das Justizministerium will prüfen, ob die Taten im Strafrechtskatalog von 1995 ausreichend berücksichtigt sind oder ob eine Reform notwendig ist."
Im Mai wollen sich alle Parteien über eine Reform verständigen. Sie könnten dann wie in Deutschland das komplexe Sexualstrafrecht vereinfachen und die Vorwürfe "sexueller Übergriff" und "sexuelle Nötigung" in einem einzigen Paragraphen zusammenfassen. Denn in beiden Fällen ist zwar das Eindringen in den Körper gegen den Willen des Opfers eine strafbare Handlung, aber anders als in Deutschland bezeichnet das spanische Gesetz nur eine Nötigung auch ausdrücklich als Vergewaltigung.
Neun Jahre Haft wegen sexueller Übergriffe
Für eine solche Verurteilung wegen Nötigung muss der Täter das Opfer zumindest eingeschüchtert haben. Im vorliegenden Fall haben die Richter zwar anerkannt, dass die fünf ihr Opfer mitten in der Nacht in die Enge gedrängt haben, als Einschüchterung bewerteten sie dies jedoch nicht. Lucía Avilés vom Verband spanischer Richterinnen hat dafür kein Verständnis:
"Wenn mich fünf Männer umzingeln und mir sagen, ich soll ihnen mein Handy geben, zweifelt niemand daran, dass ich doch zumindest eingeschüchtert werde. Wenn das hingegen im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung geschieht, scheint das anders zu sein. Im Urteil ist wörtlich von einer beklemmenden Situation die Rede, von Unterwerfung, mentaler Blockade. Aber in der juristischen Beurteilung reicht das dann scheinbar nicht aus, um die Tat als sexuelle Nötigung zu bewerten."
So wurden die Angeklagten lediglich wegen sexueller Übergriffe zu jeweils neun Jahren Haft verurteilt, nicht wegen Nötigung zu fast 23 Jahren, wie die Staatsanwaltschaft gefordert hatte - was die Spanier auf der Straße als Freispruch vom Vorwurf der Vergewaltigung bewerten.
Härteres Urteil wäre möglich
Auch Marisa Soleto von der Nichtregierungsorganisation "Stiftung Frauen" befürwortet eine Debatte um das Sexualstrafrecht. Aber sie erinnert daran, dass auch nach dem gegenwärtigen Strafrecht ein härteres Urteil möglich wäre:
"Man darf auf der einen Seite nicht übersehen, dass die Staatsanwaltschaft die Tat schon als Nötigung bewertet hatte und auch in Berufung geht. Auf der anderen Seite muss man natürlich das Strafrecht weiter verbessern, so dass eine Verurteilung zur Nötigung auch ohne explizite Gewaltanwendung oder Einschüchterung möglich ist. Der Istanbul-Konvention zufolge liegt Gewalt sowieso immer dann vor, wenn die Frau nicht einverstanden ist."
Marisa Soleto spricht vom Übereinkommen des Europarats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen von 2014, an das im Grunde alle Unterzeichnerstaaten ihr Strafrecht anpassen müssten.
Stereotype in den Köpfen
Wie Marisa Soleto hält auch Ángeles Jaime vom Juristinnenverband THEMIS die neun Jahre Haft für jeden der fünf Männer für kein mildes Urteil. Und sie findet, nicht die Gesetze seien das Problem, sondern diejenigen, die sie interpretieren - so wie einer der drei Richter der Strafkammer von Pamplona, der in einem Minderheitenvotum behauptet, die 18-jährige Frau sei gar nicht vergewaltigt worden; sie habe sich ja nicht mal gewehrt:
"Ich sehe eine Strafrechtsreform skeptisch. Wir haben ständig Urteile, in denen Richter behaupten, die Frau habe eine Vergewaltigung provoziert, ihr Nein sei in Wahrheit ein Ja gewesen. Diese Stereotypen über Frauen stehen nicht im Gesetz, sie sind in den Köpfen. Gegen solche Richter müsste auch die Justizverwaltung disziplinarische Maßnahmen ergreifen. Das wäre effektiver als eine neue Rechtsreform."