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Umverteilung in den USA
Das Land der Ungleichen

Amerikaner schauen zu denjenigen auf, die reich sind, die es geschafft haben. Aber nach Jahrzehnten der Umverteilung von unten nach oben, mit dem Zusammenschrumpfen der Mittelklasse hat sich die Debatte in den USA geändert. Die deutlich sichtbare Ungleichheit wird zunehmend Thema: in der gesellschaftlichen Debatte, in der Politik, im Wahlkampf.

Von Andreas Horchler |
    Ein Obdachloser schläft am 13. Januar 2007 auf der Straße in San Francisco, Kalifornien, USA.
    Die US-Statistikbehörde meldet fast 47 Millionen arme Amerikaner im Jahr 2014. (picture-alliance/ dpa/ epa Arleen Ng)
    Auf gewisse Weise ist in Amerika wieder alles beim Alten. Wer eine gute Ausbildung genießt, rücksichtslos und risikobereit ist, kann in die Gesellschaft der Wohlhabenden aufsteigen. Wer nicht dazugehört, hat Pech gehabt. Das war die soziale Realität vor der Präsidentschaft Franklin Delano Roosevelts, das wird wieder zunehmend zur gesellschaftlichen Norm seit der Reagan-Ära in den 1980er-Jahren. Roosevelt hatte mit seinen Sozial-Gesetzen des "New Deal" für einen Ausgleich gesorgt.
    "Wirtschaftshistoriker sprechen von der Great Compression, der Komprimierung," erläutert Princeton-Ökonom Paul Krugman. "Die Einkommensunterschiede wurden zusammengestaucht. Die Geschichte ist so bedeutsam wie die der großen Depression, die wir ja alle kennen."
    Für eine Generation wuchs die US-Mittelklasse, Mitbestimmung wurde großgeschrieben, Mindestlöhne eingeführt, die Steuern für Reiche erhöht. Die Rockefellers und Carnegies, das oberste Prozent der Einkommenspyramide, hatte in den ersten Dekaden des 20. Jahrhunderts etwas weniger als ein Fünftel des US-Einkommens verdient, 2007 lag das Einkommen der Banker, Industriellen und Internetunternehmer bei fast einem Viertel. Und die Geschwindigkeit, in der sich die Einkommensschere spreizt, nimmt laut Angaben des "Congressional Budget Bureaus", das in Washington die Einkommensstatistiken auswertet, trotz Rezession 2008 zu.
    Wir sind die 99 Prozent, riefen Occuppy-Aktivisten in New York und kritisierten die Kasinomentalität der Wall Street.
    Sanders gegen Ein-Prozent-Gesellschaft der Superreichen
    15 Dollar Mindestlohn fordern Gewerkschaften und Bürgerrechtler. Wenn Bernie Sanders gegen die Ein-Prozent-Gesellschaft der Superreichen wettert, jubeln ihm tausende vor allem junge Menschen zu.
    "Wenn wir den amerikanischen Traum leben wollen, sagt eine junge Sanders-Wählerin, müssen wir entsprechend ausgestattet sein. Wenn wir nicht freie Krankenversicherung und freie Bildung haben, wie sollen wir dann als Amerikaner bestehen?"
    Der 74-jährige Senator aus Vermont, der selbst ernannte demokratische Sozialist fordert kostenfreie Bildung, Krankenversicherung für alle, hohe Steuern für Reiche und Konzerne, eine politische Revolution.
    Donald Trump, der Außenseiter im Rennen um das Weiße Haus, hat andere Vorschläge. Alle Bürger sollen davon profitieren, dass Arbeitsplätze zurück in die USA geholt werden. Schuld an der Situation sind die Chinesen und die Mexikaner, die das Land dank schlechter Handelsabkommen mit ihren Waren fluten.
    "Wir sind die größten dummen Idioten. Ich würde Handelsabkommen neu verhandeln. Ich würde unser Land schnell wieder sehr reich machen."
    47 Millionen arme Amerikaner
    Die US-Statistikbehörde meldet fast 47 Millionen arme Amerikaner im Jahr 2014, annähernd 15 Prozent der Gesamtbevölkerung.
    Selbst schuld, meint dieser junge Republikaner, er verstehe ja, wenn die Demokraten meinten, die Welt sei einfach unfair und das sei schlimm. Sie müssten einfach erkennen: Das Leben ist mies!
    Ronald Reagan hatte während seiner Präsidentschaft Sozialleistungen abgebaut. Argument: Wenn wir anfangen, Menschen für ihre Armut zu belohnen, werden wir sehr viele Arme haben.
    Mit Reagan endete die lange Phase des staatlich gelenkten Ausgleichs zwischen Arm und Reich. Präsident Roosevelt hatte in seiner "Economic Bill of rights" 1944 formuliert:
    "Wahre individuelle Freiheit kann ohne wirtschaftliche Sicherheit und Unabhängigkeit nicht existieren."
    Roosevelts demokratischer Nachfolger Lyndon B. Johnson hatte 1964 sogar offiziell einen bedingungslosen Krieg gegen die Armut in den USA erklärt.
    Die Schere wird in den USA weiter auseinandergehen
    2016 scheint dieser Krieg verloren. 35 Jahre Marktliberalismus und Globalisierung sorgten für ein Heer von Verlierern in der amerikanischen Gesellschaft. Ohne politische Mehrheit im US-Kongress konnte Präsident Obama nur einige Gesetze auf den Weg bringen, um die wachsenden sozialen Gräben zu überbrücken. Seine Nachfolgerin oder sein Nachfolger werden es mit einer Gesellschaft zu tun haben, in der sehr wenige sehr reich und sehr viele erschreckend arm sind, in der der eine überwältigende Mehrheit der Menschen nicht daran glaubt, dass die Politik die Situation verbessern kann. Und nach wie vor meinen viele Amerikaner: Im Land der sehr großen individuellen Freiheit gehört es nicht zu den Aufgaben des Staates, soziale Ungleichheit zu bekämpfen. Die Verantwortung trägt jeder allein.