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Künstliche Intelligenz gegen den Klimawandel

Prognosen für den Wasserbedarf, Erkennung von Pflanzen auf dem Feld oder von Migranten, die wegen des Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen: Die Analyse durch Künstliche Intelligenz kann zweischneidig sein. Datenexpertin Carina Fron fordert im Dlf die Anpassung von Algorithmen durch Fachleute.

Carina Fron im Gespräch mit Manfred Kloiber |
Die Sonne strahlt durch Bäume in einem Waldstück.
Künstliche Intelligenz (KI) kann ein wichtiges Werkzeug zur Bekämpfung des Klimawandels sein wie bei der Beobachtung von Wäldern oder landwirtschaftlichen Nutzflächen. (imago/A. Friedrichs)
Künstliche Intelligenz (KI) unterstützt die Wissenschaft und Wirtschaft an vielen Fronten. Diese Technologien sollen unser Leben effizienter, wirtschaftlicher, aber auch nachhaltiger machen. Welche Fragen sich Wissenschaftler dabei stellen, darüber hat Technologie-Experte Manfred Kloiber sich mit Datenexpertin Carina Fron unterhalten.
Manfred Kloiber: Künstliche Intelligenz kann für die Umwelt und gegen den Klimawandel arbeiten. Davon ist Bundesumweltministerin Svenja Schulze überzeugt. Deshalb hat das Ministerium bereits im letzten Jahr ein sogenanntes KI-Leuchtturmprogramm gestartet. Hier wurden Projekte ausgewählt, die bei ökologischen Herausforderungen helfen sollen - mittels künstlicher Intelligenz. Mögliche Anwendungen könnten zum Beispiel der Artenschutz, Energieeinsparungen in Unternehmen oder die nachhaltige Landwirtschaft sein. Dafür wurden bereits in der ersten Runde 25 Millionen Euro vergeben. Aufgestockt wird in diesem Jahr mit weiteren 20 Millionen Euro. Carina Fron, halten Sie das für gut angelegtes Geld?
Carina Fron: Es mangelt zumindest einmal nicht an Ideen, wie sich künstliche Intelligenz für den Klimaschutz einsetzen lässt. Das zeigt zum Beispiel eine Anfang des Jahres veröffentlichte Studie des Weltwirtschaftsforums zusammen mit dem Wirtschaftsberatungs-Unternehmen PwC. Die enthält über 80 Vorschläge, wie KI gegen den Klimawandel arbeiten könnte. Wobei alle Ideen vor allem im Hinterkopf haben, worin die Stärke von KI liegt: Große Datenmengen auswerten.
Prognosen für Wasserbedarf und Wetterentwicklung
Kloiber: Und wie sehen diese Vorschläge aus?
Fron: Da geht es zum Beispiel um die Wasserversorgungssicherheit. Ihre Idee: Die Bevölkerung wächst immer weiter, sauberes Trinkwasser wird immer weniger. Deshalb könnten KI-Systeme Prognosen für den Wasserbedarf und die Wetterentwicklungen erstellen. Außerdem kann so die Wasserqualität in Echtzeit überwacht werden. Das ist jetzt nur ein Beispiel. Aber da gibt es auch noch andere, konkrete Projekte, wie das vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. Dort konnten Forscher in einer Untersuchung gerade erst zeigen, wie sich landwirtschaftliche Nutzflächen und Wälder besser beobachten lassen. Denn die Satelliten-Bilder auf diese Flächen werden oft durch Wolken gestört. Mit maschinellem Lernen können Lücken in den Bildern ausgeglichen werden. Und auch Tech-Unternehmen mischen mit. Microsoft zum Beispiel. Die wollen eine digitale Plattform aufbauen, die Umweltdaten aus aller Welt mithilfe von maschinellem Lernen und computergestützten Prozessen verarbeiten und die Ergebnisse Wissenschaftlern, Unternehmen, Regierungen und Naturschützern zur Verfügung stellen. Ich könnte so weiter machen. Die Liste ist lang - zumindest von Ideen. Konkret Anwendungen im Alltag zu sehen, ist aber bislang noch geradezu unmöglich - zumindest in meinem eigenen Haushalt.
Kloiber: Das Potenzial, dem Klima zu helfen, hat künstliche Intelligenz auf jeden Fall. Auch Ideen scheint es auf den ersten Blick genug zu geben. Allerdings hat jede Technologie auch immer ihre Kehrseiten.
Eine Europäische Flagge mit Platinengrafik weht vor dramatischem Himmel.
Künstliche Intelligenz in der EU - Schluss mit Krone der Schöpfung
Die EU hat erklärt, wie sie Digitalisierung und KI gestalten möchte. Tom Hillenbrand ist skeptisch, ob das viel bringen wird. Künftig würden Computer den Menschen den Rang ablaufen.
Nachhaltigkeitsforscher Santarius ist optimistisch
"Technologie ist Fluch und ist auch Segen. Oder es kann beides sein, weil natürlich viele digitale Dienstleistungen und neue Entwicklungen, die angestoßen werden, auch erstmal dazu dienen, den Status quo, den nicht-nachhaltigen Status quo zu optimieren."
Grundsätzlich ist der Nachhaltigkeitsforscher Tilman Santarius von der TU Berlin optimistisch, dass es sinnvolle KI-Anwendungen für den Klimaschutz gibt. Doch es liegt in seiner Natur skeptisch zu sein, welche Bilanz zum Beispiel Erfindungen wie die selbstfahrenden Autos am Ende im flächendeckenden Betrieb wirklich vorweisen werden.
"Können selbstfahrende Autos im Privatbetrieb als Fahrzeuge des motorisierten Individualverkehrs überhaupt den Beitrag leisten zur Verkehrswende? Wir brauchen ja eine nachhaltige Verkehrswende weg vom Automobil und nicht durch eine Modernisierung des Automobils, dies möglicherweise noch attraktiver macht hin zum Automobil."
Meint Tilman Santarius. Der Experte für Sozial-Ökologische Transformation und Nachhaltige Digitalisierung betont, bei der Benutzung und Überwachung dieser Autos würden auch jede Menge Daten anfallen. Diese zu verarbeiten, kostet Energie und geht damit auch zu Lasten des Klimas. Mit diesem Problem haben so gut wie alle Anwendungen zu kämpfen, die mit komplexer künstlicher Intelligenz arbeiten. In der Landwirtschaft kann es dabei zum Beispiel um die automatisierte Erkennung von Pflanzen auf dem Feld gehen. Auch die funktioniert nur wirklich gut, wenn die Systeme mit sehr vielen Daten trainiert wurden.
"Landwirtschaft funktioniert nur, wenn Daten fließen"
"Also, je präziser eine Maschine erkennt, was für Pflanzen sie dort hat, also sei es die Nutzpflanze oder auch Unkraut, desto genauer kann die Maschine dann auch Einzelpflanzenbasiert agieren."
Die Maschine könnte der Pflanze dann zum Beispiel Nährstoffe geben, wenn diese ihr fehlen, erklärt Stefan Stiene vom DFKI, dem Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz. Er leitet das Kompetenzzentrum für "Smart Agriculture Technologies" in Osnabrück. Dort bringt er unter anderem Gerätehersteller für die Landwirtschaft mit Datenexperten zusammen.
"Landwirtschaft funktioniert nur, wenn Daten fließen, wenn Daten auch den eigenen Hof verlassen, zum Beispiel in der Zusammenarbeit mit Lohnunternehmern. Und da ist die Frage: wie kann man da eine geschützte Transparenz erreichen?"
Für Stefan Stiene eine Schlüsselfrage.
KI nicht zur Überwachung von Migranten benutzen
Gedanken macht sich darüber auch Lynn Kaack von der ETH Zürich. Denn die Daten, die bei den eigentlich gut gemeinten KI-Projekten zum Umweltschutz entstehen, können auch zu falschen Zwecken verwendet werden. Sie verweist auf die Probleme von Migranten, die aufgrund des fortschreitenden Klimawandels ihre Heimat verlassen müssen.
"Also hier ist aber auch ein Thema, wo ganz sehr offensichtlich wird, wie zweischneidig ein Werkzeug KI sein kann. In unserem Bericht weisen wir auch darauf hin, dass es wichtig ist, aufzupassen, dass KI nicht dazu benutzt wird, Migranten zu überwachen, zum Beispiel."
Der von ihr erwähnte Bericht ist ein 50-Seitige Untersuchung, die im vergangenen Jahr erschienen ist. Verfasst in Zusammenarbeit mit 21 anderen Forschern aus der ganzen Welt. Damit wollen sie aufzeigen, welche Chancen künstliche Intelligenzen zum Schutz des Klimas bieten. Ihren Schwerpunkt legen die Forscher auf das maschinelle Lernen, da vor allem die Auswertung von Texten und Zahlen.
"In meiner eigenen Forschung benutze ich es ist zum Beispiel, um automatisch Texte auszulesen. Und das kann der Innovationsforschung im Bereich der erneuerbaren Energien helfen. Und auch der Entwicklung von Gesetzestexten in der Forschung im politischen Bereich."
Verantwortung könnte auf Technologie abgewälzt werden
Die Wissenschaftler erhoffen sich mit ihrem Bericht und mit ihrer daraus entstandenen Organisation "Climate Change AI" vor allem andere Experten und auch Entscheidungsträger zu erreichen. Und damit zur Zusammenarbeit motivieren.
Kloiber: Trotz all der Möglichkeiten und Ideen, scheinen die Bedenken von wissenschaftlicher Seite aus nicht ganz unerheblich zu sein. Warum wird Ihrer Meinung nach dennoch das Thema "Künstliche Intelligenz gegen den Klimawandel" so sehr befeuert?
Fron: Das übliche passiert: Künstliche Intelligenz suggeriert, dass sie die Arbeit rund um den Klimaschutz vereinfache. Das mag auch bis zu einem gewissen Grad stimmen, kann eine KI zum Beispiel Daten einfach auch oft wirklich schneller auswerten. Aber vielleicht verlassen sich einige Menschen auch zu sehr auf die technischen Möglichkeiten. Es droht, dass hier menschliche Verantwortung auf Technologie abgewälzt wird. Dabei ist die sicher nicht perfekt. Die Algorithmen müssen ständig von Fachleuten überprüft werden, gegebenenfalls sogar angepasst werden. Und außerdem kommt es ja ganz darauf an, mit welchen Daten sie gespeist wurden und ob sie eventuell in ihrer Auswertung in eine Richtung beeinflusst worden sind. Plus die Anwendungen können weder Entscheidungen treffen, noch diese am Ende ausführen - das muss immer noch der Mensch machen. KI kann also nur ein Werkzeug sein, aber auf keinen Fall die ultimative Lösung.
"Dringend Standards für Nachhaltigkeit einführen"
Kloiber: Gibt es denn eine Möglichkeit differenzierter an das Projekt "Künstliche Intelligenz gegen den Klimawandel" heranzugehen?
Fron: Transparenz ist meiner Meinung nach ganz wichtig. Es wurde ja schon angesprochen, dass jede KI-Anwendung Daten produziert. Also auch jedes Mal, wenn wir eine Suchmaschine benutzen, Filme gucken oder die Apps der öffentlichen Verkehrsmittel benutzen, schaden wir im weitesten Sinne auch der Umwelt. Bewusstsein dafür lässt sich nur schaffen, wenn das einem wirklich deutlich gemacht wird. Ich finde die Idee nicht schlecht, einen Warnhinweis für sehr Datenintensive Anwendungen einzuführen - damit ich als Verbraucher auch weiß, was ich tue. Also quasi, um den positiven blauen Engel des Umweltbundesamtes, der für ressourcenschonende Rechenzentren und auch Software verteilt wird, durch einen negativen Warnhinweis noch sichtbarer zu machen. Transparenz gilt aber nicht nur für mich, sondern auch für die großen: Unternehmen sollten dringend Standards für Nachhaltigkeit und Umweltverträglichkeit – analog zu Rechnungslegungsstandards – einführen. Da gibt es Berechnungstools wie den "Machine Learning Emissions Calculator ". Damit lassen sich die CO2-Fußabdrücke von Algorithmen zum Beispiel zumindest grob bestimmen. Besonders Nachhaltige könnten dann ja auch mit Prämien belohnt werden. Aber das ist sicher nur eine Idee. Grundsätzlich gilt: Bei jeder Anwendung zum Klimaschutz sollte hinterfragt werden, ob KI wirklich notwendig ist - oder auch nur eine Spielerei, um vom eigentlichen Problem abzulenken.