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Umwelt
Neue Pestizide können alte reaktivieren

Noch immer werden sehr unterschiedliche Pestizide in der Landwirtschaft eingesetzt. Allerdings ist wenig über ihre langfristige Verbreitung und die Wechselwirkungen in der Umwelt bekannt. Hier können See-Sedimente weiterhelfen. Sie verraten, dass verteilte Pestizide noch Jahrzehnte später die Umwelt schädigen können.

Von Dagmar Röhrlich |
    Ein Landwirt fährt mit einer Dünger- und Pestizidspritze am Traktor über ein Feld
    Viele Pestizide und ihre ebenfalls giftigen Abbauprodukte sind äußerst langlebig. (picture alliance / dpa / Patrick Pleul)
    Der Lac Saint André liegt in den französischen Alpen, zwischen Chambéry und Grenoble. Entstanden ist er 1248, als am Mont Granier ein Kalksteinkliff kollabierte. Seitdem bilden die Rutschmassen eine Barriere, hinter der sich ein idyllischer See formte. Weil dieser See heute zwischen intensiv bewirtschafteten Weinbergen liegt, haben Umweltwissenschaftler aus seinem Grund einen ein Meter langen Bohrkern gezogen:
    "Die Dynamik und die Verbreitung von Pestiziden in unserer Umwelt sind bislang kaum verstanden. Wir haben die See-Sedimente untersucht, um herauszufinden, wie sich im Einzugsgebiet dieses Sees die Herbizide, Fungizide und Insektizide wechselseitig beeinflussen und verteilen",
    erklärt Pierre Sabatier von der Universität von Savoyen in Le Bourget du Lac:
    "Nun konnten wir mithilfe der Sedimente in diesem Bohrkern die Geschichte des Pestizideinsatzes in den Weinbergen rekonstruieren."
    Die Analyse deckt etwas mehr als 100 Jahre ab. Der Bohrkern wurde mithilfe kurzlebiger Radionuklide datiert und dann geochemisch analysiert. Es stellte sich heraus, dass sich darin die Veränderungen in den Anbaumethoden widerspiegeln: Wann immer der Bewuchs zwischen den Rebstöcken gestört wird oder verschwindet, spült der Regen viel Boden in den See hinein - und damit auch die darin gespeicherten Substanzen:
    "In den Sedimentationsraten sehen wir zwei große Veränderungen: einmal in den 1970er- und einmal in den 1990er-Jahren. Die erste korreliert mit der Einführung schwerer Maschinen in den Weinanbau. Gleichzeitig wurde damals auch erstmals ein sehr wirksames Herbizid eingesetzt. Es wirken also zwei Faktoren. Der zweite Anstieg in den 1990er-Jahren beruht allein auf dem Pestizideinsatz."
    Über 40 Jahre altes DDT wurde wieder mobilisiert
    Die Analysen zeigen, dass neu eingeführte Pestizide Auswirkungen auf alle Mittel haben, die früher eingesetzt und im Boden gespeichert worden sind:
    "Wir sehen aufgrund der Einführung neuer Substanzen eine Abfolge bei älteren Pestiziden und ihren Abbauprodukten. So ist DDT vor 40 Jahren verboten worden. Die DDT-Gehalte in der Umwelt nahmen seitdem ab, aber es steckt immer noch in den Böden. Als die Winzer dann in den 1990er-Jahren die Pflanzendecke zwischen den Weinstöcken mithilfe neuer Herbizide zerstörten, stieg die Erosion an und das im Boden gespeicherte DDT wurde wieder mobilisiert. Es gelangte erneut in die Umwelt, und wir messen es jetzt in den Seesedimenten."
    In den wasserhaltigen Sedimenten diffundiert es dann auch nach unten, in Schichten hinein, die eigentlich älter sind als das Mittel selbst:
    "Der Einsatz eines neuen Herbizids hat also die Freisetzung eines alten, längst verbotenen Pestizids ausgelöst. Weil wir inzwischen so viele verschiedene Substanzen in der Landwirtschaft einsetzen, müssen wir solche Wechselwirkungen erkennen und in die Strategien für das Management ökologischer Risiken einarbeiten."
    Und zwar, bevor neue Mittel eingeführt werden. Denn viele Pestizide und ihre ebenfalls giftigen Abbauprodukte sind äußerst langlebig. Werden sie mobilisiert, können sie ins Grundwasser und in die Flüsse gelangen - und damit früher oder später ins Trinkwasser. Denn im Boden angereicherte Gifte können jederzeit zu Schadstoffquellen werden, wenn die Umweltbedingungen sich ändern, warnen Pierre Sabatier und seine Kollegen.