Christiane Kaess: Ich spreche jetzt mit Jochen Flasbarth. Er ist Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Guten Morgen.
Jochen Flasbarth: Schönen guten Morgen.
Kaess: Herr Flasbarth, wir haben es gehört: Die Umweltschützer sagen, die Reform ist eine Schande. – Was sagen Sie dazu?
Flasbarth: Ich glaube, das ist genauso falsch wie die Aussage, dass es ein großer Wurf ist. Ich halte das für einen Erfolg. Wir haben eine Reform hinbekommen, bei der wir mit Sicherheit steigende Preise sehen werden. Es ist richtig, dass diese Preise zwar Anreize setzen werden in Unternehmen, beispielsweise in Energieeffizienz-Maßnahmen zu investieren, Maßnahmen, die vielleicht bisher nicht wirtschaftlich waren, weil dazu die Emissionshandelspreise zu niedrig waren. Das wird sich ändern. Was man wohl mit dieser Reform nicht erreichen wird ist, dass es zu einem Umstieg von Kohle beispielsweise auf Gas kommt. Dazu werden die Preise wohl nicht ausreichen. Insofern hat die Expertin des WWF schon recht. Es bedarf zusätzlicher nationaler Politiken, Klimapolitiken. Einen Ausstieg aus der Kohlekraft beispielsweise wird man damit nicht erreichen.
"Schlechte Ergebnisse gerade im Verkehr"
Kaess: Das waren jetzt schon ziemlich viele Punkte. Lassen Sie uns mal auf ein paar Einzelheiten gucken. Nach der Nachricht gestern hat der Emissionshandel mit Preisen noch gar nicht reagiert. Was macht Sie dennoch optimistisch, dass da Bewegung in die Sache kommt?
Flasbarth: Das sind ja Märkte, die auch versetzt reagieren. Wir haben auch spekulative Elemente in diesen Märkten. Es stimmt übrigens nicht, dass der Emissionshandel bisher zu keinen Minderungen geführt hat. Die schlechten Ergebnisse im Klimaschutz haben wir ja gerade in den Sektoren wie beispielsweise im Verkehr, die nicht vom Emissionshandel erfasst sind, während wir beispielsweise in der Industrie durchaus auch in den letzten zehn Jahren Fortschritte gesehen haben.
Kaess: Das widerspricht sich jetzt mit der Aussage, die wir gerade vom WWF gehört haben. – Schauen wir noch mal auf diese Reform. Das ist ja ein sehr langer Zeitraum, die Zertifikate bis 2030 jährlich, um 2,2 Prozent zu senken. 1,74 Prozent wären es davor gewesen. Das hört sich von außen betrachtet sehr gemäßigt an und wir haben gerade die Kritik der Umweltschützer gehört, das geht eigentlich viel zu langsam, wir verlieren noch mal eine ganze Dekade.
Flasbarth: Ich hätte mir durchaus auch noch weitere Schritte vorstellen können auf europäischer Ebene.
"In Europas Energiepolitik sehr, sehr große Unterschiede"
Kaess: Warum hat es die nicht gegeben?
Flasbarth: Wir haben in Europa – das muss man sehen, das betrifft ja in ganz großen Teilen die Energiepolitik – sehr, sehr große Unterschiede. Wir haben die sehr kohleabhängigen Staaten im Osten wie Polen beispielsweise, Staaten, die die Kohle auch für die Zukunft noch als wichtig ansehen. Wir haben Staaten wie Deutschland, auch Schweden, Dänemark, die sehr stark auf erneuerbare Energien setzen. Und dann haben wir Staaten, die noch sehr viel mit Atomstrom operieren, und da einen Kompromiss hinzubekommen, das ist nicht ganz leicht. Ich glaube, dass das, was wir jetzt erreicht haben, durchaus ein Schritt in die richtige Richtung ist. Wir werden steigende Preise sehen, weil wir auch überschüssige Zertifikate jetzt vom Markt nehmen werden, und zwar früher und in größerem Umfang, als das bisher geplant war.
"Emissionshandel kann Klimaschutzpolitiken unterstützen"
Kaess: Aber wenn auch Sie, Herr Flasbarth, sagen, eigentlich reicht das nicht, welche konkreten Auswirkungen können Sie denn dann für den Klimaschutz überhaupt vorhersehen?
Flasbarth: Der Emissionshandel ist ja nicht das einzige Instrument für Klimapolitik. Wer das so sieht, der liegt völlig falsch. Der Emissionshandel kann nationale Klimaschutzpolitiken unterstützen. Das wird er mit Sicherheit jetzt tun. Aber damit können die nationalen Staaten die Hände nicht in den Schoß legen. In Deutschland ist das Hauptproblem der viel zu große Kohlepark, der rascher abgebaut werden muss als in der Vergangenheit. Dazu hat die Kraft in der Großen Koalition leider nicht ausgereicht und jetzt hoffe ich sehr, dass das neue Bündnis, das die Regierung übernehmen wird, diesen Kohleausstieg beherzter angeht.
"Ist nicht so, dass EU anderen Regionen hinterherhinkt"
Kaess: Sie sagen, der Emissionshandel ist nur ein Teil, der zum Klimaschutz beiträgt. Experten sagen ja schon, wenn die Erderwärmung auf unter zwei Grad tatsächlich begrenzt werden soll, dann muss die EU die Ziele höher schrauben. Wenn wir mal ganz ehrlich sind: Mit dieser Reform des Emissionshandels, auch wenn sie nur ein Teil ist, werden die Klimaziele der EU noch schwieriger zu erreichen?
Flasbarth: Nein. Ich glaube, dass wir die Klimaschutzziele erreichen können. Es gibt ja neben dem Emissionshandel auch die Zuteilung der Emissionsminderungspflichten für die Mitgliedsstaaten. Für Deutschland wird das bis 2030 noch einmal 38 Prozent Einsparung gegenüber 2005 sein. Das ist erheblich. Dazu braucht es engagierte nationale Klimaschutzpolitiken. Und was die EU angeht - natürlich kann man sich immer vorstellen, dass auch die eigene Region noch mehr macht. Aber das hoch bejubelte China und auch die USA unter Obama waren selbst zu dieser Zeit mit ihren Klimapolitiken deutlich schwächer als die EU. Wir können immer noch mehr tun. Wir müssen auch mehr tun. Das ist auch im Mechanismus des Paris-Abkommens angelegt, dass wir das über die Zeit verstärken. Aber es ist auch nicht so, dass die EU anderen Regionen der Welt hinterherhinkt.
Hauptsorge Verkehr und Kohle-Überkapazitäten
Kaess: Und wie passen diese deutschen Klimaziele zusammen mit der Tatsache, dass die Emissionen in Deutschland seit 2009 nicht gesunken sind?
Flasbarth: Das ist ja immer eine Frage des Bezugsjahres. 2009, das war das Jahr der Wirtschafts- und Finanzkrise. Zwischendurch haben wir durchaus sinkende Emissionen gesehen. Unsere Hauptsorgen sind einmal der Verkehrssektor, der bisher überhaupt noch nichts beigetragen hat. Da brauchen wir die schnelle Elektrifizierung. Und das zweite Thema sind die Überkapazitäten im Kohlemarkt; die müssen abgebaut werden.
"Die anderen 90 Prozent müssen Zertifikate zukaufen"
Kaess: Dann schauen wir zum Schluss noch auf die andere Seite, denn da ist die Industrie, da sind die Unternehmen. Das was jetzt auf die zukommt mit der Reform des Emissionshandels, ist das nicht zu viel verlangt?
Flasbarth: Nein, das ist überhaupt nicht zu viel verlangt. Wir haben Vorsorge getroffen, dass die zehn Prozent der besten Unternehmen in jeder Branche, beispielsweise die zehn Prozent der besten Stahlanlagen in Europa, so viele Zertifikate kostenlos bekommen wie sie benötigen. Denn das sind ja schon moderne Anlagen mit den geringsten Emissionen. Während die anderen 90 Prozent, die müssen in der Tat dann entweder Zertifikate zukaufen, oder in ihren Unternehmen neue Techniken einführen, Effizienzmaßnahmen durchführen, und das, finde ich, ist eine gute Regelung, mit der die Industrie auch vor unfairem Wettbewerb in der Welt geschützt wird.
"Innovations- und Investitionsschub" durch Emissionshandel
Kaess: Herr Flasbarth, das klingt irgendwie unglaubwürdig. Auf der einen Seite knallharte Einsparungen bei den Emissionen, auf der anderen Seite soll die Industrie nicht überfordert werden und kann auch noch im internationalen Wettbewerb mithalten. Wie kann das alles zusammen denn funktionieren?
Flasbarth: Ich habe ja gerade gesagt. 90 Prozent der Anlagen, die noch nicht die fortschrittlichsten sind, die werden investieren müssen oder Emissionszertifikate kaufen müssen. Ich bin sicher, dass wir dadurch einen Innovations- und Investitionsschub in Modernisierung von Anlagen in ganz Europa bekommen. Ich glaube, das passt sehr wohl zusammen. Und wir haben kein Interesse, auch als Umweltschützer kein Interesse daran, dass Anlagen geschlossen und in andere Regionen der Welt verlagert werden. Damit tut man dem Klimaschutz auch keinen Gefallen.
Modernisierungsfonds für Energieeffizienz-Maßnahmen
Kaess: Es soll ja einen Modernisierungsfonds geben und da sorgen sich jetzt Umweltschützer, dass da nur in Kohlekraftwerke in Osteuropa investiert wird. Kann das passieren und würde das letztendlich dann der Energiewende entgegenwirken?
Flasbarth: Nicht jede Sorge, die geäußert wird, ist berechtigt. Das haben wir ganz klar ausgeschlossen. Der Modernisierungsfonds ist für Energieeffizienz-Maßnahmen und er ist für Modernisierungsmaßnahmen im Bereich erneuerbare Energien. Fossile Energieträger können nur im Zusammenhang mit Fernwärme (und das auch nur in den allerärmsten Ländern der EU mit weniger als 30 Prozent des durchschnittlichen Bruttoinlandsprodukts) investiert werden.
Begrenzte Förderung für griechische Inseln "denkbar"
Kaess: Aber es bleibt eine Möglichkeit?
Flasbarth: Nein, es bleibt eine sehr begrenzte Möglichkeit für Fernwärme in den ärmsten Ländern der EU. Das ist beispielsweise nicht Polen, die sehr viel mehr Bruttoinlandsprodukt haben. Es sind Ausnahmesituationen wie beispielsweise auf griechischen Inseln, in denen ein ausreichendes Netz, losgelöst von alten Ölheizungen, noch nicht besteht. Hier ist beispielsweise denkbar, dass hier in begrenztem Umfang Gasanlagen gefördert werden, und das ist auch im Vergleich zu dem, was dort jetzt Standard ist, richtig.
Kaess: … sagt Jochen Flasbarth, Staatssekretär im Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit. Danke für das Interview.
Flasbarth: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.