Mit Beginn des Jahres 2021 wurde in Deutschland ein CO2-Preis auf Kohle, Benzin, Diesel, Heizöl und Gas eingeführt, um den Treibhausgas-Ausstoß zu reduzieren und die Klimaziele zu erreichen. Er liegt derzeit bei 25 Euro pro Tonne Kohlenstoffdioxid und soll bis zum Jahr 2025 schrittweise auf bis zu 55 Euro steigen. Bis Ende der 2020er-Jahre werde er sogar auf mehr als 100 Euro steigen müssen, davon gingen alle Experten aus, sagte der Präsident des Bundesumweltamtes, Dirk Messner, im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Ohne eine solche Anhebung wirke der Preis wie eine Subvention der fossilen Energieträger, die viele Umweltschäden anrichteten. Gegen diese verzerrte Preiskonstellation "anzufördern", koste die Bürger dann wirklich Geld, betonte Messner.
Als sozialen Ausgleich hält der Präsident des Umweltbundesamtes eine Art "Klimageld" für geeignet, bei dem die Haushalte über eine direkte Überweisung aufs eigene Konto einen Teil der CO2-Einnahmen des Staates rückerstattet bekämen. Das sei möglicherweise sichtbarer als eine allgemeine Absenkung der Strompreise, die aber auch ein Weg sein könnte, so Messner.
Dirk Messner ist Politikwissenschaftler und war Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Vizepräsident der Universität der Vereinten Nationen in Bonn und 15 Jahre lang Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen. Seit 2020 ist der Präsident des Bundesumweltamts.
Bedeutung der Artenvielfalt für den Klimaschutz
Messner bemängelte in Verbindung mit der im Oktober anstehenden Vertragsstaatenkonferenz der UN-Biodiversitätskonvention, dass der Schutz der Artenvielfalt zu wenig Aufmerksamkeit erhalte. Dabei sei die Biodiversität ein wichtiger Teil der Problemlösung bei der Klimaerwärmung. Denn Meere, Wälder, Boden speichern als Senken CO2. Allerdings würde diese Senkenfähigkeit geschwächt, wenn zum Beispiel Wälder gerodet oder Moore für landwirtschaftliche Flächen trockengelegt würden.
"Wir brennen die Kerze von beiden Seiten ab", warnte der UBA-Präsident. Außerdem brauche es ab 2030 zum Erreichen des 1,5- bzw. 2-Grad-Ziels zunehmend "negative Emissionen". Das bedeute, dass die vorhandenen Ökosysteme nicht nur stabilisiert, sondern künftig zusätzliche Senken aufgebaut werden müssten.
Das Interview im Wortlaut:
Jule Reimer: Wie wirkte das auf Sie, als vor ein paar Tagen Bundesfinanzminister Olaf Scholz, auch SPD-Kanzlerkandidat, Annalena Baerbock - Kanzlerkandidatin der Grünen- soziale Gleichgültigkeit unterstellte wegen der Idee eines leicht vorgezogenen höheren Benzinpreises?
Dirk Messner: Das ist jetzt Wahlkampf-Rhetorik und Wahlkampf-Dynamik. Wichtiger finde ich im Grunde genommen, dass wir nach dem Verfassungsgerichtsurteil, insbesondere zum Klimaschutz, dann gesehen haben, dass alle Parteien im Prinzip sich jetzt darauf geeinigt haben, dass wir Klimaschutz betreiben wollen – auf ziemlich hohem Ambitionsniveau. Wir haben ja jetzt von der Bundesregierung eine Reduzierung der Treibhausgase bis 2030 um 65 Prozent gegenüber 1990 vorgelegt bekommen. Das haben alle anderen Parteien auch unterstrichen. Die Grünen wollen sogar noch ein bisschen weiter gehen. Also, für mich ist dieser Basis-Konsens der richtige Ausgangspunkt und der wichtige Ausgangspunkt.
Reimer: Welchen Umgang empfehlen Sie grundsätzlich mit den Themen Klima und Biodiversität im Wahlkampf?
Messner: Ja, das sollte eines der entscheidenden Felder der Wahlkampfdebatte sein. Und für mich ist es wichtig, dass man diese Thematik in zwei Richtungen auffächert sozusagen. Das eine ist: nicht über Biodiversität und Klimaschutz nur als Umweltpolitik sprechen, sondern als Wirtschaftspolitik und wie wollen wir unser Land modernisieren in wirtschaftlicher Hinsicht. Das ist die eine Debatte. Und die zweite Debatte, die wichtig ist, die ist angesprochen in diesem Konflikt zwischen Baerbock und Olaf Scholz – die soziale Frage. Also, wir müssen die Umwelt- und Klimapolitik dringend verbinden damit, wie wir in Zukunft Verteilungs- und Gerechtigkeitsfragen lösen wollen und das verbinden mit gutem Klimaschutz.
"Der CO2-Preis wird steigen müssen"
Reimer: Müsste man ehrlicherweise nicht sagen, dass der CO2-Preis, gemessen an den Schäden, die uns erwarten, viel höher sein müsste, und zwar jetzt und heute?
Messner: Ja, der CO2-Preis, der wird steigen müssen. Bis Ende der 2020er - bis 2029 oder 2030 - da sind sich alle Experten einig, werden wir bei einem CO2-Preis, wenn wir ehrlich sind, im 100-Euro-plus-X-Bereich landen. Wir sind ja im Augenblick bei 25 Euro. Damit wir wirklich eine Lenkungswirkung über die Zeit bekommen. Und dann reicht natürlich der CO2-Preis nicht aus. Wir brauchen noch andere Maßnahmen. Infrastrukturmaßnahmen zum Beispiel. Es hat ja keinen Sinn – da hat ja Olaf Scholz recht, aber das sieht auch Annalena Baerbock genauso, würde ich vermuten oder ich weiß es aus den Gesprächen, die ich mit ihr und anderen da habe – es hat ja keinen Sinn, dass man nur das Benzin verteuert. Wir brauchen dann auch eine Infrastruktur für die Elektromobilität. Da muss eben investiert werden. Also: Es gibt nicht nur ein Instrument, den CO2-Preis, sondern viele Instrumente. Aber ohne den CO2-Preis wird alles sehr teuer. Das ist vielleicht ein Missverständnis, das wir hier aufklären können. Denn wenn man den CO2-Preis nicht anhebt, dann wirkt das ja wie eine Subventionierung für fossile Energieträger, die viele Schäden anrichten. Und gegen diese verzerrten Preiskonstellationen anzufördern sozusagen, das kostet die Bürger wirklich Geld.
"Klimageld und Strompreis-Absenkung gleich wirksam"
Reimer: Wie könnte man es sozial ausgleichen? Die Debatte ist ja auf der einen Seite eine Form von direkter Kompensation. Also, ich gucke mir den Haushalt an, zwei Eltern, zwei Kinder und es gibt dann pro Kopf eine bestimmte Summe zurück. Die andere Variante, die auch verwaltungstechnisch unaufwändiger wäre, ist das Absenken der EEG-Umlage beim Strompreis. Das spüren natürlich auch wahrscheinlich stärker die kleineren Haushalte, die ja dann in der Tat nicht so viele Elektrotechnik in ihrem Haushalt haben. Welcher Ansatz ist der bessere?
Messner: Ich glaube nicht, dass es da den besten Ansatz gibt, sondern man muss überlegen, was man damit erreichen will. Ich glaube, der wichtige Punkt ist, dass die Entscheidungsträger - die nächste Bundesregierung - klarmachen: Hier haben wir einen Preispfad. Das kostet uns in Bezug auf die CO2-Preise - die man dann beim Benzin ja spüren wird oder bei der Wärme-Finanzierung - das kostet uns soundso viel Milliarden Euro auf die Bundesrepublik insgesamt betrachtet. Und wir geben Euch – ich sage jetzt mal irgendwas – 50 oder 60 oder 70 Prozent davon zurück. Die anderen 20, 30 oder 40 Prozent investieren wir in den Umbau der Wirtschaft. Das ist ja auch eine Notwendigkeit. So dass die Menschen wissen: Ein größerer Teil dessen, was wir da draufzahlen müssen in der ersten Runde, wird an uns zurückfließen. Und dann gibt es unterschiedliche Erwägungen, wie man das am besten macht. Also, ich habe so eine gewisse Sympathie dafür, dass man ein Instrument schafft - das Energiegeld oder das Klimageld ist so ein Vorschlag -, wo man sagt, hier wird ganz sichtbar, das bekommt man zurücküberwiesen vom Staat. Da kann ich auf dem Konto dann sehen, was da passiert ist. Genauso wirksam, also rein finanztechnisch betrachtet, wäre es auch, den Strompreis abzusenken. Auch da bekommen die Menschen was zurück. Ob man das so schnell sieht, weiß ich nicht. Also, vielleicht wäre es aus der Betrachtung, das ganz klar und sichtbar machen, dass da was zurückfließt, gut, wenn es eine richtige Rücküberweisung als so einem einzelnen Posten an die Bürgerinnen und Bürger gäbe.
"Pendlerpauschale nicht weiter erhöhen"
Reimer: Wäre es für den Verkehrsbereich sinnvoll, noch weiter an der Pendlerpauschale zu drehen?
Messner: Also ich würde das, was wir über die Pendlerpauschale da auszahlen, nicht weiterentwickeln und nicht weiter erhöhen. Weil: Das hat ja zugleich auch den Effekt, dass man die Menschen dabei unterstützt, dass sie immer weiter aus den Städten rausziehen und dann als Pendlerinnen und Pendler zu ihren Arbeitsplätzen fahren. Das wollen wir eigentlich nicht. Wir wollen ja die Wege verkürzen und wir wollen die Wege minimieren. Also, die Pendlerpauschale ist da nicht mein Lieblingsinstrument. Das würde ich lieber über den CO2-Preis und eine entsprechende Rückzahlung erledigen.
Reimer: Auf das Bauen, auf das Zersiedeln kommen wir auf jeden Fall auch noch. Meine Nachfrage zum CO2-Preis wäre auch noch: Müsste der zum Beispiel europaweit einheitlich sein oder lieber ausdifferenziert? Oder fangen wir mal in Deutschland an: Verkehr wird im Augenblick anders behandelt als der Emissionshandel im Bereich der Energieversorger.
Messner: Wir haben ja zunächst mal zwei Systeme. Wir haben das europäische Emissionshandelssystem. Darüber wird die Energiebranche abgedeckt und ein beachtlicher Teil der Industrie. Das ist europäisch organisiert, gleiche Mechanismen, gleiche Regeln in ganz Europa. Und dann haben wir auf der anderen Seite jetzt in Deutschland über das Klimaschutzgesetz ja die Bereiche, die nicht erfasst werden von dem europäischen System in Angriff genommen, weil wir sehen: Wir machen da keine Fortschritte beim Klimaschutz und bei der Dekarbonisierung. Das ist der Verkehr und das ist die Wärme insbesondere, die Gebäude also. Und dafür ist jetzt ein eigenes Instrumentarium aufgebaut worden. Auf der europäischen Ebene wird ja im Augenblick überlegt – da wissen wir noch nicht, was rauskommt – wie man das neue Klimaziel der Europäischen Union, jetzt 55 Prozent Reduzierung bis 2030 zu schaffen, wie man das in Instrumente umsetzt. Man könnte das machen, wie wir das in Deutschland machen. Also, man könnte neben dem europäischen Zertifikate-Handel für Energie und Industrie etwas für Gebäude und Verkehr aufbauen. Man könnte das theoretisch aber auch integrieren. Es gibt Vor- und Nachteile für beide Lösungen.
Transatlantische Kooperation im Klimaschutz
Reimer: Die Klimapolitik ist auch ein Thema für die G7. Die britische Regierung hat da recht ehrgeizige Ziele, aber es kommt sehr stark zum Beispiel auf die USA als großen Player an. Haben Sie den Eindruck, wir haben jetzt die wirkliche Klimawende geschafft?
Messner: Geschafft haben wir es noch nicht, denn wir müssen ja noch sehr viel umsetzen. Vielleicht kommen wir noch drauf zu sprechen. Diese Ziele, die jetzt definiert sind, tatsächlich zu erreichen, das ist eine große Anstrengung. Da sollte man sich selber nichts vormachen, der Bevölkerung auch nicht. Aber ich kann Ihnen nur sagen, weil Sie jetzt G7 ansprechen und auch den amerikanischen Präsidenten, die amerikanische Regierung: Ich war im November, als die Wahlen in den USA beendet waren und dann klar wurde, wie sie ausgegangen sind, unglaublich froh. Denn wir haben in Europa das große Problem gehabt auch gegenüber der Wirtschaft natürlich, die gesagt hat: Wir können doch nicht in Europa ganz alleine einen solchen Umbau bewerkstelligen und anschließend unsere Wettbewerbsfähigkeit, unsere Wirtschaft und die Beschäftigung ruinieren. Und jetzt haben wir ein anderes Spiel, weil die amerikanische Regierung und auch der amerikanische Präsident selber und Kerry, der sozusagen das Gesicht der amerikanischen Umweltpolitik nach außen ist, sehr ehrgeizige Ziele haben. Und insofern gibt es jetzt plötzlich wieder eine transatlantische Kooperation im Klimaschutzbereich. Das ist sehr wichtig. Ich habe viel mit chinesischen Akteuren zu tun. Ich kann Ihnen nur sagen: Nachdem wir diese transatlantische De-facto-Konstellation haben, bewegt sich die chinesische Regierung auch wieder, die sich während der Trump-Phase zurücklehnen konnte. Die haben ja angekündigt, sie wollen bis 2060 klimaneutral sein. Die OECD-Länder haben gesagt: 2050 allerspätestens. 2060 wird zu spät sein. Das reicht nicht aus für unsere Klimaziele. Aber das erste Mal hat die chinesische Regierung von null Emissionen gesprochen. Das ist schon sehr interessant.
Idee der Grenzausgleichsabgaben
Reimer: John Kerry ist der Sonderbeauftragte der US-Regierung für Klimaschutz. Sie haben die chinesische Regierung sehr lange beraten. Die Europäische Union überlegt, eine Grenzausgleichsabgabe auf CO2 einzuführen. Der Weg dahin, wie könnte der aussehen?
Messner: Ja, die Grenzausgleichsabgaben das ist eine wirklich schwierige Diskussion, nicht nur gegenüber den Chinesen, auch gegenüber den Amerikanern und gegenüber allen Entwicklungs- und Schwellenländern. Und die Idee dahinter ist ja wichtig, richtig und auch plausibel. Das Argument ist ja: Wenn man den Klimaschutz ambitioniert betreibt, dann kostet das in der ersten Phase in vielen Sektoren Geld. Die Produktion wird teurer. Die Produkte werden höchstwahrscheinlich auch teurer. Wir haben also Wettbewerbsnachteile. Und die müssen wir ausgleichen. Also, die Idee, die hinter den Grenzausgleichsabgaben steckt, die teile ich komplett. Und jetzt müsste unser Ziel sein, weil Sie sagen, wie wollen wir denn da vorgehen, unser Ziel müsste sein, dass wir sie vermeiden. Also, wir legen jetzt erst mal sozusagen die Folterinstrumente auf den Tisch. Das hat die Europäische Kommission gemacht. Mit dem Argument: Wenn wir in Europa ganz alleine jetzt sehr dynamisch vorangehen beim Klimaschutz, dann kostet uns das was und dann werden wir mit entsprechenden Ausgleichsmaßnahmen - sind ja so eine Art Importzölle, über die man da nachdenkt - reagieren. Und die Anstrengung muss darauf hinauslaufen, dass wir uns mit den Amerikanern einig werden, dass wir jetzt im Klimaschutz beide mit großer Geschwindigkeit vorangehen wollen. Da brauchen wir keine Grenzausgleichsabgaben. Dafür muss man klären, wie man unterschiedliche Klimaschutzmaßnahmen vergleicht. Denn wir machen das stark über den Emissionshandel. Die Amerikaner machen das stärker über Sektor-Politiken. Da muss man Vergleichbarkeit herstellen. Mit den Chinesen werden wir auch darüber reden müssen, wie man ihren Klimaschutz bewertet. Und die chinesische Regierung hat ja jetzt die Vorbereitung begonnen, neue Klimaziele für Glasgow auf den Tisch zu legen. Also, das Ziel müsste im Grunde sein: Wir bewegen uns jetzt mit hoher Geschwindigkeit - alle großen Akteure - in die gleiche Richtung. Die Folterinstrumente könnten dann auf dem Tisch liegenbleiben.
"Über Biodiversität reden wir viel zu wenig"
Reimer: Wir haben noch eine weitere UN-Konferenz in diesem Jahr vor uns, nämlich im chinesischen Kunming, die UN-Biodiversitätskonferenz – oder 2008 lief sie in Bonn unter dem Titel "UN-Naturschutzkonferenz". Das war so ein bisschen missverständlich. Es geht um den Schutz der Artenvielfalt weltweit und überall. Haben Sie den Eindruck, dass sich da auch was Positives tut? John Kerry hat bei seinen Auftritten in den letzten Tagen hier in der Bundesrepublik per Videobotschaft beim Nachhaltigkeitsrat der Bundesregierung, bei der Woche der Umwelt des Bundespräsidenten viel über Klima geredet und überhaupt nicht über Biodiversität.
Messner: Wir haben da eine Schlagseite. Und über die müssen wir dringend reden. Deswegen ist die Frage sehr wichtig, die Sie jetzt gerade gestellt haben. Wir reden viel über den Klimaschutz. Wir kommen auch voran in den Instrumenten und in der Wahrnehmung der Bevölkerung, aber auch der Wirtschaft, dass wir da jetzt dringend was tun müssen, beschleunigt vorgehen müssen. Über Biodiversität reden wir viel zu wenig. Und das ist auch aus der Klimaschutzperspektive selber sehr nachteilig, denn ein Teil der Problemlösung liegt im Schutz der Biodiversität. Ich will Ihnen zwei Beispiele geben. Etwa die Hälfte der Treibhausgasemissionen landet ja in den Ökosystemen selber. Die nehmen das auf in die Meere oder auch in den Boden. Oder die Wälder nehmen Treibhausgasemissionen auf. Und das große Problem in dem Feld besteht zunächst mal darin, die Senkenfähigkeit der Ökosysteme – das nennt man Senken, wenn da diese Treibhausgase gebunden werden – die schwächen wir dadurch, dass wir zum Beispiel die Wälder abholzen oder die Moore trockenlegen und dann landwirtschaftliche Flächen draus machen. Also, wir brennen die Kerze von beiden Seiten ab. Der zweite Punkt wird noch weniger diskutiert, Frau Reimer. Alle Szenarien, die wir haben, die uns Richtung 1,5 Grad bis 2 Grad globale Erwärmung führen und dann uns da begrenzen und damit die Klimaziele einhalten, zeigen uns: Wir brauchen negative Emissionen ab 2030, 2035, 2040! Zum beachtlichen Teil werden wir diese negativen Emissionen nur dadurch bekommen, dass wir die Ökosysteme, die wir jetzt haben, nicht nur stabilisieren sondern sie weiter ausbauen. Da geht es zum Beispiel um die globalen Wälder. Also, wir brauchen für die Erreichung des Klimaziels die Biodiversität, in diesen beiden Dimensionen auf eine ganz fundamentale Art und Weise.
"Klimaschutz und Ressourcenschutz verbinden"
Reimer: Zum Klimaschutz beziehungsweise mit den ganzen Maßnahmen gegen den Klimaschutz geht auch eine Transformation des gesamten Energiesystems mit einher, der sehr viele Ressourcen beansprucht, die ja zum Teil noch unter der Erde liegen. Also, wir wissen: Kupfer, Lithium etc. Baut sich da eine weitere Naturzerstörung auf? Wo wir jetzt auch gerade über Biodiversität, über den Schutz der Artenvielfalt geredet haben.
Messner: Ja, das ist ein sehr wichtiger Punkt. Wir haben am Umweltbundesamt 2019 eine große Studie veröffentlicht. Da haben wir für die Bundesregierung erarbeitet, wie Klimaverträglichkeit in Deutschland hergestellt werden kann, was wir da alles berücksichtigen müssen. Und dabei ist herausgekommen, wenn wir Klimaschutz so weiterentwickeln, wie wir das in der Vergangenheit gemacht haben und diese Ressourcenfrage - die am Ende des Tages auch eine Ökosystemfrage ist, denn wir überlasten die Ökosysteme- wenn wir die Ressourcenströme nicht mitbetrachten, dann kriegen wir Dekarbonisierung möglicherweise hin, aber uns gehen an einigen Ecken und Enden die Ressourcenverbräuche durch die Decke. Sie haben eben schon ein paar Bereiche genannt. Kupfer wird in vielen Prozessen und dann Produkten benutzt, die wir brauchen für die Energiewende. Denken Sie an die Batterie im Elektroauto. Also, wir müssen – das ist die Kernmessage dann hier: Wir müssen Klimaschutz und zirkuläres Wirtschaften, Klimaschutz und Ressourcenschutz unmittelbar miteinander verbinden. Und das sind auch noch zwei unterschiedliche Diskussionsstränge. Wir reden beim Klimaschutz zu wenig über, nennen wir das mal Probleme zweiter Ordnung. Wir haben am UBA eine ganze Reihe von Projekten jetzt. Da kümmern wir uns um die Batterien der Autos. Also, was machen wir damit? Wir können wir die energieeffizienter machen? Aber wie können wir die auch ressourceneffizienter machen? Wir schauen uns an, wie die Windräder gebaut werden. Was für Materialien nutzen wir da? Wie können wir diese Windräder oder die Materialien der Windräder, wie können wir die weiterverwenden, sodass da eine neue Generation von Windrädern möglichst draus wird? Umweltschutz, Klimaschutz und Ressourcenschutz zusammenbringen – ist die wichtige Message.
"Mischung aus Anreizen und Ordnungsrecht"
Reimer: Ist das etwas, was man vor allen Dingen über Innovation und möglichst wenig Gängelung der Wirtschaft löst? Oder braucht es da auch Gebote, Gesetze, Abgaben?
Messner: Wie fast immer, in allen möglichen Feldern, brauchen wir eine Mischung aus Anreizen über monetäre Stimuli einerseits, aber auch Veränderung von Sichtweisen, manchmal Ordnungsrecht. Ich will mal mit der Veränderung der Sichtweisen anfangen. Wichtig ist es, dass wir in Bezug auf alle Ressourcen schauen, dass wir Ressourcen grundsätzlich versuchen im Kreislauf zu halten. Darüber reden wir seit 30 Jahren – Kreislaufwirtschaft. Aber in Wirklichkeit haben wir nur bei der Abfallwirtschaft Fortschritte gemacht. Also, wir haben im Grunde das Pferd von hinten aufgezäumt. Wir sammeln die Abfälle ein und versuchen die zu recyceln. Wir sollten in Wirklichkeit am Anfang beginnen und gucken, dass wir so wenig Ressourcen wie überhaupt möglich in den Kreislauf bringen. Da ist eine Perspektivveränderung ganz dringend notwendig. Das kann man dadurch machen, dass man die Ressourcen besteuert. Denn wenn Ressourcen einen Preis bekommen, dann ist das Signal für die Unternehmen: Damit sollte ich möglichst umsichtig umgehen und so effizient wie möglich damit haushalten und wirtschaften. Und in diese Richtung hat das Umweltbundesamt auch Angebote gemacht oder Lösungen entwickelt. Also, die Bepreisung von Ressourcen und dafür auf der anderen Seite die Bepreisung von Arbeit runterfahren, das wäre ein Instrumentarium, das uns angemessen erschiene.
"Bauen möglichst im Bestand"
Reimer: Wie gehen wir dann mit dem Bereich um, der sich wirklich zu einem Krisenfall entwickelt, nämlich preiswerter Wohnraum. Da lautet die Empfehlung: bauen, bauen, bauen.
Messner: Ja, das stimmt. Also, wir brauchen zusätzlichen Wohnraum. Das ist ganz klar. Die Mieten schießen durch die Decke. Das hat was mit Knappheiten zu tun. Also, es muss auch in Deutschland zugebaut werden. Wir schlagen vor, dass wir versuchen das möglichst im Bestand und in den existierenden Infrastrukturen zu machen. Verdichtung ist da ein wichtiges Stichwort. Und wir argumentieren aber auch dafür, dass wir zugleich bei dem Bau der neuen Gebäude natürlich auf Umwelt- und Klimaschutz achten müssen. Und zwar nicht, weil das eine Petitesse wäre, sondern weil das sogar im Zentrum der ganzen Diskussion steht. 40 Prozent der Treibhausgasemissionen in Deutschland und weltweit haben mit den Gebäuden selber zu tun. Und hierbei ist ein ganz wichtiger Punkt: Wir haben in den letzten Jahren einige Fortschritte gemacht in Bezug auf die Lebensphase des Gebäudes. Also, wir sind energieeffizienter geworden beim Heizen und Kühlen unserer Gebäude. Da kennen Sie alle die Effizienzstandards der KfW usw. Was wir vergessen haben, ist, dass um die 60 Prozent der Treibhausgaseffekte, die wir aus den Gebäuden haben, entstehen, wenn man das Haus baut durch die Baustoffe. Das ist ja Stahl, Zement, Aluminium. Das ist alles sehr energieintensiv. Das sind alleine um die 50 Prozent. Und 10 Prozent dann beim Abriss der Gebäude, dadurch, dass wir da Materialien nicht wiedernutzen und die nicht in den Kreislauf schicken. Und diese beiden Enden, den Beginn, die Bauphase selber und dann den Abbau der Gebäude, die müssen wir stärker in den Blick nehmen, wenn wir jetzt die nächste Generation von Neubauten in Deutschland in Angriff nehmen.
Bauen mit Holz
Reimer: Wenn Sie die Städte verdichten, dann heißt das aber trotzdem auch mehr Beton in die Städte. Wie wollen Sie dann dem Effekt des zusätzlichen Aufheizens durch die Klimaerwärmung entgegenwirken?
Messner: Wenn wir die Städte verdichten für Klimaschutz, dann müssen wir zugleich mehr Grün in die Städte bringen und mehr Wasser in die Städte bringen. Das kühlt die Städte. Und dann wollen wir nicht mehr Zement und Beton haben, sondern wir wollen anfangen daran zu arbeiten, mehr organische Rohstoffe zu nutzen und die beim Bauen ins Spiel zu bringen. Holz ist hier ein wichtiges Beispiel.
Reimer: Holzpreise gehen jetzt gerade durch die Decke.
Messner: Das ist so. Und wir müssen die Holzwirtschaft weiterentwickeln natürlich. Aber das scheinen mir jetzt erst mal konjunkturelle Effekte zu sein. Das ist kein Mega-Trend, mit dem wir es da zu tun haben. So, wie bei den fossilen Antrieben im Automobilverkehr müssen wir bei den fossil-basierten Baustoffen dazu übergehen, soweit wie eben möglich auf organische Baustoffe zu setzen. Das haben wir in Deutschland und Europa lange Zeit komplett vernachlässigt. Das galt ja auch als altmodisch. Aber wir müssen das natürlich verbinden – das ist völlig klar – mit einer nachhaltigen Forstwirtschaft.
"Überdüngungsphänomen in der Landwirtschaft"
Reimer: Bleiben wir mal bei der Natur oder, ja, nicht ganz bei der Natur, sondern auch beim Verkehr. Das Umweltbundesamt hat den Vorschlag gemacht, eine nationale Obergrenze für den Stickstoffausstoß einzuführen. Ab 2030 sollen maximal eine Million Tonnen Stickstoff pro Jahr in die Umwelt gelangen. Um welche Stoffe geht es da, wo entstehen die und wo muss gespart werden?
Messner: Wir geben im Augenblick 1,5 Millionen Tonne in die Umwelt ab. Also, wir brauchen eine beachtliche Reduzierung. Bis 2030 schlagen wir vor, auf eine Million runterzukommen. Wir haben unterschiedliche Verursachungsstränge. Der wichtigste Verursachungsstrang ist die Landwirtschaft. Also, mehr als 50 Prozent der Stickoxide kommen über die Landwirtschaft in den Boden und dann in die anderen Ökosysteme. Im Grunde ist das ein Überdüngungsphänomen.
Reimer: Zu viel Gülle?
Messner: Zu viel Gülle und zu viel Dünger, um die Stickstoffhaltigkeit des Bodens zu erhöhen. Der kurzfristige Effekt ist Düngung und Pflanzenwachstum. Und der langfristige Effekt ist: Wir haben es mit Nitrat dann im Boden zu tun. Und Nitrat kommt aus dem Boden ins Trinkwasser. Das ist gesundheitsschädlich. Nitrat und Stickoxide im Boden unterminieren auch die Biodiversität. Wir haben eben über Biodiversität schon gesprochen. Also, Artenvielfalt wird geschwächt durch diese Phänomene. Es landet auch in der Luft über Ammoniak. Denn aus Stickoxiden werden dann, wenn sie mit der Luft interagieren, Ammoniak-Substanzen. Das sind ganz feine Staubpartikel. Die bleiben in unserer Lunge hängen. Das tut uns gesundheitlich nicht gut. Und - als wenn das nicht genug wäre: In diesem Prozess entsteht auch noch Lachgas. Und Lachgas ist treibhausgas-schädlich.
Reimer: Der Bauernverband wird Ihnen entgegenhalten, dass wir bereits zweimal eine Verschärfung der Düngeverordnung haben, hatten, und dass es nicht geht, dass die Landwirte auf Erträge verzichten, dass Pflanzen nicht ausreichend Nährstoffe erhalten.
Messner: Ich meine, alle Studien zeigen – nicht nur die des UBA, auch die des Thünen-Institutes, das ja für das Landwirtschaftsministerium wissenschaftliche Politikberatung macht, aber auch internationale Studien - Sie erinnern sich wahrscheinlich an die IPBES-Studie, die Studie, die global ein Assessment gemacht hat-, wie es um die Biodiversität gestellt ist und was die Treiber für die Zerstörung von Biodiversität sind. Und da ging es auch um Stickstoffeinträge, um Nitrat und Zerstörung von Biodiversität über diese Pfade. Das ist nicht aus der Welt zu reden. So ist das. Und wie Sie wissen, haben wir in Deutschland lange die Nitratbelastungen des Bodens und des Wassers nicht eingehalten, die von der Europäischen Union uns vorgegeben sind. Das ist ja nicht ein Diktat der Europäischen Union, sondern eine gemeinsame Übereinkunft der Europäischen Mitgliedsstaaten, also auch von Deutschland. Wir haben uns an die eigenen Regeln nicht gehalten – über zehn Jahre nicht. Wir sind dann verklagt worden von der Europäischen Kommission. Und es ist festgestellt worden, wir müssen ja handeln. Und das hat jetzt stattgefunden. Es hat jetzt eine entsprechende Düngeverordnung gegeben, die Stickstoffeinträge massiv reduzieren soll. Und das müssen wir in der Landwirtschaft schaffen.
"Umweltbundesamt ist de facto ein Forschungsinstitut"
Reimer: Sie haben als Direktor des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, als Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen immer frei geforscht und Politik beraten, Regierungen beraten und konnten da auch immer Ihre Meinung sagen. Jetzt sind Sie Teil der Ministerialbürokratie. Sie leiten eine dem Bundesumweltministerium unterstellte Behörde. Fehlt Ihnen manchmal die freie Rede?
Messner: Nein, eigentlich nicht. Also, ich vermute mal, dass man mich deswegen gefragt hat, ob ich das machen möchte, weil ich starke Meinungen zu Nachhaltigkeitsfragen habe, mit guten Argumenten und guter Forschung unterlegt. Also, das heißt, ich habe ein Backing von denjenigen, die am Ende des Tages verantwortlich sind auch für das Umweltbundesamt. Und dann ist das Bundesumweltamt eine sehr spezifische Behörde. Ich muss Ihnen sagen, ich fremdele mit dem Begriff der Behörde. Aus meiner Perspektive ist das oder de facto ist das eine Ressort-Forschungsinstitution, eine Forschungseinrichtung, finanziert vom Bund, die auf der Grundlage wissenschaftlicher und unabhängiger Forschung – das steht auch in unserem Gründungserlass drin – die Bundesregierung dann berät. Und neben Forschung und Politikberatung und dann der Wissenschaftskommunikation in die Gesellschaft, haben wir einen vierten Arbeitsbereich. Da geht es um Umweltvollzüge. Wir setzen Umweltrecht und Umweltpolitik um, und zwar in den Bereichen, wo man wissenschaftlichen Sachverstand braucht, damit man das tatsächlich gut exekutieren kann. Insofern fehlt mir da meine Freiheit nicht. Ich habe weiterhin eine klare Perspektive. Und das Umweltbundesamt im Vergleich zu anderen Umweltämtern mancher anderer europäischer Länder hat einen deutlich höheren Grad an Unabhängigkeit. Denn wir sollen und sind dazu aufgefordert vom Gesetzgeber, wir sollen unabhängig forschen, damit wir die Bundesregierung möglichst leistungsstark unterstützen können mit guten Lösungen für Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Umweltschutz.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Das Interview wurde vor der Sendung am 13. Juni 2021 und vor dem G7-Gipfel in Großbritannien (11. bis 13. Juni 2021) geführt.