Ralf Krauter Rund 10 Prozent des globalen Strombedarfs gehen bereits heute aufs Konto von Klimaanlagen. Tendenz stark steigend. Auch in Deutschland denken nach den jüngsten Hitzerekorden viele Eigenheimbesitzer, Betriebe und öffentliche Einrichtungen darüber nach, Klimatechnik nachzurüsten. Dr. Peter Schossig vom Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme in Freiburg, weiß, wie das nachhaltig funktionieren kann - also ohne den Planeten weiter aufzuheizen. Ich habe ihn vorhin gefragt: Wie groß ist der Strombedarf von Klimaanlagen in Deutschland aktuell - und wie wird er sich künftig entwickeln?
Peter Schossig: Also ich glaube, dass es im letzten Jahr so ungefähr 16 Prozent waren unseres Gesamtstrombedarfs, der für Kälteerzeugung verwendet werden musste. Und mit der Tendenz stark wachsend. Also es ist in der Tat so, dass der Strombedarf für Kälteerzeugung - das beinhaltet Klimakälte, aber auch Prozesskälte - ständig wächst.
Ralf Krauter: Da stellt sich natürlich die Frage: Gibt es technische Optionen, diesen Bedarf irgendwie nachhaltig zu decken?
Schossig: Dass der Strombedarf für Kälteerzeugung so stark wächst, hat zum einen architektonische Gründe, aber auch Komfortanforderungen. Und man kann schon sehr viel konzeptionell machen, durch geschickte Bauweise, Verschattung und Ähnliches, um überhaupt den Kältebedarf zu minimieren und erst den Rest dann möglichst energieeffizient zu decken.
Krauter: Auf der Seite des Umweltbundesamtes ist zu lesen, dass die kostengünstigste und nachhaltigste Option, für Kälte zu sorgen, bei vielen deutschen Wohngebäuden einfach Rollläden wären, die man runterlassen kann.
"Rollläden runter, abschotten"
Schossig: Exakt, das meinte ich. Also es geht zuerst darum, dass man den Bedarf minimiert. Und da zählt vor allem Verschattung dazu, wie Sie sagen: Nächtens lüften, die Rollläden runter machen, abschotten - damit kann man schon mal wahnsinnig viel erreichen ohne eine aktive Kälteerzeugung. Und gerade in vielen Altbauten, wo es keine Klimaanlage gibt, ist es auch der einzige Weg und sicher auch ein sehr, sehr sinnvoller.
Krauter: Welche anderen Optionen gibt es, bereits bestehende Gebäude nachzurüsten, mit Klimatechnik, die idealerweise eben aber die Atmosphäre nicht weiter aufheizt?
Schossig: Es gibt natürlich jede Menge Klimaanlagen zum Nachrüsten, von Einzelraumlösungen bis zu zentralen Lösungen. Das muss man sich im Einzelfall anschauen. Und dann ist es natürlich naheliegend, möglichst viel dieses Strombedarfs durch eigene Erzeugung zu decken, in aller Regel dann Fotovoltaik. In Teilen kann es auch über thermische Kälteerzeugung funktionieren, sprich, wenn ich Überschusswärme im Sommer habe oder Abwärme aus irgendwelchen Prozessen, kann ich auch über thermische Kälteerzeugung dann diese Ab- oder Überschusswärme nutzen, um Kälte zu erzeugen.
Krauter: Diese solarthermische Kälteerzeugung war vor zehn Jahren mal ein großes Thema. Es gab auch viele Forschungsprojekte und Pilotanlagen, auch bei großen Unternehmen zum Teil schon, ist aber ein bisschen stiller darum geworden, oder?
Schossig: Das ist in der Tat deutlich ruhiger darum geworden und das in weiten Teilen auch zu Recht durch den Markt getrieben.
Solarthermische Klimatechnik oft zu teuer
Die Technologie funktioniert und ist verlässlich. Aber im Wesentlichen hat uns die Fotovoltaik hier mit den starken Preissenkungen da hingebracht, dass sehr oft die fotovoltaische solare Kühlung die kostengünstigere ist. Sprich: Was uns sehr oft am Markt dann behindert, ist der hohe Preis des solarthermischen Kollektors. Wenn der da ist, kann der auch gerne genutzt werden. Aber wenn ich wirklich nur Kälte erzeugen will und keine Wärme brauche und das nur wenige Stunden im Jahr sind, dann ist es einfach viel sinnvoller, Fotovoltaik zu installieren und die paar Stunden dann eine normale Kälteanlage zu betreiben. Solarthermische Kälteerzeugung macht überwiegend dann Sinn, wenn ich auch ganzjährig einen Wärmebedarf habe und nur in Teilen dann im Sommer diese Wärme additiv zum Kühlen einsetzen kann.
Krauter: Sprechen wir mal über größere Neubauten, also Behörden, Pflegeheime, Krankenhäuser, Hotels und so weiter. Da ist der Klimatisierungsbedarf ja deutlich höher und die Quote auch schon heute viel höher als bei Privatwohnungen. Welche Möglichkeiten gibt es denn da?
"Architektonisch von Anfang an mitdenken"
Schossig: Also das Allerwichtigste ist, es architektonisch von Anfang an mitzudenken, sprich, nicht sinnlos viele Glasfassaden einzubauen. Also sehr gute architektonische Bauweise mit sinnvollen Überständen, Verschattungen und so weiter kann schon mal den Gesamtbedarf minimieren. Dann ist es auch sehr sinnvoll, zum Beispiel Bauteilaktivierung zu nutzen, die mit relativ hohen Temperaturen immer noch kühlen kann, statt nur über Zuluftkühlung zu gehen.
Krauter: Mit Aktivierung meinen Sie, dass da Wasserleitungen in den Wänden liegen, die von innen raus für Kälte sorgen?
Schossig: Exakt. Also in aller Regel nutzt man nicht die Wände, sondern die Fußböden oder Decken. Und da kann man das gleiche System zum Heizen wie zum Kühlen einsetzen. Also ich selber sitze zum Beispiel in so einem Gebäude, wo wir im Winter über Flächenheizung heizen und die gleiche Fläche im Sommer aber über Grundwasser zum Kühlen nutzen. Ich habe jetzt ein sehr angenehm kühles Büro, ohne dass aktiv Kälte erzeugt werden muss.
Krauter: Und das Anzapfen des Grundwassers, über sogenannte Aquiferspeicher - ist das auch ein Trend, den wir künftig mehr sehen werden?
Schossig: Das muss nicht nur ein Aquiferspeicher sein, also kann zum Beispiel auch eine reine Erdsonde sein, indem ich zum Beispiel die Gründungspfähle des Gebäudes benutze und das kalte Erdreich dazu nutze, meine Decke zu kühlen.
Saisonale Speicher steigern Effizienz
Aber ja, es ist definitiv ein Trend, dass man versucht, ganzjährig den Erdboden oder den Aquiferspeicher, so vorhanden, aber das kann auch normaler Erdboden sein, als saisonalen Speicher zu benutzen. Das heißt, im Sommer nutze ich den Erdboden zum Kühlen und im Winter kann ich ihn gerade auch in Verbindung mit einer Wärmepumpe dann zum Heizen verwenden - und im Idealfall übers ganze Jahr dann sogar eine ausgeglichene Energiebilanz, was den Erdboden angeht, hinbekommen, um mit minimaler Hilfsenergie dann mein Gebäude zu heizen und zu kühlen.
Krauter: Wenn ich Sie recht verstehe, wäre es im Prinzip also durchaus möglich, diesen wachsenden Kältebedarf in Gebäuden in Deutschland künftig zu decken, ohne den CO2-Fußabdruck zu erhöhen?
Schossig: Ganz ohne wird es nicht gehen. Das ist schon eine Frage, was man an Zubau an Erneuerbaren braucht. Auf jeden Fall gibt aber es bereits sehr gute energieeffiziente Lösungen, die man jetzt schon einsetzen kann. Ein großes Thema ist allerdings noch das eingesetzte Kältemittel, aber auch da setzen sich zunehmend Kältemittel mit geringem Global Warming Potential durch, also mit geringem Treibhauspotenzial. Natürliche Kältemittel sind auch da im Kommen. Von daher ist eine Aussage, das geht komplett ohne einen Treibhausschaden, nicht ganz einfach zu treffen. Aber man kann das heutzutage auch hinbekommen, wenn man die richtige Anlage wählt und richtig auslegt.
Krauter: Wo sehen Sie denn akut noch Forschungsbedarf? Also die Kältemittel, die zum Teil eben immer durch Lecks größerer Anlagen auch entweichen können, die sind immer noch eine Baustelle?
Klimafreundliche Kältemittel: "Gerade viel Dynamik"
Schossig: Die sind auf jeden Fall eine Baustelle. Aber da gibt es ja EU-weit die sogenannte F-Gas-Direktive, die also diese Kältemittel jedes Jahr reduziert, die in den Handel gebracht werden dürfen. Das erzeugt gerade einen Riesendruck hin zu natürlichen Kältemitteln, sodass dieses Treibhauspotenzial durch entweichende Kältemittel in den kommenden Jahren auf jeden Fall massiv gesenkt werden wird. Die müssen auch thermodynamisch gar nicht schlechter sein, also das können sehr hocheffiziente Anlagen sein, die nur mit anderen Kältemitteln arbeiten. Das Forschungsfeld ist da sehr weit, und da ist aber auch gerade viel Dynamik drin.
Krauter: Lassen wir Deutschland mal außen vor. Wo sehen Sie global die größten Herausforderungen beim Decken des wachsenden Kältebedarfs?
Schossig: Also die großen Herausforderungen liegen auf jeden Fall in Asien. Dort haben wir die Millionenstädte dieser Erde, die in sehr herausfordernden Klimaten liegen.
Die Millionenstädte Asiens - die größte Herausforderung
Dort detoniert wirklich der Kältebedarf. Und wenn beispielsweise China erst mal unsere Komfortansprüche stellt, dann sprechen wir von einer Verhundertfachung des Kältebedarfs, aus dem Bauch raus gesprochen. Und es gibt Studien, die davon ausgehen, dass irgendwann zwischen 2030 und 2035 der weltweite Kältebedarf den Wärmebedarf erstmalig übersteigen wird. Also in diesen Klimaten, wo ich das ganze Jahr wirklich Kältebedarf und auch Entfeuchtungsbedarf habe - auch Entfeuchtung ist ja ein guter Teil der Klimatisierung - dort liegen die großen Herausforderungen der Zukunft.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.