Jule Reimer: Der grüne Umwelt- und Agrarminister von Schleswig-Holstein Robert Habeck – übrigens auch Vize-Ministerpräsident des Landes - ist ein Seiteneinsteiger in Fach "Gift und Gülle". Von Haus aus Schriftsteller, Philosoph und Literaturübersetzer hat er sich bei den konventionellen Landwirten in Schleswig-Holstein einen gewissen Respekt erarbeitet: Weil er hemdsärmelig auf den Höfen erscheint und sich auf ernsthafte Auseinandersetzungen einlässt – aber zu einer inhaltlichen Annäherung hat das noch nicht geführt.
Doch möglicherweise sollten sich die Landwirte bundesweit mehr mit Habeck befassen. Der Mann hat Großes vor: Er will in der Bundestagswahl 2017 – ebenfalls als Seiteneinsteiger – als einer der beiden grünen Spitzenkandidaten antreten – gegen den Parteivorsitzenden Cem Özdemir und den Bundestagsfraktionsvorsitzenden Anton Hofreiter. Dieser veröffentlichte jüngst ein höchst agrarkritisches Buch über die "Fleischfabrik Deutschland". Kurz vor dieser Sendung fragte ich Robert Habeck, ob er das Wort "Massentierhaltung" schon einmal in den Mund genommen habe.
Robert Habeck: Nein, und ich versuche, es auch bewusst zu vermeiden, weil der Begriff Masse undefiniert ist und in dem Agrarkomplex, in dem wir uns bewegen, für jede Menge böses Blut, Diffamierung und Unsachlichkeit sorgt. Was allerdings richtig ist und was ich auch sage, sind industrielle Tierhaltungsformen. Und das kann man sehr sauber definieren, nämlich das aus der Hand geben des Landwirts von Selbstbestimmung und unternehmerischer Freiheit, Abhängigkeit von Strukturen, die man nicht mehr beeinflussen kann, und das haben wir noch und nöcher in Deutschland.
"Ich versuche, diese Worte nicht zu verwenden."
Reimer: Sind 30.000 Puten in einem Stall Massentierhaltung?
Habeck: Wie gesagt, ich versuche, diese Worte nicht zu verwenden. Aber der Faktor Tier und flächengebundene Haltung, das ist ein Guter. Man sollte nicht über zwei Großvieh-Einheiten pro Fläche hinausgehen.
Reimer: Das müssen Sie für den Hörer erklären.
Habeck: Kühe, Schweine und Puten sind unterschiedlich groß und die Maßgabe, die man hat, um Gülleausscheidungen, Nitrat zu messen, da sagt man, zwei Kühe pro Hektar, das ist eine Großvieh-Einheit. Das sind ungefähr fünf Schweine und ich weiß nicht, wie viele Hühner oder Puten es sind. Das ist aber ein Nitratproblem und kein Tierhaltungsproblem und da haben wir eigentlich den höchsten Druck im Moment. Ob ein Kuhstall mit 300 oder mit 30 Kühen besser für die Kühe ist, das kann man dem Kuhstall nicht ansehen. Aber man merkt: Der ökonomische Druck, die Gülle von 300 Kühen loszuwerden, der ist extrem viel höher.
Reimer: Und da sollte der Landwirt die Fläche im Ausmaß besitzen, wie er Gülle produziert?
Habeck: Genau. Beziehungsweise die Fläche definiert, wie viele Tiere er haben darf. Das ist schon auf jeden Fall der richtige Faktor.
Reimer: Sie haben sich die Agrarwende ins Programm geschrieben. In Schleswig-Holstein speziell gibt es zum Beispiel Ärger mit den Bauern wegen der vorgeschriebenen Knicks. Das sind Wallhecken an den Feldrändern, die für die Biodiversität zum Beispiel wichtig sind.
Andererseits sagen Ihre Bauern in Schleswig-Holstein, die Weltbevölkerung wächst. Wenn wir jetzt von so einem kleinen Feld auch noch was abgeben sollen für Hecken hier und Hecken da, Brachfläche hier, Brachfläche da - das sind ja auch die Vorgaben der Europäischen Union, um Subventionen zu bekommen -, wie soll man dann unter solchen Bedingungen, immer mehr ökologischen Auflagen die Welt ernähren.
Habeck: Die Diskussion um die Knicks finde ich echt zu laut für so was Kleines auf der einen Seite.
"Wir können uns Tümpel und Knicks leisten in Deutschland."
Reimer: Das läppert sich ja aus Sicht der Bauern.
Habeck: Ja. Aber die andere Frage, die Sie stellen, die ist natürlich korrekt gestellt. Wenn es richtig ist, dass ein halber Meter Abstand von Gewässern oder von ökologischen Vorrandflächen wie diesen Knicks die Welternährungsfrage entscheidet, dann wäre ich der erste, der sagen würde, dann lasst uns nicht mehr diesen halben Meter Abstand nehmen, dann lasst uns den ganzen Knick wegreißen und alle Tümpel zukippen und alle Wälder abholzen, dann lasst uns darauf Getreide anbauen. So ist es aber nicht.
Das, was der Bauernverband sagt, ist falsch. Wir können uns Ökologie und Tümpel und Knicks leisten in Deutschland. Die Frage der Welternährung ist in allererster Linie eine Verteilungsfrage, eine Gerechtigkeitsfrage. Es ist schon heute so, dass 4.500 Kalorien pro Erdenbürger produziert werden. Die kommen nur nicht an: Erstens, weil der Verlust bei Transport und Verarbeitung sehr, sehr hoch ist, also Verschwendung im buchstäblichen Sinne, und zweitens, weil wir es uns leisten, hochwertigste Lebensmittel für Tank und Trog auszugeben. Die Benutzung von Lebensmitteln für Mobilität beispielsweise, E10 oder auch Biogas, ist ethisch fragwürdig und wenn wir über Welternährung reden, ist natürlich der Fleischkonsum in diesem Raum, wie wir ihn vornehmen, auch nicht zu halten.
Reimer: Bundesumweltministerin Barbara Hendricks hat in dieser Woche zum Angriff auf das Landwirteprivileg geblasen, nämlich das Privileg, dass man im Außenbereich, jenseits von Bebauungsplänen als Landwirt jederzeit einen Stall errichten kann, auch sehr, sehr große Ställe für Tausende von Tieren. Bernhard Krüsken, der Generalsekretär des Deutschen Bauernverbandes, fürchtet hingegen das Ende der Tierhaltung in Deutschland, wenn jetzt künftig der Stallbau von der Existenz eines Bebauungsplans, der ja auch erst noch genehmigt werden muss, abhängig gemacht wird. Was bedeutet das zum Beispiel für Schleswig-Holstein?
Habeck: Erst einmal hat Frau Hendricks Recht. Zweitens wiederholt sie einen Vorstoß, den wir über den Bundesrat schon vor Jahren unternommen haben, und entsprechend steht das seit Anno dazumal, würde ich fast sagen, in irgendwelchen grünen Wahlprogrammen. Die Diskussion ist null neu und Frau Hendricks hat sie am Ende der Legislatur aufgegriffen, ohne dass das Bundeskabinett sich da abgestimmt hat. Der Landwirtschaftsminister hat noch gar nichts dazu gesagt. Die Idee ist deswegen trotzdem richtig, aber ob das jemals so Wirklichkeit wird in dieser Legislaturperiode, wage ich zu bezweifeln.
Reimer: Wie der Bauernverband klagt: Wahlkampf? Das schätzen Sie auch so ein?
Habeck: Ja, das ist ein Moment des Wahlkampfs dabei. Das schätze ich auch so ein. Aber man kann ja auch im Wahlkampf gute Ideen vertreten, das ist ja nicht verboten.
Gegen TTIP und CETA
Reimer: Die deutschen Landwirte rüsten sich für den Weltmarkt, zumindest die konventionell wirtschaftenden. Wie halten Sie es mit TTIP und CETA, den Freihandelsabkommen?
Habeck: Die deutschen Landwirte produzieren für den Weltmarkt, und zwar als einzige Option. So haben wir es auch als Gesellschaft ehrlicherweise von ihnen verlangt. Daraufhin haben wir sie getrimmt. Und der Weltmarkt entscheidet, welches Geld sie verdienen oder eben nicht verdienen, und im Moment verdienen sie kein Geld. Die Preise für Fleisch, für Milch und für Weizen sind im Keller und die einzige Antwort, die wir bisher gegeben haben, ist: Billiger und mehr. Das geht zu Lasten der Tiere, zu Lasten der Umwelt und auch zu Lasten der Landwirte. Das System selbst funktioniert erkennbar nicht im Moment. Und TTIP und CETA würden diese Denke nur noch verstärken.
Reimer: Das heißt, Sie würden es ablehnen?
Habeck: Ja. Ich bin schon für freien Handel. Dieser Protektionismus und eine Renationalisierung von allem Möglichen halte ich für falsch. Aber die Denke von CETA und TTIP ist genau diese Billigkeitsdenke. Alles ist das gut, was Produkte billiger macht, und deswegen sind auch alle Schutzstandards und demokratischen Rechte nur Handelshemmnisse.
Reimer: Wenn jetzt der Realo Habeck auf den Realo Kretschmann aus Baden-Württemberg trifft - Baden-Württembergs grün-schwarze Koalition -, die haben sich Entscheidungen über das Thema TTIP oder CETA im Koalitionsvertrag offen gelassen. Baden-Württemberg ist exportorientiert, ganz Deutschland ist exportorientiert und CETA gilt als deutlich besseres Abkommen als TTIP, wo wir ja noch gar nicht wissen, was dabei rauskommt. Kanada ist auch viel kleiner. Also doch zustimmen?
Habeck: CETA gilt als besseres Abkommen, das ist schon richtig. Aber gerade die Regierung von Baden-Württemberg hat ja ein Gutachten in Auftrag gegeben, ob das CETA-Abkommen - und zwar in der vorliegenden Form - die Rechte der Kommunen beeinträchtigt. Und die Antwort von Baden-Württemberg, des Gutachters ist: Ja!
Der Handel selbst ist überhaupt nicht in Frage zu stellen. Wir haben ja einen fluktuierenden Handel zwischen den USA und Europa und auch speziell Deutschland profitiert davon. Insofern ist der Mehrgewinn nur dann zu erzielen - und deswegen reden wir ja auch darüber und streiten auch darüber so doll -, wenn eine Verlagerung der Produktion stattfindet. Der Mehrgewinn für den Verbraucher ist, dass der kalifornische Zucker anderen Zucker verdrängt, dass das USA-Rindfleisch anderes Rindfleisch verdrängt, …
Reimer: Weil die vielleicht billiger produzieren?
Habeck: Genau!
"Diese Handelsabkommen reduzieren uns auf Konsumenten."
Reimer: Die haben auch viel größere Flächen. Die haben es auch einfacher.
Habeck: So ist es. Die Farmen sind doppelt so groß und haben halb so viele Arbeitskräfte, und das ist genau das, was der Bauernverband immer sagt: Die Ökonomie entscheidet über die Wirtschaftlichkeit von Betrieben. Die sagen ja auch immer, die kleinen Betriebe sollen aufgeben - auch das ist nicht meine Meinung. Das angewandt auf TTIP heißt, dass die landwirtschaftliche Produktion jedenfalls der eindeutige Verlierer dieses Abkommens ist.
Aber ich will nicht nur als Agrarminister reden, sondern als Bürger. Diese Handelsabkommen reduzieren uns auf Konsumenten und nehmen uns nicht mehr als demokratische Subjekte, als Bürger ernst und mit. Deswegen sind sie so falsch. Wir verlieren das Vertrauen in staatliche Prozesse, wenn wir alles nur noch auf Billigkeit reduzieren. Es muss einen Ort geben, wo Werte wie Mitsprache, Mitbestimmung, eigene Meinungsbildung, Bürgerbeteiligung, Verbraucherschutzrechte eine Rolle spielen. Und wenn dieser Ort ausgehebelt wird - und das ist eigentlich der Ort der Parlamente -, dann sind das schlechte Abkommen.
Reimer: Sie stehen auch für die Energiewende in Schleswig-Holstein. Die Grünen haben eine Art Kohle-Ausstiegsplan vorgelegt. Es soll erst einen Dialog geben und dann aber ab 2018 schon sollte der Bau neuer Kohlekraftwerke verboten werden, sollten schrittweise immer strengere Emissionsvorschriften eingeführt werden. Man muss sich in Erinnerung rufen: Parallel läuft ab 2020 herum der Atomausstieg aus den verbleibenden Atomkraftwerken. Übernehmen Sie sich da nicht? Denn Sie müssen ja in Schleswig-Holstein zum Beispiel wegen des mangelnden Netzausbaus immer wieder Windkraftanlagen abschalten, das Netz ist überlastet. Das heißt, Deutschland ist gar nicht so weit, um schon aus den Kohlekraftwerken rauszugehen?
Habeck: Der fehlende Netzausbau ist ohne Frage ein Problem. Das ist ärgerlich. Aber deswegen haben wir noch lange nicht zu viel erneuerbaren Strom. Denn Sie haben es eben schon gesagt: Wir, Deutschland - und das sind ja internationale Verpflichtungen, die die Bundesregierung - kein Grüner dabei - eingegangen ist -, wollen ja auch noch den ganzen Verkehrsbereich, den ganzen Wärmebereich, den ganzen Industriebereich erneuerbar durchdringen. Und was ich nicht verstehe und worüber ich mich mit Gabriel in meiner Sprache tierisch gefetzt habe ist, warum wir jetzt nicht den zweiten Schritt vorm ersten tun.
Wir haben in Schleswig-Holstein die Situation, dass wir teilweise zu viel Strom haben. Jetzt wird er abgeschaltet und trotzdem vergütet. Wir zahlen als Verbraucher für Strom, der gar nicht produziert wird, anstatt ihn in die Bereiche reinzugeben, chemische Industrie, Wärme daraus zu machen, Mobilität, Batteriesysteme aufzubauen, die ihn jetzt schon brauchen könnten. Das ist aber regulativ verboten, oder es ist jedenfalls so erschwert, dass der Strom so teuer ist, dass das niemals funktioniert.
Man kann die Energiewende sehr schnell sehr viel weiter umsetzen, wenn man einmal sich löst von dem, es darf nicht sein was nicht sein kann, und versucht, das was schon möglich ist auch passieren zu lassen. Und es passiert ja! Überall in der Welt um uns passiert es. Kann mir einer mal bitte erklären, warum der neue BMW-I-was-immer-7 30 oder 40 Kilometer mit Batterie fahren kann und ein Tesla 400? Der Punkt, ob die Energiewende die anderen Bereiche erfassen wird, den Verkehrsbereich, der ist schon längst überschritten. Die Frage ist nur, lässt sich Deutschland abhängen, oder werden wir Teil der industriellen Revolution, die schon längst im Gange ist.
"Das mit dem Profit ist eine zweischneidige Sache."
Reimer: Schleswig-Holstein setzt auch viel auf Offshore-Windenergie vor der Küste. Sie appellieren sehr stark an die Vernunft. Die Stimme der Vernunft der Verbraucherzentralen sagt: Onshore-Windenergie, der Ausbau von Windenergie dezentral in ganz Deutschland an Land, wäre viel kostengünstiger, weil die Hochspannungsnetze so irre teuer sind, die dann vom Norden in den Süden gebaut werden müssen. Das heißt, Sie gehören aber auch zu den Profiteuren von einer Energiewende, die vielleicht nicht auf die billigste Art stattfindet?
Habeck: Das mit dem Profit ist eine zweischneidige Sache. Richtig ist, dass die Energiewende dazu führt, dass Leute Geld damit verdienen. Das, finde ich, kann man ihnen auch nicht vorwerfen. Ich wundere mich jedenfalls immer, wenn die CDU das Argument rausbringt, da verdient jemand Geld damit. Das ist ja nun gerade absurd. Aber die Flächen für Onshore sind natürlich begrenzt und die Leute, die jetzt die Windkraftanlagen vor der Nase haben plus die Stromleitungen, die schreien nicht alle hurra und sagen, toll, wir sind Profiteure der Energiewende. Also es ist auch eine ungeheure Last, die im Moment der Norden der Republik für die Republik übernimmt.
Ich würde das total unterstreichen im Sinne der Verbraucherschutzzentralen, wenn auch Bayern, Nordrhein-Westfalen, Baden-Württemberg, alle stärker die Erneuerbaren ausbauen. Das wäre total in meinem Sinn: Erstens, weil die norddeutschen Länder gar nicht die Fläche haben, um alleine ganz Deutschland zu versorgen. Und zweitens, damit die Diskussion gleichgewichtig geführt wird. Wir müssen ja ungefähr alle miteinander wissen, wie es sich anfühlt, Energiewende zu betreiben, und im Moment droht uns, die Republik da auseinanderzufallen. Das ist auch die Antwort für Offshore, Windanlagen zu Wasser. Für die gigantischen Mengen Strom, die wir produzieren wollen, brauchen wir auch Flächen zu Wasser, einfach weil das Land begrenzt ist und weil Menschen die Anlagen nur begrenzt dicht an ihre Häuser haben wollen, weil Vögel davon geschlagen werden, und deswegen müssen wir auch auf See ausweichen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.