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Verkehrsinfrastruktur
Umweltministerin Lemke (Grüne): Nicht auf Neubau von Autobahnen konzentrieren

Um die Klimaziele der Bundesregierung einzuhalten, sei es wichtig, die Schiene zu stärken, so Umweltministerin Steffi Lemke (Die Grünen) im Dlf. Das vorhandene Straßennetz müsse modernisiert und der Bau von neuen Autobahnen gründlich geprüft werden.

Steffi Lemke im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.01.2023
Steffi Lemke bei der 48. Ordentlichen Bundesdelegiertenkonferenz von Bündnis90/Die Grünen im World Conference Center. Bonn, 16.10.2022
"Es macht keinen Sinn, irgendwo neu zu bauen und den Wald abzuholzen, während daneben das vorhandene Straßensystem zerbröselt", sagte Umweltministerin Steffi Lemke im Dlf (picture alliance / Geisler-Fotopress / Philipp Mertens / Geisler-Fotopres)
Das von Verkehrsminister Volker Wissing entworfene „Gesetz zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren im Verkehrsbereich“ führt zum Streit in der Ampelkoalition. Der FDP-Politiker will damit vor allem den Neu- und Ausbau von Straßen schneller voranbringen. Doch Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hält dagegen.
Im Interview mit dem Deutschlandfunk kritisierte sie eine jahrzehntelange einseitige Konzentration auf den Verkehrsträger Straße. „Das führt unter anderem jetzt dazu, dass die Klimaziele gefährdet sind.“ Ihr sei es hingegen wichtig, das Schienennetz und den öffentlichen Personennahverkehr zu stärken, betonte die Grünen-Politikerin. „Ich glaube, dass sehr viele Menschen auf das Rad, auch auf Fußwege und jetzt vor allem neu auf die Schiene umsteigen wollen. Das hat ja das Neun-Euro-Ticket massiv gezeigt. Deshalb geht es darum, diesen Willen von Menschen, die andere Verkehrsträger nutzen wollen, zu erleichtern, das zu unterstützen und zu fördern.“
Ein weiterer wichtiger Schritt sei es, die vorhandene Infrastruktur zu erhalten und zu sanieren, etwa die vielen maroden Brücken. Der Neubau von Autobahnen müsse künftig gründlich auf Notwendigkeit und Umweltverträglichkeit geprüft werden: „Dass wir beim Autobahnneubau sagen, Klima- und Umweltschutz ist unwichtig, Straßenbau ist wichtiger, das kann nicht sein“, so Lemke im Dlf.
Es gebe sicherlich auch Neubau-Projekte, bei denen es sinnvoll und gesetzlich geboten sei, sie fertigzustellen, räumte die Umweltministerin ein. Dabei käme es allerdings auf eine kluge Planung an. So müsse es beispielsweise ausreichend Personal geben, um den Bau zügig abzuwickeln.

Das Interview in voller Länge:

Tobias Armbrüster: Am Telefon ist jetzt die Bundesumweltministerin, Steffi Lemke von den Grünen. Schönen guten Morgen!
Steffi Lemke: Schönen guten Morgen, Herr Armbrüster.
Armbrüster: Frau Lemke, was läuft da gerade falsch in der Verkehrspolitik?
Lemke: Wir sind mit einer Verkehrspolitik konfrontiert, die in den vergangenen Jahrzehnten sehr einseitig auf einen Verkehrsträger, sprich die Straße gesetzt hat und die Schiene sehr, sehr stark vernachlässigt hat. Das führt unter anderem jetzt dazu, dass die Klimaziele gefährdet sind. Es führt aber auch dazu, dass wir das zweitdichteste Straßennetz auf der ganzen Welt nach Japan haben und dass wir jetzt eine Konzentration auf die Ertüchtigung und Modernisierung des vorhandenen Straßennetzes brauchen, wenn wir die Infrastruktur erhalten wollen, und nicht die weitere Konzentration auf Neubauten.
Armbrüster: Müssen wir den Straßenverkehr in Deutschland einschränken?
Lemke: Wir müssen kluge Verkehrsplanung betreiben. Wir müssen die Klimaziele im Verkehrssektor einhalten. Dafür müssen beispielsweise Schiene ausgebaut werden, der öffentliche Personen-Nahverkehr, aber auch die Verkehrsträger, die durch Fußgänger und Radfahrer genutzt werden, stärker als bisher Berücksichtigung finden. Deshalb braucht es kluge Verkehrsplanung, eine Abwägung der verschiedenen Rechtsgüter. Umweltschutz und Naturschutz müssen abgewogen werden mit Infrastruktur-Bau und nicht eine maximale Schnelligkeit, die dann dazu führt, dass wir Dinge bauen, die den Klimazielen und den Umweltzielen zuwiderlaufen.
Armbrüster: Sollte man Straßenverkehr, das Benutzen des Autos vielleicht unkomfortabler machen, indem man bestimmte Straßen einfach nicht baut, das Autofahren deshalb beschwerlicher macht und Leute so dazu bringt, auf andere Verkehrsmittel umzusteigen?
Lemke: Ich glaube, dass sehr viele Menschen auf das Rad, auch auf Fußwege und jetzt vor allem neu auf die Schiene umsteigen wollen. Das hat ja das Neun-Euro-Ticket massiv gezeigt. Deshalb geht es darum, diesen Willen von Menschen, die andere Verkehrsträger nutzen wollen, zu erleichtern, das zu unterstützen und zu fördern, und – noch mal – bei der Infrastrukturplanung darauf zu setzen, dass wir die vorhandenen Straßen, die vorhandenen Brücken und Schienen sanieren und gut im Schuss halten. Es macht ja keinen Sinn, irgendwo neu zu bauen und den Wald abzuholzen, während daneben das vorhandene Straßensystem zerbröselt.

"Wir sind durch das Grundgesetz verpflichtet, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten"

Armbrüster: Sie betonen jetzt das vorhandene Straßensystem immer wieder. Heißt das, es soll keine neuen Autobahnen in Deutschland geben?
Lemke: Das, was der Streitgegenstand gegenwärtig ist, ob man da, wo neue Straßenbauten stattfinden, geplant sind, durchgeführt werden, ob man bei solchen Planungen sagt, Umwelt- und Naturschutz sind unwichtig, sie müssen zurückstehen hinter dem Plan des Neubaus, das ist der eigentliche Streitgegenstand, wo ich als Umwelt- und Naturschutzministerin sage, das geht nicht, das können wir nicht machen. Wir sind durch den Gesetzgeber, durch das Grundgesetz verpflichtet, unsere natürlichen Lebensgrundlagen zu erhalten, und deshalb braucht es die Abwägung und deshalb kann es nicht sein, dass man sagt, Straßenbau ist wichtiger als Umwelt- oder Klimaschutz.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden zum Beispiel einige Straßen-, einige Autobahnneubauten, wie sie etwa in Hessen gerade laufen, eigentlich lieber stoppen?
Lemke: Wir haben im Moment einen recht guten Gesetzentwurf in vielen Teilen bereits vorliegen. Wir hatten ja viele sehr konstruktive Gespräche und dabei haben wir uns zum Beispiel mit der Frage von Brückensanierungen beschäftigt, wo ich auch als Umweltministerin sage, es ist absolut essentiell, diese maroden Brücken, die wir in großer Anzahl in Deutschland haben, sehr schnell zu sanieren, und das halte ich für sehr wichtig. Dafür können wir verschiedene Maßnahmen auf den Weg bringen. Aber dass wir beim Autobahnneubau sagen, Klima- und Umweltschutz ist unwichtig, Straßenbau ist wichtiger, das kann nicht sein.
Armbrüster: Das heißt, Sie würden solche Autobahnprojekte stoppen?
Lemke: Es geht darum, dass wir, wenn Autobahnen gebaut werden, kluge Planungsverfahren haben, ausreichend Personal zur Verfügung haben, um sie auch zügig abzuwickeln, dass wir dafür aber auch dann vernünftige Ausgleichsmaßnahmen brauchen und dass wir eigentlich innehalten müssten, um zu schauen, welche von den Verkehrsprojekten, die im Bundesverkehrswegeplan in den letzten Jahrzehnten festgehalten worden sind, unter den Zeichen der Klimakrise noch sinnvoll sind und welche nicht sinnvoll sind. Darauf hatte sich die Koalition verständigt und dieser Prozess steht noch aus.
Armbrüster: Frau Lemke, ich würde gerne noch ein paar andere Fragen klären, aber diese eine würde ich trotzdem gerne mit einem klaren Ja oder Nein beantwortet haben. Aktuelle Autobahnbauten stoppen oder weiterführen?
Lemke: Es sind welche dabei, die aus Klimagesichtspunkten heute sicherlich nicht mehr auf den Weg gebracht würden, die aber in einem Planungsstadium sind, wo man sie nicht mehr stoppen kann. Bei vielen anderen Projekten sollten wir darauf schauen, ob sie im Bundesverkehrswegeplan diese Priorität, die ihnen in den letzten Jahrzehnten zugemessen wurde, noch haben sollten. Das heißt, ich kann es Ihnen nicht mit einem einfachen Ja oder Nein beantworten, weil es bei manchen sinnvoll ist und auch gesetzlich geboten ist, sie fertigzubauen, aber bei denen, wo noch gar nicht begonnen wurde, auch mit dem Planungsverfahren nicht, sollte man schauen, brauchen wir sie wirklich, sind sie wirklich notwendig, oder sollten wir unsere Konzentration auf etwas anderes richten.

"Das Wichtigste ist, dass wir das vorhandene Verkehrssystem, Straße, Brücken, Schienen, erhalten"

Armbrüster: Wird es denn mit dieser Ampel-Koalition komplett neue Autobahnplanungen noch geben?
Lemke: Keine, die nicht im Bundesverkehrswegeplan jetzt bereits in irgendeinem Stadium festgehalten sind, sondern es geht darum, diejenigen, die im Bundesverkehrswegeplan sind, zu überprüfen.
Die Grafik zeigt den Zustand deutscher Straßenbrücken
Die Grafik zeigt den Zustand deutscher Straßenbrücken (statista / Mathias Brandt)
Armbrüster: Das heißt, langfristig wird Deutschland aussteigen aus dem Bau von neuen Autobahnen in diesem Land?
Lemke: Das Wichtigste ist, dass wir das vorhandene Verkehrssystem, Straße, Brücken, Schienen, erhalten, das ertüchtigen, damit Baustellen verschwinden, da, wo Transporte stattfinden, diese auch zügig stattfinden können. Aber beim zweitdichtesten Straßennetz weltweit und der Tatsache von Klimakrise und der Krise der Natur, des Artenaussterbens sehe ich nicht, dass der jetzige Bundesverkehrswegeplan um neue Autobahnprojekte erweitert würde. Es kann möglicherweise im Einzelfall sinnvoll sein, nach Lückenschlüssen zu schauen. Da reden wir aber über einen anderen Bundesverkehrswegeplan und nicht über den jetzt vorhandenen. Da muss zunächst geprüft werden, ob alle Projekte sinnvoll, notwendig und klimaverträglich sind.
Armbrüster: Jetzt will die FDP eher mehr Tempo machen beim Ausbau und auch beim Umbau beziehungsweise bei der Ausbesserung von Straßen. Wie groß ist da der Dissens zu Ihrem Koalitionspartner?
Lemke: Da, wo Projekte gebaut werden, hindert ja niemand den Bauträger, das auch zügig zu machen. Da ist der Hinderungsgrund fehlendes Personal, sowohl auf den Baustellen als auch letztendlich in den Planungsbehörden, und nicht das vorhandene Recht. Das, worüber wir bisher keine Einigung erzielen konnten, innerhalb der Koalition, ist die Frage, ob bei Straßenneubauten Klimaschutz und Naturschutz zurücktreten muss in der Abwägung gegenüber dem Zwang, eine neue Autobahn zu bauen.

"Es ist falsch, die Achsen zu Lasten des Umweltschutzes zu verschieben"

Armbrüster: Was sagen Sie da Ihrem Koalitionspartner, der das offenbar ja gar nicht so sieht?
Lemke: Dass eine solche Achsenverschiebung im deutschen Umweltrecht zu Lasten von Umwelt- und Naturschutz aus meiner Sicht falsch ist und dass wir sie auch nicht brauchen, um zügig zu bauen, sondern dass die Engpässe anderer Natur sind als der notwendige Abwägungsprozess zwischen diesen Rechtsgütern, die im Grundgesetz verankert sind und wo wir in Zeiten von Klimakrise und Artenaussterben schauen müssen, wie wir eine Balance hinbekommen. Deshalb ist es falsch, die Achsen zu Lasten des Umweltschutzes und Naturschutzes zu verschieben.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.