Barbara Schmidt-Mattern: Herzlich willkommen Svenja Schulze bei uns im Deutschlandfunk.
Svenja Schulze: Vielen Dank.
Schmidt-Mattern: Ich glaube, Sie sind zum ersten Mal zu Gast bei uns beim Interview der Woche, zumindest auf diesem Sendeplatz. Wir freuen uns, dass Sie hier sind. Wir sitzen hier im Hauptstadtstudio des Deutschlandfunks und haben vis-à-vis genau das Kanzleramt gegenüber, das ganze Regierungsviertel hier, und jeden Freitag ziehen hier zurzeit die Jugendlichen durch die Straßen, fordern die Politik auf, mehr für den Klimaschutz zu tun und eine zweite Debatte, die sich um diese sogenannte Fridays-for-Future-Bewegung entwickelt hat, ist die Frage, ob es eigentlich gerechtfertigt ist, dass die Jugendlichen, die Schüler dafür die Schule schwänzen dürfen oder es eben einfach tun. Was sagen Sie, ist das gerechtfertigt?
Schulze: Erst einmal ist das doch total klasse, dass so viele junge Leute sich einsetzen, dass sie politisch aktiv sind, dass sie sehr deutlich machen, was sie von uns Älteren erwarten und ich finde das gut, denn ich habe so oft gehört, Jugendliche würden irgendwie nur mit ihrem Handy herumdaddeln, die wollen sich gar nicht politisch engagieren, und man sieht hier sehr deutlich: Das stimmt nicht. Die sind engagiert, die tun etwas und setzen sich ein, und für mich als Umweltministerin ist das natürlich enormer Rückenwind. Wir diskutieren gerade Klimaschutz. Wir diskutieren, wie man den Klimawandel stoppt sehr intensiv, und dass so viele junge Leute, aber auch so viele Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, so viele Menschen insgesamt das jetzt öffentlich unterstützen, dass wir da etwas tun, das finde ich sehr gut.
Schmidt-Mattern: Genau, über das, was Sie zurzeit in Ihrem Haus vorbereiten und auch planen, werden wir ja gleich noch genauer sprechen. Ich würde trotzdem noch einmal auf die eigentliche Frage zurückkommen. Ist es denn okay aus Ihrer Sicht, dass die Schüler dafür die Schule schwänzen?
Schulze: Wir haben in Deutschland Schulpflicht und es geht auch nicht, dass sie dauerhaft nicht zur Schule gehen, denn wir brauchen richtig gut ausgebildete Leute, und gerade diese jungen Engagierten, die sich für Umwelt einsetzen, da möchte ich natürlich auch, dass sie einen Schulabschluss machen, dass sie eine Ausbildung machen, dass sie womöglich studieren und sich dann auch weiter für die Umwelt einsetzen. Aber mal ehrlich, hätten die Freitagnachmittag demonstriert, dann hätten diese Proteste nicht so eine öffentliche Wahrnehmung und deswegen: Ja, es gilt Schulpflicht, aber ich finde, diesen Protest muss man einfach erst nehmen. Das ist etwas, was Rückenwind gibt für Klimaschutzpolitik und ich finde auch beeindruckend, sie machen das ja nicht nur in Deutschland. Die vernetzen sich international, und es macht eben auch noch einmal darauf aufmerksam, es ist nicht nur ein Thema in Deutschland. Wir reden international über Klimaschutz. Es geht um nichts Weiteres als um die Rettung der Welt, wenn man es etwas pathetisch sagen will, und das zeigen die Schülerinnen und Schüler jetzt sehr genau auf.
"Müssen unsere Mobilität sauberer machen"
Schmidt-Mattern: Ein Satz, der auf ihren Transparenten draufsteht, der lautet, "Die Zeit rennt, Ihr pennt." Das ist eine Botschaft, die sich auch an Sie, an die politische Klasse richtet. Ich habe ein paar Zahlen herausgesucht. 2007 war Angela Merkel, damals schon Bundeskanzlerin, in Grönland, um sich über die abschmelzenden Gletscher zu informieren. Damals, glaube ich, wurde der Beiname "Klimakanzlerin" erfunden. 2015, das sind jetzt auch schon bald fünf Jahre, wurde das Pariser Klimaabkommen geschlossen. 2017 hat die Kanzlerin im Bundestagswahlkampf noch gesagt, wir werden unsere Klimaziele 2020 einhalten. Vor diesem Hintergrund, warum "verschläft" die Bundesregierung so viel, wenn ich jetzt die Schüler noch einmal zitiere?
Schulze: Die Schülerinnen und Schüler haben recht, es ist zu wenig passiert. Wir sind sehr, sehr gut im Ziele definieren, das haben wir wirklich fantastisch gemacht, aber wir reißen sie.
Schmidt-Mattern: Also Sie stimmen den Schülern zu, dass viel Zeit schon verschwendet worden ist. Mich würde aber noch einmal interessieren, was der Grund dafür ist. Hat auch die SPD dem Klimaschutz keine Priorität beigemessen in den letzten Jahren?
Schulze: Unter der Rot-grün-Regierung ist ja unglaublich viel passiert …
Schmidt-Mattern: Das liegt aber jetzt schon sehr lange zurück.
Schulze: Ja, aber danach ist einfach zu wenig passiert. Wir haben immer wieder über Ziele diskutiert. In den Sonntagsreden waren dann auch alle dafür. Ich wundere mich immer, wenn man so in die Talkshows guckt, wie viele Leute im "Team Klimaschutz" spielen. Aber wenn es dann konkret wird, dann ist eben nicht gehandelt worden und es muss mehr passieren im Verkehrssektor. Also wir müssen unsere Mobilität sauberer machen. Wir müssen mehr Energie aus Wind und aus Sonne haben, und genau das müssen wir jetzt vorantreiben, und das tun wir als Bundesregierung auch. Mit dem Klimakabinett, mit dem, was wir uns jetzt alles vorgenommen haben, sind das genau die Schritte, die wir brauchen.
"Wir reißen unsere Ziele für 2020"
Schmidt-Mattern: Sie haben das Klimaschutzgesetz schon angesprochen, eines der großen Projekte, das die schwarz-rote Koalition sich vorgenommen hat für diese Legislaturperiode. Bis Ende dieses Jahres soll dieses Klimaschutzgesetz verabschiedet sein. Das ist ein sehr ambitionierter Plan und ohne dass wir jetzt zu sehr ins Detail gehen wollen, muss man vielleicht doch kurz erklären, worum es darin konkret geht. Sie wollen mit diesem Gesetz regeln, wie viel Treibhausgase die einzelnen Bereiche, Sektoren heißt es im Fachjargon, wie viel Treibhausgase etwa der Verkehrsbereich, der Wohnungsbau oder auch der Energiebereich einsparen müssen, damit Deutschland seine Klimaschutzziele einhält, zumindest die für das Jahr 2030. Wieso brauchen wir dafür eigentlich ein Gesetz? Warum legt nicht einfach jedes Ressort seine Ziele fest und setzt sie dann um?
Schulze: Das war ja bisher so. Wir hatten ein Ziel für Deutschland und sind davon ausgegangen, dass wir das auch erreichen. Das tun wir aber nicht. Wir reißen unsere Ziele für 2020 zum Beispiel, und deswegen müssen wir da verbindlicher werden. Wir haben das Pariser Klimaschutzabkommen. Wir haben die EU, und in der EU, da haben wir klare Regeln. Jedes Land hat Jahresmengen von CO2, die wir verbrauchen dürfen. Wenn wir mehr verbrauchen, dann werden wir dafür zahlen müssen, und das ist etwas, was ich unbedingt vermeiden will. Ich will, dass wir in Deutschland investieren, dass wir hier Klimaschutz machen, dass wir hier dafür sorgen, dass Autos sauber sind, dass Energie aus Wind, aus Sonne genutzt wird, und dass wir hier zeigen, wie das geht und nicht das Geld an unsere Nachbarn überweisen, und deswegen muss man das jetzt in einem Gesetz klarer regeln: Wer ist für was verantwortlich.
Schmidt-Mattern: Das sagt das Umweltministerium ja nun schon seit Langem. Auch Ihre Amtsvorgängerin, Barbara Hendricks, auch eine Sozialdemokratin, hat das immer wieder betont. Aber Sie haben ja offenbar einen ziemlich schwierigen Stand in der Koalition. Haben Sie jetzt das Gefühl, dass Ihre Anliegen als Ministerin in dieser Koalition nicht ernst genug genommen werden?
Schulze: Nein, Sie sehen mich heute sehr fröhlich und glücklich, denn das mit dem Klimaschutzgesetz hat doch genau den Effekt gebracht. Ich habe das auf den Weg gebracht, ich habe es in die Koordinierung gegeben. Jetzt gibt es ein Kabinett, neben dem Digitalkabinett ein Umweltkabinett, ein Klimaschutzkabinett, das sich nur um dieses Thema kümmert.
Schmidt-Mattern: Da gab es schon ganz viel Spott. Da heißt es ja schon, wenn man nicht mehr weiter weiß, dann gründet man eben noch einen Arbeitskreis.
Schulze: Nein, das ist genau das, was ich wollte, dass alle die, die Verantwortung tragen für diesen Bereich, jetzt auch an einen Tisch kommen und gemeinsam diese Verantwortung wahrnehmen und nicht immer das Spiel machen, sonntags sagen, sie sind dafür, aber montags sich wegducken.
Schmidt-Mattern: Bisher hört man ja viele Kritiker, auch Blockierer durchaus, wenn ich da etwa an die Unionsfraktion im Bundestag denke, die Ihnen Planwirtschaft vorgeworfen hat. Sie haben eben selbst schon gesagt, in der Klimaschutzpolitik sind ziemlich viele Sonntagsreden gehalten worden in den letzten Jahren. Woher nehmen Sie die Zuversicht, dass sich das jetzt auf einmal ändern soll, dass es jetzt endlich konkret wird?
Schulze: Wir haben das im Koalitionsvertrag festgelegt. Das hat die SPD in diesen Koalitionsvertrag hineingekämpft und das ist jetzt Konsens zwischen uns. Mein fester Eindruck ist auch, alle in der Regierung haben das verstanden. Der ein oder andere hat ein bisschen emotional reagiert, ja, das stimmt, aber den Weg, den wir da gehen, der ist genau richtig.
Schmidt-Mattern: Da frage ich mich, wie Sie darauf kommen, dass das alle verstanden haben. Ich möchte einmal zitieren Andreas Scheuer, Ihren Kabinettskollegen, Verkehrsminister, CSU-Politiker, der hat erst vor wenigen Tagen in der Frankfurter Rundschau gesagt, für dieses Klimaschutzgesetz von Frau Schulze kann es keine Zustimmung geben.
Schulze: Ja, aber auch Herr Scheuer weiß ja, wie die internationalen Regeln sind. Er weiß, dass wir CO2 einsparen müssen, dass das auch der richtige Weg ist. Er will für sein Kind eine Zukunft haben hier. Er will, dass wir auf diesem Planeten noch leben können.
Schmidt-Mattern: Hat er Ihnen das gesagt?
Schulze: Nein, davon gehe ich einfach aus. Also jeder Mensch will doch, dass es auch für die nächsten Generationen hier noch auf dem Planeten bewohnbar bleibt und das, was ich da vorgelegt habe, ist echt komplett überraschungsfrei, ist genau das, was im Koalitionsvertrag steht, und ich bin ja offen. Wenn man besser weiß, wie wir die europäischen Ziele umsetzen, wenn andere Alternativen auf dem Tisch liegen, wie wir denn das gemeinsame Ziel, CO2 zu reduzieren, erreichen, bin ich diskussionsoffen. Ich bin aber auch davon überzeugt, dass das, was ich da vorgelegt habe, genau richtig ist, dass es ein sehr, sehr gutes Gesetz ist, was sehr klare Regeln gibt, was sehr klar einen Pfad aufzeigt, und da muss erst einmal jemand kommen und etwas Besseres haben.
"Es muss Verlässlichkeit über die nächsten 20 Jahre geben"
Schmidt-Mattern: Da ist zum Beispiel eine CDU-Abgeordnete im Bundestag, Anja Weisgerber, die klimapolitische Sprecherin der Unionsfraktion, die sagt, wir haben sehr wohl gute Vorschläge. Ich übersetze es jetzt einmal frei, "wir sind es leid, dass wir im Moment von der SPD immer nur den Schwarzen Peter zugeschoben bekommen. Wir fordern den Finanzminister Olaf Scholz, Parteifreund von Ihnen, auf, endlich auch mehr Geld für den Klimaschutz bereitzustellen", beispielsweise indem man die energetische Gebäudesanierung steuerlich fördern könnte, indem man beim Autokauf ein Bonus-Malus-System einführen könnte, dass man also diejenigen Käufer belohnt, die auf emissionsarme Antriebe umsteigen und diejenigen, die weiter CO2-kräftige Antriebsmotoren fahren wollen, die werden eben nicht steuerlich bevorteilt. Das wären doch klimafreundliche Ideen, die aber von Olaf Scholz nicht kommen.
Schulze: Olaf Scholz ist der Finanzminister. Er ist nicht der Verkehrsminister, er ist nicht der für Gebäude zuständige Minister und deswegen müssen die Vorschläge aus den Ressorts dafür kommen. Niemand bekommt vom Finanzminister Geld einfach so, sondern man muss schon begründen, wofür, und das ist genau der Punkt, weshalb wir jetzt ein Klimaschutzgesetz brauchen. Es muss vollkommen klar sein, wer ist zuständig. Der Finanzminister ist nicht zuständig dafür, Konzepte für den Verkehrssektor vorzulegen. Das ist der Verkehrsminister.
Schmidt-Mattern: Aber für Steuerpolitik.
Schulze: Ja, aber wenn der Verkehrsminister ein vernünftiges Modell vorlegt, dann sind wir doch insgesamt in der Bundesrepublik bereit, hier etwas zu investieren, weil die Alternative ist ja, wir geben das Geld an unsere Nachbarn. Das kann ja nicht der Sinn und Zweck sein. Also so vernünftig kann das auch laufen, wenn die Verantwortlichkeiten klar geregelt sind.
Schmidt-Mattern: Das Interview der Woche, bei uns zu Gast im Deutschlandfunk ist heute Svenja Schulze, die Bundesumweltministerin. Wir sind ja auch in einem Wahljahr. Es stehen nicht nur Europawahlen an Ende Mai, sondern wir haben auch vier Landtagswahlen. Haben Sie vor diesem Hintergrund nicht die Sorge auch als Sozialdemokratin, dass die Politikverdrossenheit einfach immer mehr zunimmt, wenn die Bürger, die Wähler bemerken, wie gerade im Bereich Klimaschutzpolitik einzelne Kabinettsmitglieder sich immer wieder nur gegenseitig die Verantwortung zuschieben, aber sozusagen einfach nicht in der Sache, salopp formuliert, zu Potte kommen?
Schulze: Ja, ich glaube, dass es wichtig ist, dass wir in der Politik aufzeigen, dass wir handeln, dass wir klare Pfade aufzeigen, wie wir das machen, dass wir keine Brüche provozieren, sondern ganz genau sagen, was machen wir jetzt, damit die Mobilität, damit das Autofahren sauberer wird oder was wir auch immer in der Zukunft fahren werden. Was tun wir, damit der Strom bezahlbar bleibt und trotzdem aus Sonne und aus Wind kommt, und das aufzuzeigen und klar zu sagen, was die Regierung da macht, das ist jetzt die Aufgabe dieses Klimakabinetts, das ist die Aufgabe, die ich mit dem Klimaschutzgesetz noch einmal ganz klar regeln will, und zwar über Generationen hinweg. Das ist ja keine Frage, die eine Regierungskonstellation sozusagen macht. Das sind ja immer nur vier Jahre, sondern es muss eine Verlässlichkeit über die nächsten 20 Jahre geben. So wie wir das bei Kohle machen, zu sagen, für 20 Jahre zeigen wir den Pfad auf, genauso muss das auch in den anderen Bereichen laufen, und deswegen ist das so wichtig, dass wir alle zusammenholen, dass wir da jetzt klar handeln, dass wir gemeinsam sind, weil das auch ein klares Signal an die Wählerinnen und Wähler ist.
Schmidt-Mattern: Und dieses Signal, das haben Ihre Kabinettskollegen von der Union auch verstanden?
Schulze: Dieses Signal ist ja im Koalitionsausschuss auch gegeben worden. Es ist mit allen regierungstragenden Parteien gegeben worden und Andrea Nahles hat das ja sehr gut zusammengefasst. Sie hat gesagt, 2019 wird das Klimaschutzjahr und das ist jetzt auch genauso.
Tempolimit: "Werden wir nicht hinbekommen"
Schmidt-Mattern: Kommende Woche soll die Verkehrskommission, die sogenannte, sie hat eigentlich einen etwas längeren, komplizierteren Namen, aber diese Kommission, angesiedelt in Andreas Scheuers Verkehrsministerium, soll einen Abschlussbericht vorlegen, wie man denn in diesem Ressort mehr klimaschädliche Emissionen einsparen kann, also vor allem im Verkehr. Muss da auch die Forderung nach einem Tempolimit drin stehen?
Schulze: Sie wissen, dass die SPD für ein Tempolimit ist.
Schmidt-Mattern: Und Sie?
Schulze: Ja, ich bin auch für ein Tempolimit, aber ehrlich gesagt, wenn es um die Frage geht Klimaschutz, dann wird das nicht reichen. Ein Tempolimit bringt ein bisschen was, das weiß ja auch jeder aus dem Alltag. Wenn ich nicht so schnell fahre, verbrauche ich weniger Sprit, aber wenn wir in der Mobilität weiterkommen wollen, dann muss weitaus mehr passieren. So ein Tempolimit bringt vielleicht ein, zwei Tonnen Einsparung.
Schmidt-Mattern: Hätte das nicht eine ganz, ganz hohe Symbolkraft mit der Einführung eines Tempolimits, wir sind ja fast die Einzigen in Europa, die keines haben, dass diese Bundesregierung damit einmal ein Zeichen setzen könnte, liebe Bürgerinnen und Bürger, wir machen jetzt wirklich Ernst mit dem Klimaschutz und wir senken damit noch die Zahl der Verkehrstoten?
Schulze: Aber die Zeit für Symbole in der Klimaschutzpolitik ist leider vorbei. Wir müssen wirklich handeln. Wir müssen mehr machen als nur Symbole. Wir müssen die Art und Weise, wie wir uns bewegen, wie wir mobil sind, und das wollen wir alle sein und das muss auch weiter so bleiben, die müssen wir sauberer machen.
Schmidt-Mattern: Also, wenn ich das noch einmal zusammenfassen darf, fordern Sie jetzt ein Tempolimit, ja oder nein?
Schulze: Es ist nicht im Koalitionsvertrag, deswegen ist es komplett unrealistisch, dass das kommt. Es ist eine Forderung der SPD. Da haben wir uns im Koalitionsvertrag nicht durchgesetzt, deswegen gehe ich nicht davon aus, dass wir das kriegen.
Schmidt-Mattern: Aber Sie fordern das auch nicht?
Schulze: Wir haben es ja nicht im Koalitionsvertrag. Es nutzt ja jetzt nichts, die Koalitionsverhandlungen nachzuholen.
Schmidt-Mattern: Es gibt ja eine Mehrheit der Deutschen, die für ein Tempolimit wären, insofern könnten Sie ja jetzt die Gelegenheit nutzen, bei uns im Deutschlandfunk zu sagen, ich, Svenja Schulze, bin für die Einführung eines Tempolimits, selbst wenn die klimapolitische Wirkung nicht ganz so groß ist, aber es wäre ein erstes Zeichen.
Schulze: Ja, aber es nutzt ja nun einmal nichts, wir haben die Koalitionsverhandlungen hinter uns. Wir haben das da nicht durchgebracht. Es steht nicht im Koalitionsvertrag. Wenn man solche Regelungen will, dann müssen andere Konstellationen Mehrheiten bekommen. In dieser Konstellation werden wir das nicht hinbekommen, weil CDU und CSU das ganz klar nicht wollen.
Klimaschädliche Subventionen abschaffen
Schmidt-Mattern: Die Opposition im Bundestag, vor allem die Grünen, fordern im Zusammenhang mit der Klimaschutzpolitik immer wieder auch die Abschaffung klimaschädlicher, umweltschädlicher Subventionen, beispielsweise die Besteuerung von Flugbenzin, dass das endlich kommen müsste, damit Fliegen teurer wird, damit man nicht mehr für fünf Euro nach Mallorca fliegen kann. Warum schließen Sie sich dieser Forderung nicht an beziehungsweise warum setzen Sie sich da als Umweltministerin nicht an die Spitze der Bewegung?
Schulze: Ich glaube, dass wir insgesamt das Steuersystem verändern müssen und dass wir Anreize geben müssen, CO2 einzusparen.
Schmidt-Mattern: Da können Sie ja beim Kerosin anfangen.
Schulze: Genau, die Subventionen, die wir haben, die klimaschädlich sind, diese Subventionen abzubauen, deswegen habe ich ja auch einen Vorschlag gemacht, dass wir über so etwas wie einen CO2-Preis reden, dass wir schauen, wie wir CO2 so bepreisen, dass es einen Anreiz gibt, das einzusparen, ohne dass wir diejenigen mit kleinem, mit niedrigem Einkommen zu stark belasten, weil das geht ja auch nicht. Wenn man wenig Geld verdient, dann wohnt man meistens in einer Mietwohnung, hat kein Eigentum, kann also auch gar nicht darüber entscheiden, ob die Wohnung gedämmt wird. Da einfach jetzt Geld draufzuschlagen, das geht ja nicht. Also wir brauchen eine Entlastung und müssen trotzdem Anreize geben, CO2 zu sparen. Daran arbeiten wir im Moment und das ist eine Veränderung des Steuersystems. Ich bin auch dafür, klimaschädliche Subventionen abzuschaffen, aber das ist gar nicht so einfach, das zu tun.
Schmidt-Mattern: Welche?
Schulze: Bei der Kohle zum Beispiel, da haben wir komplett jetzt einen anderen Anreiz. Wir werden aus Kohle aussteigen. Kohle ist über viele Jahre gefördert worden und jetzt müssen wir schauen, dass wir andere Energien nach vorne bringen, regenerative Energien, also das heißt Sonne- und Windenergien sozusagen verstärken und das ist für mich der richtige Weg.
Diesel nicht "komplett verteufeln"
Schmidt-Mattern: Ich nenne noch ein Beispiel. Eine immer wieder genannte Forderung aus Expertenkreisen ist die Abschaffung des Dieselprivilegs. Das könnte auch in der ganzen Debatte rund um Fahrverbote und die Mobilität der Zukunft doch ein wichtiger Anreiz sein, dieses Dieselprivileg, was ja aus der Zeit gefallen ist, dass man also weniger Steuern zahlt, wenn man einen Diesel fährt, dass man das abschafft. Warum fordern Sie das nicht?
Schulze: Also, ich finde, dass diejenigen, die Diesel fahren, im Moment genug belastet sind. Wir haben durch den Betrug in der Automobilindustrie einfach jetzt ja sehr große Probleme mit der Luftreinhaltung. Wir werden das in einigen Städten nicht schaffen, weil von völlig anderen Werten ausgegangen worden ist und jetzt zusätzlich zu dem, dass Dieselfahrer sowieso schon belastet sind, das auch noch oben drauf zu machen, finde ich nicht richtig. Es ist darüber hinaus so, dass wir ja nicht von einem Tag auf den anderen nur Elektrofahrzeuge auf dem Markt haben werden und wenn man gleich große Autos sich anguckt, dann ist Diesel eben immer noch sparsamer, hat also eigentlich einen geringen CO2-Fußabdruck. Das Problem sind die Stickoxide, die entstehen und das kann man heute aber technisch regeln. Also, wir können Autos so einstellen, dass sie geringere Stickoxid-Ausstöße haben und deswegen auf der Strecke, wo noch nicht alles andere Antriebsarten hat, werden wir ja auch noch Verbrennungsmotoren brauchen und da ist der Diesel gar nicht so schlecht. Deswegen bin ich nicht dafür, jetzt Diesel komplett zu verteufeln. Wir werden den in der Übergangsphase brauchen, solange, bis wir komplett mit anderen Antriebsarten fahren.
Schmidt-Mattern: Ich würde gerne den Blick noch einmal ein bisschen weiter in die Zukunft richten. Das Klimaschutzgesetz soll bis Ende dieses Jahres verabschiedet sein. Sie als Koalition im Bund haben sich auch eine sogenannte Revisionsklausel in den Koalitionsvertrag geschrieben. Das heißt, Sie wollen Ihre Zusammenarbeit nach der Halbzeit überprüfen, ob Sie eigentlich noch zusammenpassen oder jemals zusammengepasst haben, könnte man vielleicht ja auch anfügen. Zusätzlich sind auch Landtagswahlen in Ostdeutschland im kommenden Herbst, in Thüringen, in Sachsen und vor allem, ein besonders wichtiges Bundesland für Sie, in Brandenburg. Haben Sie eigentlich die Sorge, dass angesichts dieses Terminkalenders zum Ende des Jahres das Klimaschutzgesetz nicht doch noch zwischen Wahlkampf und Revisionsklausel unter die Räder kommen könnte, zumal wenn man bedenkt, dass Klimaschutz und Kohleausstieg in Ostdeutschland wahrlich keine Gewinnerthemen sind?
Schulze: Nein, die Sorge habe ich nicht, weil wir ganz klar vereinbart haben, dass wir dieses Klimaschutzgesetz 2019 auf den Weg bringen, und gerade für die Kohleregion ist doch wichtig, Verlässlichkeit zu haben, nicht im Ungewissen zu bleiben und wir haben mit der Kohlekommission jetzt ein Ergebnis, und dieses Ergebnis muss jetzt auch umgesetzt werden in klare gesetzliche Regelungen. Das weiter hinauszuzögern wäre nicht richtig. Das muss 2019 kommen, gerade weil die Menschen in den Regionen, in der Lausitz, im mitteldeutschen Revier, aber auch im rheinischen Revier Verlässlichkeit haben wollen und nicht dieses Hin und Her und diese Verlässlichkeit, die werden wir jetzt schaffen und, ich glaube, das ist ein insgesamt gutes Signal für die Menschen.
Glyphosat-Ausstieg "nicht so ganz einfach"
Schmidt-Mattern: Stichwort Verlässlichkeit, da möchte ich noch einmal auf das Thema Glyphosat kommen. Wir haben in dieser Woche in den USA einen Schuldspruch erlebt in San Francisco gegen das Pestizid im ersten US-Mustergerichtsverfahren und es gab daraufhin Forderungen, dass auch die Bundesregierung endlich das, was sie im Koalitionsvertrag angekündigt hat, nämlich möglichst die Anwendung von Glyphosat ganz zu beenden, endlich mehr auf den Weg zu bringen. Wann fangen Sie da endlich an zu handeln?
Schulze: Ich habe ja schon einen ersten Plan vorgelegt, wie man aus Glyphosat aussteigen kann, denn das wollen wir. Wir wollen aus Glyphosat aussteigen. Das ist nicht so ganz einfach, weil das ja auf der europäischen Ebene zugelassen ist. Also wir können national nicht einfach das nicht mehr genehmigen. Wir müssen bis 2023 das noch ermöglichen, aber ich will, dass wir jetzt schon festlegen, dass wir da aussteigen und dass wir bei bestimmten Anwendungen jetzt schon sagen, die verbieten wir. Also wir können die Anwendung einschränken. Das ist jetzt schon möglich, und ich möchte, dass bei allen Zulassungen, die wir jetzt machen, dass wir ganz klare Auflagen machen, dass wenn wir schon solche Gifte noch zulassen müssen, dass wir dann sagen, es muss Ausgleichsflächen geben. Also wer ein glyphosathaltiges Pflanzengift jetzt noch einmal neu zulassen will und derjenige, der es anwendet, der muss dann eben zehn Prozent der Flächen für den Insektenschutz zur Verfügung stellen. Das, finde ich, kann man im Übergang machen. Das habe ich im letzten Jahr vorgestellt. Das ist eine Veränderung der Genehmigungspraxis und meine Kollegin aus dem Landwirtschaftsministerium hat ja erklärt, dass die Biene systemrelevant ist, und deswegen erwarte ich, dass wir uns darauf einigen können, dass wir dann auch etwas für die Bienen tun.
Schmidt-Mattern: Ich wollte gerade fragen nach Ihrer Kollegin aus dem Landwirtschaftsministerium, Julia Klöckner, Christdemokratin. Eine ihr unterstellte Behörde hat gerade wieder die Zulassung eines Pestizids mit Glyphosat erlaubt. Das heißt, das eine Ministerium dieser Regierung macht dies und das andere macht das.
Schulze: Ja, aber so geht das nicht. Wir haben eine klare Regelung im Koalitionsvertrag. Wir wollen aus Glyphosat aussteigen. Wir haben klar gesagt, dass wir das nicht irgendwann wollen, sondern in dieser Legislaturperiode und wir müssen jetzt die nächsten Schritte dafür gehen. Ja, sie hat ohne die Zustimmung von meiner Seite, von meinen Behörden, normalerweise machen wir das gemeinsam, sie hat ohne die Zustimmung meiner Behörden da eine Genehmigung ausgesprochen. Das geht nicht.
Schmidt-Mattern: Das muss Sie doch ärgern.
Schulze: Ja, natürlich ärgert mich das. Das geht auch so nicht. Wir müssen etwas für den Insektenschutz tun. Ich habe ein Aktionsprogramm ja vorgelegt. Wir haben erst Eckpunkte und jetzt habe ich ein Aktionsprogramm vorgelegt. Es muss doch alle beunruhigen, was da passiert. 70 Prozent weniger Insekten, das ist dramatisch. Das ist dramatisch für die Bestäubung von Pflanzen, das ist dramatisch, weil wir immer weniger Vögel haben, und es ist etwas, das wird auch bei den Menschen unmittelbar ankommen und deswegen müssen wir Insekten schützen. Wir müssen sie retten, wir müssen wieder mehr Lebensraum zur Verfügung stellen und wir müssen weniger Pflanzengifte verwenden, denn das ist das, was Insekten tötet. Ich erlebe da eine große Einigkeit in der Bevölkerung.
Schmidt-Mattern: Auch in der SPD?
Schulze: In der SPD sowieso, aber auch was wir in Bayern sehen. Wie viele Menschen da gesagt haben, dass sie wollen, dass Insekten geschützt werden und das müssen wir jetzt auch in der Bundesregierung umsetzen. Der Koalitionsvertrag ist völlig eindeutig. Meine Vorschläge liegen vor und ich will dieses Aktionsprogramm für den Insektenschutz auch mit Frau Klöckner, mit meiner Kollegin zusammen auf den Weg bringen, denn ich halte das für zentral wichtig. Ohne Insekten wird uns eine Menge fehlen, und das kommt unmittelbar beim Menschen an. Ich finde das so bildhaft, ein Naturschutzverband hat einmal einen Supermarkt ausgeräumt, und zwar haben sie alles ausgeräumt, wofür wir Bienen brauchen und da bleibt nicht mehr viel übrig. Wenn man sich einmal überlegt, wo Honig, wo die ganzen Stoffe sozusagen drin sind, wo in unseren Lebensmitteln Bestäubungsleistungen sind, wenn man das alles wegnimmt, dann haben wir nicht mehr viel und das können wir nicht wollen.
Schmidt-Mattern: Svenja Schulze, ich möchte gerne enden mit einer persönlichen Frage. Ihre Premiere, Ihr Amtsantritt in Berlin hier jährt sich jetzt fast zum ersten Mal. Sie sind Mitte März letzten Jahres Bundesministerin geworden, sind gewechselt von der Landes- in die Bundespolitik. Wenn Sie jetzt ein erstes Fazit ziehen nach dem ersten Amtsjahr, was hat Sie überrascht?
Schulze: Was hat mich überrascht? Also erst einmal fand ich absolut faszinierend diese starke internationale Ausrichtung, die man in der Bundespolitik natürlich hat. Das ist für die Umweltpolitik ja absolut notwendig. Luft macht nicht an Grenzen halt, Wasser müssen wir überall schützen und wie stark wir international vernetzt sind und welche Rolle Deutschland da hat, das fand ich absolut faszinierend.
Schmidt-Mattern: Was hat Sie enttäuscht?
Schulze: So lange weg zu sein von zu Hause, ich bin einfach gerne auch bei mir in Münster. Ich finde das eine wunderschöne Stadt und fände das super, wenn ich noch mehr auch mal da sein könnte. Das ist natürlich mit sehr viel reisen verbunden und mit sehr viel auch unterwegs sein. Das ist so ein bisschen schade, aber das ist so.
Schmidt-Mattern: Verreisen Sie privat noch mit dem Flugzeug?
Schulze: Kaum, ich reise eigentlich gerne lieber in der Umgebung in Europa. Es gibt noch so viel, was ich nicht gesehen habe. Da ist eine Menge noch, was man sich ansehen kann.
Schmidt-Mattern: Svenja Schulze, vielen Dank.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.