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Umweltrisiko Rattengift
Toxine aus dem Abwasserkanal

Weil sich in städtischen Abwasserkanälen reichlich Ratten tummeln, setzen viele Kommunen Giftköder ein, um der Plage Herr zu werden. Das Rattengift bleibt aber nicht immer unter Tage, sondern kann über Kanäle in die Umwelt gelangen. Welchen Schaden es dort anrichtet, untersuchen Forscher gerade.

Von Volker Mrasek |
Ratten fressen Abfälle.
Ratten fühlen sich wohl in Abwasserkanalsystemen. Weil die Nagetiere häufig Krankheitserreger übertragen, werden dort regelmäßig Giftköder ausgelegt. (picture alliance / dpa / Kirsty Wigglesworth)
Kleine Wachsblöcke, mit Drähten an Steigleitern oder Schmutzfängern befestigt, so dass sie nicht mit dem Abwasser in Berührung kommen: So muss man sich die meisten Köder für Ratten in der Kanalisation vorstellen. Fressen die Nager daran, nehmen sie hochpotente Giftstoffe auf. Sie hemmen ihre Blutgerinnung, sagt Julia Regnery:
"Das heißt, die Tiere - über einen Zeitraum von drei bis sieben Tagen - verbluten innerlich. Es ist kein schöner Tod."
Doch auch für andere Organismen seien die sogenannten Anti-Koagulantien hochgiftig, erklärt die Wissenschaftlerin von der BfG, der Bundesanstalt für Gewässerkunde in Koblenz: "In der Risikobewertung von den Stoffen wurde in Labortests gezeigt, dass die Substanzen eine hohe Toxizität haben für Fische, Flohkrebse und für Algen."
Rodentizine sind langlebig und reichern sich in der Umwelt an
Mehr noch: Die Fraßgifte gehören zu den PBT-Stoffen. Die drei Buchstaben stehen für persistent, bioakkumulierend und toxisch:
"Also, sie sind sehr langlebig. Sie reichern sich im Organismus an. Und sie sind giftig. Und man will diese PBT-Stoffe nicht in der Umwelt haben."
Doch dort wurden sie schon gefunden, zum Beispiel in der Leber von Brassen, verbreiteten Süßwasserfischen in Deutschland. Die Leber ist nämlich das Zielorgan der Gerinnungshemmer. In einem laufenden Forschungsprojekt klopft Julia Regnery nun ab, auf welchem Weg das Rattengift aus dem Kanal in Bäche oder Flüsse gelangen könnte. Beteiligt seien auch andere BfG-Forscher, so Julia Regnery:
"Es wurde vermutet, dass die Köder bei Starkregen-Ereignissen - man hat einen starken Anstieg des Abwasserpegels im Kanal -, dass die Köder mit Wasser umspült werden und dann möglicherweise abgeschwemmt werden."
Das hat sich auch bestätigt, in einer Stadt in Rheinland-Pfalz, die das Forschungsteam auswählte und deren Name vertraulich bleiben soll, aus Imagegründen. Dort wurden im Mai 2018 rund 2.000 Giftköder im Kanalsystem deponiert. In den Folgewochen kam es mehrmals zu Starkniederschlägen, einmal stand sogar die Altstadt unter Wasser und tote Ratten trieben durch die Straßen.
Starkregen spülte die Toxine in die Umwelt
Julia Regnery geht davon aus, dass dabei sämtliche Fraßköder aus dem Kanal mitgerissen wurden und die Rattengifte in der Kläranlage landeten, wo sie nicht gänzlich eliminiert wurden: "Wir konnten bereits nachweisen, dass die Substanzen bei der konventionellen Abwasserreinigung nicht komplett zurückgehalten werden, sondern mit dem geklärten Abwasser in Fließgewässer eingetragen werden können."
Es wird vermutet, dass in Deutschland jedes Jahr über 600 Tonnen Fraßköder in der Kanalisation aufgehängt werden. Die darin enthaltenen Giftmengen sind allerdings deutlich geringer. Julia Regnery schätzt sie auf insgesamt 50 Kilogramm. Das ist nicht gerade viel. Die Umweltwissenschaftlerin sieht die Stoffe dennoch kritisch, weil sie so schlecht abgebaut werden.
"Da hat man Halbwertszeiten in der Leber von teilweise über einem Jahr. Sie können sich das so vorstellen: Wenn immer geringe Konzentrationen im Spurenbereich eingetragen werden und sich das über die Lebenszeit von einem Fisch anreichert - der kann ja auch seine 20, 25 Jahre alt werden, und die Stoffe selber sind zum Beispiel auch als reproduktionstoxisch eingestuft -, dann bedeutet das jetzt nicht, dass der Fisch irgendwann tot umfällt deswegen, aber es kann sich natürlich nachteilig auf die Population auswirken."
Risiko für Fische und andere Organismen noch unklar
Das alles wollen die BfG-Forscher noch weiter untersuchen. Derzeit könne man das Risiko für Fische und andere Gewässerorganismen noch nicht genau abschätzen. Bei Landtieren habe man schädliche Effekte der Gifte ab einer Konzentration von hundert Mikrogramm pro Kilogramm Lebergewebe festgestellt. In Fischen seien schon bis zu 35 gemessen worden:
"Das heißt, da ist man gar nicht so weit weg."
Starkniederschläge sollen weiter zunehmen, eine Folge des Klimawandels. Wenn das geschieht, könnten die hochgiftigen Gerinnungshemmer noch häufiger in und durch Kläranlagen gespült werden. Derzeit gibt es keine anderen zugelassenen Wirkstoffe zur Bekämpfung von Ratten. Die einzige Alternative zu den Bioziden wären mechanische Fallen.